Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_013.001 3. Das Märchen dagegen ist ungebundene Rede, psc_013.002 Da haben wir schon in den Urzeiten einerseits gebundene, psc_013.004 Nehmen wir nun die deutsche Litteratur als Paradigma psc_013.006 Es kommt eine spätere Zeit wo die gebundene Poesie psc_013.008 Jmmerhin bleibt also die gebundene Poesie mit dem psc_013.025 psc_013.001 3. Das Märchen dagegen ist ungebundene Rede, psc_013.002 Da haben wir schon in den Urzeiten einerseits gebundene, psc_013.004 Nehmen wir nun die deutsche Litteratur als Paradigma psc_013.006 Es kommt eine spätere Zeit wo die gebundene Poesie psc_013.008 Jmmerhin bleibt also die gebundene Poesie mit dem psc_013.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0029" n="13"/> <lb n="psc_013.001"/> <p> 3. Das <hi rendition="#g">Märchen</hi> dagegen ist <hi rendition="#g">ungebundene Rede,</hi> <lb n="psc_013.002"/> prosaische Erzählung.</p> <lb n="psc_013.003"/> <p> Da haben wir schon in den Urzeiten einerseits gebundene, <lb n="psc_013.004"/> andererseits ungebundene Rede, die doch Poesie ist. —</p> <lb n="psc_013.005"/> <p> Nehmen wir nun die deutsche Litteratur als Paradigma <lb n="psc_013.006"/> der höheren Entwicklung.</p> <lb n="psc_013.007"/> <p> Es kommt eine spätere Zeit wo die gebundene Poesie <lb n="psc_013.008"/> sich ablöst vom Tanz; mit dem Gesang bleibt sie zunächst <lb n="psc_013.009"/> noch verbunden, bis sie auch von dem sich ablöst. Das <lb n="psc_013.010"/> Tanzlied dauert zwar auch neben solcher vom Tanz losgelöster <lb n="psc_013.011"/> Poesie lange fort; noch die Volkslieder des 15. und <lb n="psc_013.012"/> 16. Jahrhunderts sind im Volke selbst vielfach Tanzlieder, <lb n="psc_013.013"/> und die Siegfriedslieder der Faröer sind es noch heute. Aber <lb n="psc_013.014"/> daneben entsteht eine neue Art von Poesie, welche zwar die <lb n="psc_013.015"/> gebundene Form beibehält, aber nicht mehr Tanzpoesie ist. <lb n="psc_013.016"/> So können die Bindemittel der gebundenen Poesie, Allitteration <lb n="psc_013.017"/> oder Reim, auch der Rhythmus selbst auf das Sprichwort <lb n="psc_013.018"/> übertragen werden. Oder auch Zauberformeln können eine <lb n="psc_013.019"/> solche Form annehmen, weil die Tanzpoesie feierliche religiöse <lb n="psc_013.020"/> Festpoesie, Cultuspoesie ist und auch jene Zauberformeln <lb n="psc_013.021"/> feierlich religiös sind. Daher mischt sich leicht Tanz ein, <lb n="psc_013.022"/> und auch rhythmische Bewegung ist hinzuzudenken. Nur muß <lb n="psc_013.023"/> man den Begriff „Tanz“ nicht zu eng nehmen.</p> <lb n="psc_013.024"/> <p> Jmmerhin bleibt also die gebundene Poesie mit dem <lb n="psc_013.025"/> Gesang noch verbunden. Nur fragt es sich, von welcher Art <lb n="psc_013.026"/> dieser Gesang war. Man darf nicht die heutigen Formen des <lb n="psc_013.027"/> Gesangs zu Grunde legen. Wir wissen von einem recitativartigen <lb n="psc_013.028"/> Vortrag, der in der Mitte schwebt, wie bei den </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0029]
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3. Das Märchen dagegen ist ungebundene Rede, psc_013.002
prosaische Erzählung.
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Da haben wir schon in den Urzeiten einerseits gebundene, psc_013.004
andererseits ungebundene Rede, die doch Poesie ist. —
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Nehmen wir nun die deutsche Litteratur als Paradigma psc_013.006
der höheren Entwicklung.
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Es kommt eine spätere Zeit wo die gebundene Poesie psc_013.008
sich ablöst vom Tanz; mit dem Gesang bleibt sie zunächst psc_013.009
noch verbunden, bis sie auch von dem sich ablöst. Das psc_013.010
Tanzlied dauert zwar auch neben solcher vom Tanz losgelöster psc_013.011
Poesie lange fort; noch die Volkslieder des 15. und psc_013.012
16. Jahrhunderts sind im Volke selbst vielfach Tanzlieder, psc_013.013
und die Siegfriedslieder der Faröer sind es noch heute. Aber psc_013.014
daneben entsteht eine neue Art von Poesie, welche zwar die psc_013.015
gebundene Form beibehält, aber nicht mehr Tanzpoesie ist. psc_013.016
So können die Bindemittel der gebundenen Poesie, Allitteration psc_013.017
oder Reim, auch der Rhythmus selbst auf das Sprichwort psc_013.018
übertragen werden. Oder auch Zauberformeln können eine psc_013.019
solche Form annehmen, weil die Tanzpoesie feierliche religiöse psc_013.020
Festpoesie, Cultuspoesie ist und auch jene Zauberformeln psc_013.021
feierlich religiös sind. Daher mischt sich leicht Tanz ein, psc_013.022
und auch rhythmische Bewegung ist hinzuzudenken. Nur muß psc_013.023
man den Begriff „Tanz“ nicht zu eng nehmen.
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Jmmerhin bleibt also die gebundene Poesie mit dem psc_013.025
Gesang noch verbunden. Nur fragt es sich, von welcher Art psc_013.026
dieser Gesang war. Man darf nicht die heutigen Formen des psc_013.027
Gesangs zu Grunde legen. Wir wissen von einem recitativartigen psc_013.028
Vortrag, der in der Mitte schwebt, wie bei den
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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