Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_011.001 Auch für die Sprichwörter darf das höchste Alter angesetzt psc_011.004 2. Das Sprichwort hat in alter Zeit keine Existenz psc_011.014 psc_011.001 Auch für die Sprichwörter darf das höchste Alter angesetzt psc_011.004 2. Das Sprichwort hat in alter Zeit keine Existenz psc_011.014 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0027" n="11"/><lb n="psc_011.001"/> den Grund zur Komödie, wie die der Dithyramben zur <lb n="psc_011.002"/> Tragödie.</p> <lb n="psc_011.003"/> <p> Auch für die Sprichwörter darf das höchste Alter angesetzt <lb n="psc_011.004"/> werden. Dasselbe gilt vom Märchen, der kleinen Erzählung: <lb n="psc_011.005"/> bei den Naturvölkern sind Märchen gefunden worden. <lb n="psc_011.006"/> Beides also sind gleichfalls Urelemente der Poesie. Damit <lb n="psc_011.007"/> sollen jedoch die alten Gattungen nicht erschöpft sein; so ist <lb n="psc_011.008"/> das Zauberlied zu bedenken. Aber diese drei entschieden <lb n="psc_011.009"/> alten Gattungen habe ich herausgegriffen, weil sie für unsern <lb n="psc_011.010"/> nächsten Zweck als Typen ausreichen. Dagegen ist z. B. das <lb n="psc_011.011"/> Liebeslied gewiß auch sehr alt; aber jene Australier möchten <lb n="psc_011.012"/> es doch wohl kaum besitzen.</p> <lb n="psc_011.013"/> <p> 2. Das <hi rendition="#g">Sprichwort</hi> hat in alter Zeit keine Existenz <lb n="psc_011.014"/> für sich; es setzt allemal eine Gelegenheit voraus, bei welcher <lb n="psc_011.015"/> es zur Anwendung kommt. Diese Anwendung ist immer <lb n="psc_011.016"/> eine Subsumption eines einzelnen Falles unter einen allgemeinen <lb n="psc_011.017"/> Erfahrungssatz, man könnte sagen unter ein Gesetz. <lb n="psc_011.018"/> Das Sprichwort erinnert an viele oder wenigstens an einen <lb n="psc_011.019"/> ähnlichen Fall, es ist also eine Generalisation; und es kann <lb n="psc_011.020"/> sich in jedem Augenblick, in jedem Gespräch bei gebotener <lb n="psc_011.021"/> Gelegenheit einfinden. Jmmer enthält es eine Erinnerung <lb n="psc_011.022"/> an etwas Bekanntes, es ist ein Citat, ein geflügeltes Wort. <lb n="psc_011.023"/> Da haben wir also eine sich blitzartig einmischende Poesie. <lb n="psc_011.024"/> Die Nationen haben jede für sich einen Sprichwörterschatz, <lb n="psc_011.025"/> aus welchem der Sprechende schöpft, wie jede einen Wortschatz <lb n="psc_011.026"/> hat. Aber die Sprache ist im Sprichwort schon <lb n="psc_011.027"/> angewandt und zwar in kunstmäßiger Prägung. Nur behält <lb n="psc_011.028"/> hier die Poesie eine dienende Rolle; denn das Sprichwort </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0027]
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den Grund zur Komödie, wie die der Dithyramben zur psc_011.002
Tragödie.
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Auch für die Sprichwörter darf das höchste Alter angesetzt psc_011.004
werden. Dasselbe gilt vom Märchen, der kleinen Erzählung: psc_011.005
bei den Naturvölkern sind Märchen gefunden worden. psc_011.006
Beides also sind gleichfalls Urelemente der Poesie. Damit psc_011.007
sollen jedoch die alten Gattungen nicht erschöpft sein; so ist psc_011.008
das Zauberlied zu bedenken. Aber diese drei entschieden psc_011.009
alten Gattungen habe ich herausgegriffen, weil sie für unsern psc_011.010
nächsten Zweck als Typen ausreichen. Dagegen ist z. B. das psc_011.011
Liebeslied gewiß auch sehr alt; aber jene Australier möchten psc_011.012
es doch wohl kaum besitzen.
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2. Das Sprichwort hat in alter Zeit keine Existenz psc_011.014
für sich; es setzt allemal eine Gelegenheit voraus, bei welcher psc_011.015
es zur Anwendung kommt. Diese Anwendung ist immer psc_011.016
eine Subsumption eines einzelnen Falles unter einen allgemeinen psc_011.017
Erfahrungssatz, man könnte sagen unter ein Gesetz. psc_011.018
Das Sprichwort erinnert an viele oder wenigstens an einen psc_011.019
ähnlichen Fall, es ist also eine Generalisation; und es kann psc_011.020
sich in jedem Augenblick, in jedem Gespräch bei gebotener psc_011.021
Gelegenheit einfinden. Jmmer enthält es eine Erinnerung psc_011.022
an etwas Bekanntes, es ist ein Citat, ein geflügeltes Wort. psc_011.023
Da haben wir also eine sich blitzartig einmischende Poesie. psc_011.024
Die Nationen haben jede für sich einen Sprichwörterschatz, psc_011.025
aus welchem der Sprechende schöpft, wie jede einen Wortschatz psc_011.026
hat. Aber die Sprache ist im Sprichwort schon psc_011.027
angewandt und zwar in kunstmäßiger Prägung. Nur behält psc_011.028
hier die Poesie eine dienende Rolle; denn das Sprichwort
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