Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_243.001 Die Grenzen zwischen Vortrag und Dialog können ebenfalls psc_243.002 Dialog also in der Urform ist Unterredung von Zweien. psc_243.011 Einverstanden: der Eine behauptet, der Andere stimmt psc_243.013 Nicht einverstanden: Erörterung, Streit, Discussion; psc_243.017 Jn diese Schemata ist beinahe Alles zu fassen. Ein psc_243.020 Freilich giebt es unzählige Übergangsformen, die man psc_243.026 psc_243.001 Die Grenzen zwischen Vortrag und Dialog können ebenfalls psc_243.002 Dialog also in der Urform ist Unterredung von Zweien. psc_243.011 Einverstanden: der Eine behauptet, der Andere stimmt psc_243.013 Nicht einverstanden: Erörterung, Streit, Discussion; psc_243.017 Jn diese Schemata ist beinahe Alles zu fassen. Ein psc_243.020 Freilich giebt es unzählige Übergangsformen, die man psc_243.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0259" n="243"/> <lb n="psc_243.001"/> <p> Die Grenzen zwischen Vortrag und Dialog können ebenfalls <lb n="psc_243.002"/> fließend sein: der Redner kann eine Frage in das <lb n="psc_243.003"/> Publicum werfen, worauf Antwort erfolgt; der Redner kann <lb n="psc_243.004"/> seinen Zuhörern den Eindruck ablesen, in Mienen und Gebärden, <lb n="psc_243.005"/> Beistimmung und Widerspruch — was beides für <lb n="psc_243.006"/> ihn bestimmendes Moment der Fortführung werden kann. <lb n="psc_243.007"/> Es mögen auch Zurufe, Beifall, Murren, directe Unterbrechungen, <lb n="psc_243.008"/> Einwendungen erfolgen. Alles wird Moment <lb n="psc_243.009"/> der Fortführung — aber auch Übergang im Dialog.</p> <lb n="psc_243.010"/> <p> Dialog also in der Urform ist Unterredung von Zweien. <lb n="psc_243.011"/> Schemata: die Beiden sind einverstanden oder sie sind es nicht.</p> <lb n="psc_243.012"/> <p> Einverstanden: der Eine behauptet, der Andere stimmt <lb n="psc_243.013"/> bei; der Andere nimmt dem Ersten das Wort aus dem <lb n="psc_243.014"/> Munde und setzt seine Gedanken fort; Jeder bringt von seiner <lb n="psc_243.015"/> Seite etwas bei, um dieselbe Meinung zu bekräftigen.</p> <lb n="psc_243.016"/> <p> Nicht einverstanden: Erörterung, Streit, Discussion; <lb n="psc_243.017"/> dies ist eine günstigere Form für poetische Wirkung, weil <lb n="psc_243.018"/> Conflict und damit spannende, erregende Momente gegeben sind.</p> <lb n="psc_243.019"/> <p> Jn diese Schemata ist beinahe Alles zu fassen. Ein <lb n="psc_243.020"/> Bote, welcher kommt und berichtet: das ist eigentlich nicht <lb n="psc_243.021"/> Dialog, sondern Vortrag. Frage und Auskunft; die Antwort <lb n="psc_243.022"/> kann auch zum Vortrag werden; es redet eigentlich <lb n="psc_243.023"/> nur Einer, der Andere hat nur Eindrücke, entweder freudige <lb n="psc_243.024"/> (einverstanden) oder schmerzliche (nicht einverstanden).</p> <lb n="psc_243.025"/> <p> Freilich giebt es unzählige Übergangsformen, die man <lb n="psc_243.026"/> durch Classisication des Vorhandenen erforschen müßte. <lb n="psc_243.027"/> Die Technik des Dialogs bei Plato, Lucian, Erasmus, <lb n="psc_243.028"/> Hutten, Shakespeare u. s. w. wäre zu untersuchen.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [243/0259]
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Die Grenzen zwischen Vortrag und Dialog können ebenfalls psc_243.002
fließend sein: der Redner kann eine Frage in das psc_243.003
Publicum werfen, worauf Antwort erfolgt; der Redner kann psc_243.004
seinen Zuhörern den Eindruck ablesen, in Mienen und Gebärden, psc_243.005
Beistimmung und Widerspruch — was beides für psc_243.006
ihn bestimmendes Moment der Fortführung werden kann. psc_243.007
Es mögen auch Zurufe, Beifall, Murren, directe Unterbrechungen, psc_243.008
Einwendungen erfolgen. Alles wird Moment psc_243.009
der Fortführung — aber auch Übergang im Dialog.
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Dialog also in der Urform ist Unterredung von Zweien. psc_243.011
Schemata: die Beiden sind einverstanden oder sie sind es nicht.
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Einverstanden: der Eine behauptet, der Andere stimmt psc_243.013
bei; der Andere nimmt dem Ersten das Wort aus dem psc_243.014
Munde und setzt seine Gedanken fort; Jeder bringt von seiner psc_243.015
Seite etwas bei, um dieselbe Meinung zu bekräftigen.
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Nicht einverstanden: Erörterung, Streit, Discussion; psc_243.017
dies ist eine günstigere Form für poetische Wirkung, weil psc_243.018
Conflict und damit spannende, erregende Momente gegeben sind.
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Jn diese Schemata ist beinahe Alles zu fassen. Ein psc_243.020
Bote, welcher kommt und berichtet: das ist eigentlich nicht psc_243.021
Dialog, sondern Vortrag. Frage und Auskunft; die Antwort psc_243.022
kann auch zum Vortrag werden; es redet eigentlich psc_243.023
nur Einer, der Andere hat nur Eindrücke, entweder freudige psc_243.024
(einverstanden) oder schmerzliche (nicht einverstanden).
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Freilich giebt es unzählige Übergangsformen, die man psc_243.026
durch Classisication des Vorhandenen erforschen müßte. psc_243.027
Die Technik des Dialogs bei Plato, Lucian, Erasmus, psc_243.028
Hutten, Shakespeare u. s. w. wäre zu untersuchen.
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