psc_238.001 Untreue hervorgeht, in der vierten steht die treu Liebende psc_238.002 auf der Warte... So kann aus einzelnen Worten indirect psc_238.003 eine ganze Reihe von Handlungen herausgelesen werden.
psc_238.004
B. Fictionen.
psc_238.005
Die Poesie bedient sich zuweilen conventioneller Annahmen, psc_238.006 daß etwas möglich sei (das in Poesie Vorgeführte als psc_238.007 wirklich vorausgesetzt), was in Wirklichkeit überhaupt nicht psc_238.008 oder doch nicht in dieser Form möglich ist.
psc_238.009
Es giebt einige Menschen, welche die Gewohnheit haben, psc_238.010 laut mit sich selbst zu reden; die Poesie setzt im Drama psc_238.011 voraus, daß alle Menschen diese Gewohnheit haben. Wenige psc_238.012 Menschen haben die Gabe, sich selbst oder Andern gegenüber psc_238.013 einen klaren Bericht über die Vorgänge in ihrer eigenen psc_238.014 Brust zu geben; nur wenige wissen sich zusammenhängend psc_238.015 über innere Zustände auszudrücken: die Poeten fingiren psc_238.016 Beides.
psc_238.017
Unter den Menschen, die die Gewohnheit haben, mit psc_238.018 sich selbst zu sprechen, wird wohl niemand im Selbstgespräch psc_238.019 sich Dinge vorsagen, die er längst weiß, oder vollends sich psc_238.020 sagen, wer er selbst sei. Aber eine dramatische Technik, psc_238.021 allerdings früherer Zeit, gestattet Eingangsmonologe, in psc_238.022 denen das geschieht, wo die Personen sich selbst vorstellen. Auch psc_238.023 Tieck hat sich das noch erlaubt. Es ist kindlich, wenn Einer psc_238.024 gar erzählt: "Jch bin der wackre Bonifacius", obwohl es ja psc_238.025 vorkommt, daß jemand sich sagt: Jch bin ein famoser Kerl. psc_238.026 Die Personen reden also eigentlich zum Publicum, das aber psc_238.027 doch nicht mitspielt. Alles Reden zum Publicum ist ein
psc_238.001 Untreue hervorgeht, in der vierten steht die treu Liebende psc_238.002 auf der Warte... So kann aus einzelnen Worten indirect psc_238.003 eine ganze Reihe von Handlungen herausgelesen werden.
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B. Fictionen.
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Die Poesie bedient sich zuweilen conventioneller Annahmen, psc_238.006 daß etwas möglich sei (das in Poesie Vorgeführte als psc_238.007 wirklich vorausgesetzt), was in Wirklichkeit überhaupt nicht psc_238.008 oder doch nicht in dieser Form möglich ist.
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Es giebt einige Menschen, welche die Gewohnheit haben, psc_238.010 laut mit sich selbst zu reden; die Poesie setzt im Drama psc_238.011 voraus, daß alle Menschen diese Gewohnheit haben. Wenige psc_238.012 Menschen haben die Gabe, sich selbst oder Andern gegenüber psc_238.013 einen klaren Bericht über die Vorgänge in ihrer eigenen psc_238.014 Brust zu geben; nur wenige wissen sich zusammenhängend psc_238.015 über innere Zustände auszudrücken: die Poeten fingiren psc_238.016 Beides.
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Unter den Menschen, die die Gewohnheit haben, mit psc_238.018 sich selbst zu sprechen, wird wohl niemand im Selbstgespräch psc_238.019 sich Dinge vorsagen, die er längst weiß, oder vollends sich psc_238.020 sagen, wer er selbst sei. Aber eine dramatische Technik, psc_238.021 allerdings früherer Zeit, gestattet Eingangsmonologe, in psc_238.022 denen das geschieht, wo die Personen sich selbst vorstellen. Auch psc_238.023 Tieck hat sich das noch erlaubt. Es ist kindlich, wenn Einer psc_238.024 gar erzählt: „Jch bin der wackre Bonifacius“, obwohl es ja psc_238.025 vorkommt, daß jemand sich sagt: Jch bin ein famoser Kerl. psc_238.026 Die Personen reden also eigentlich zum Publicum, das aber psc_238.027 doch nicht mitspielt. Alles Reden zum Publicum ist ein
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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/254>, abgerufen am 16.02.2025.
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