Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

psc_175.001
bei Goethe ist wenigstens ein Fall sicher) oder dergleichen, psc_175.002
oder es kommt etwa Epilepsie in ihrer Familie vor.

psc_175.003

Maudsley sagt: "Originelle Anregungen, entschiedene psc_175.004
Äußerungen des Talents oder gar des Genies gingen vielfach psc_175.005
von Jndividuen aus, die aus Familien entstammten, psc_175.006
worin eine gewisse Prädisposition zum Jrrsinn vorkam."

psc_175.007

Hiernach darf man hoffen, daß die fortschreitende Erkenntniß psc_175.008
der körperlichen Dispositionen, auf denen Jrrsinn psc_175.009
beruht, auch zu fortschreitender Erkenntniß der körperlichen psc_175.010
Dispositionen, auf denen künstlerische Genialität beruht, psc_175.011
führen werde.

psc_175.012

Gesteigerte Erregbarkeit des Nervensystems wird ja unzweifelhaft psc_175.013
dabei zu constatiren sein -- und man kann so psc_175.014
leicht verstehen, daß eine sehr lebhafte Phantasie, die eine psc_175.015
einzelne Erscheinung lebhaft zu erfassen weiß, eine Vorstufe psc_175.016
für die Hallucination ist.

psc_175.017

Maudsley handelt über epileptische, ja wahnsinnige Zustände psc_175.018
der Propheten; Mahommeds Entzückung sei ein epileptischer psc_175.019
Zufall gewesen.

psc_175.020

Wenn so wenigstens der Blick eröffnet ist auf eine psc_175.021
Untersuchung nach der körperlichen Seite hin, durch welche psc_175.022
Licht auf die körperliche Beschaffenheit des Dichters fallen psc_175.023
kann, so möchte ich noch einen andern Zug herausheben, psc_175.024
der die Urzeit und einfache Zustände charakterisirt und zugleich psc_175.025
den Dichter nach der körperlichen Seite.

psc_175.026

Unter den modernen Dichtern, welche tief eingewirkt psc_175.027
haben, war Einer blind: Milton. Lessing wollte in der psc_175.028
Fortsetzung des "Laokoon" untersuchen, wie weit sich dies in

psc_175.001
bei Goethe ist wenigstens ein Fall sicher) oder dergleichen, psc_175.002
oder es kommt etwa Epilepsie in ihrer Familie vor.

psc_175.003

  Maudsley sagt: „Originelle Anregungen, entschiedene psc_175.004
Äußerungen des Talents oder gar des Genies gingen vielfach psc_175.005
von Jndividuen aus, die aus Familien entstammten, psc_175.006
worin eine gewisse Prädisposition zum Jrrsinn vorkam.“

psc_175.007

  Hiernach darf man hoffen, daß die fortschreitende Erkenntniß psc_175.008
der körperlichen Dispositionen, auf denen Jrrsinn psc_175.009
beruht, auch zu fortschreitender Erkenntniß der körperlichen psc_175.010
Dispositionen, auf denen künstlerische Genialität beruht, psc_175.011
führen werde.

psc_175.012

  Gesteigerte Erregbarkeit des Nervensystems wird ja unzweifelhaft psc_175.013
dabei zu constatiren sein — und man kann so psc_175.014
leicht verstehen, daß eine sehr lebhafte Phantasie, die eine psc_175.015
einzelne Erscheinung lebhaft zu erfassen weiß, eine Vorstufe psc_175.016
für die Hallucination ist.

psc_175.017

  Maudsley handelt über epileptische, ja wahnsinnige Zustände psc_175.018
der Propheten; Mahommeds Entzückung sei ein epileptischer psc_175.019
Zufall gewesen.

psc_175.020

  Wenn so wenigstens der Blick eröffnet ist auf eine psc_175.021
Untersuchung nach der körperlichen Seite hin, durch welche psc_175.022
Licht auf die körperliche Beschaffenheit des Dichters fallen psc_175.023
kann, so möchte ich noch einen andern Zug herausheben, psc_175.024
der die Urzeit und einfache Zustände charakterisirt und zugleich psc_175.025
den Dichter nach der körperlichen Seite.

psc_175.026

  Unter den modernen Dichtern, welche tief eingewirkt psc_175.027
haben, war Einer blind: Milton. Lessing wollte in der psc_175.028
Fortsetzung des „Laokoon“ untersuchen, wie weit sich dies in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0191" n="175"/><lb n="psc_175.001"/>
bei Goethe ist wenigstens <hi rendition="#g">ein</hi> Fall sicher) oder dergleichen, <lb n="psc_175.002"/>
oder es kommt etwa Epilepsie in ihrer Familie vor.</p>
            <lb n="psc_175.003"/>
            <p>  Maudsley sagt: &#x201E;Originelle Anregungen, entschiedene <lb n="psc_175.004"/>
Äußerungen des Talents oder gar des Genies gingen vielfach <lb n="psc_175.005"/>
von Jndividuen aus, die aus Familien entstammten, <lb n="psc_175.006"/>
worin eine gewisse Prädisposition zum Jrrsinn vorkam.&#x201C;</p>
            <lb n="psc_175.007"/>
            <p>  Hiernach darf man hoffen, daß die fortschreitende Erkenntniß <lb n="psc_175.008"/>
der körperlichen Dispositionen, auf denen Jrrsinn <lb n="psc_175.009"/>
beruht, auch zu fortschreitender Erkenntniß der körperlichen <lb n="psc_175.010"/>
Dispositionen, auf denen künstlerische Genialität beruht, <lb n="psc_175.011"/>
führen werde.</p>
            <lb n="psc_175.012"/>
            <p>  Gesteigerte Erregbarkeit des Nervensystems wird ja unzweifelhaft <lb n="psc_175.013"/>
dabei zu constatiren sein &#x2014; und man kann so <lb n="psc_175.014"/>
leicht verstehen, daß eine sehr lebhafte Phantasie, die eine <lb n="psc_175.015"/>
einzelne Erscheinung lebhaft zu erfassen weiß, eine Vorstufe <lb n="psc_175.016"/>
für die Hallucination ist.</p>
            <lb n="psc_175.017"/>
            <p>  Maudsley handelt über epileptische, ja wahnsinnige Zustände <lb n="psc_175.018"/>
der Propheten; Mahommeds Entzückung sei ein epileptischer <lb n="psc_175.019"/>
Zufall gewesen.</p>
            <lb n="psc_175.020"/>
            <p>  Wenn so wenigstens der Blick eröffnet ist auf eine <lb n="psc_175.021"/>
Untersuchung nach der körperlichen Seite hin, durch welche <lb n="psc_175.022"/>
Licht auf die körperliche Beschaffenheit des Dichters fallen <lb n="psc_175.023"/>
kann, so möchte ich noch einen andern Zug herausheben, <lb n="psc_175.024"/>
der die Urzeit und einfache Zustände charakterisirt und zugleich <lb n="psc_175.025"/>
den Dichter nach der körperlichen Seite.</p>
            <lb n="psc_175.026"/>
            <p>  Unter den modernen Dichtern, welche tief eingewirkt <lb n="psc_175.027"/>
haben, war Einer <hi rendition="#g">blind:</hi> Milton. Lessing wollte in der <lb n="psc_175.028"/>
Fortsetzung des &#x201E;Laokoon&#x201C; untersuchen, wie weit sich dies in
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0191] psc_175.001 bei Goethe ist wenigstens ein Fall sicher) oder dergleichen, psc_175.002 oder es kommt etwa Epilepsie in ihrer Familie vor. psc_175.003   Maudsley sagt: „Originelle Anregungen, entschiedene psc_175.004 Äußerungen des Talents oder gar des Genies gingen vielfach psc_175.005 von Jndividuen aus, die aus Familien entstammten, psc_175.006 worin eine gewisse Prädisposition zum Jrrsinn vorkam.“ psc_175.007   Hiernach darf man hoffen, daß die fortschreitende Erkenntniß psc_175.008 der körperlichen Dispositionen, auf denen Jrrsinn psc_175.009 beruht, auch zu fortschreitender Erkenntniß der körperlichen psc_175.010 Dispositionen, auf denen künstlerische Genialität beruht, psc_175.011 führen werde. psc_175.012   Gesteigerte Erregbarkeit des Nervensystems wird ja unzweifelhaft psc_175.013 dabei zu constatiren sein — und man kann so psc_175.014 leicht verstehen, daß eine sehr lebhafte Phantasie, die eine psc_175.015 einzelne Erscheinung lebhaft zu erfassen weiß, eine Vorstufe psc_175.016 für die Hallucination ist. psc_175.017   Maudsley handelt über epileptische, ja wahnsinnige Zustände psc_175.018 der Propheten; Mahommeds Entzückung sei ein epileptischer psc_175.019 Zufall gewesen. psc_175.020   Wenn so wenigstens der Blick eröffnet ist auf eine psc_175.021 Untersuchung nach der körperlichen Seite hin, durch welche psc_175.022 Licht auf die körperliche Beschaffenheit des Dichters fallen psc_175.023 kann, so möchte ich noch einen andern Zug herausheben, psc_175.024 der die Urzeit und einfache Zustände charakterisirt und zugleich psc_175.025 den Dichter nach der körperlichen Seite. psc_175.026   Unter den modernen Dichtern, welche tief eingewirkt psc_175.027 haben, war Einer blind: Milton. Lessing wollte in der psc_175.028 Fortsetzung des „Laokoon“ untersuchen, wie weit sich dies in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/191
Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/191>, abgerufen am 22.11.2024.