Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_133.001 Die alte Anschauung führte mit der Überspannung psc_133.006 Es ist von vornherein zuzugeben, daß der Unterschied psc_133.015 psc_133.001 Die alte Anschauung führte mit der Überspannung psc_133.006 Es ist von vornherein zuzugeben, daß der Unterschied psc_133.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0149" n="133"/><lb n="psc_133.001"/> 1200 von Volkspoesie einerseits, von höfischer Poesie andererseits <lb n="psc_133.002"/> zu reden: es ist doch für die Poetik kein fundamentaler <lb n="psc_133.003"/> Unterschied; es ist ein Stilgesetz, aber nicht anders zu beurtheilen <lb n="psc_133.004"/> als andere Stilgesetze.</p> <lb n="psc_133.005"/> <p> Die alte Anschauung führte mit der Überspannung <lb n="psc_133.006"/> dieses Gegensatzes zu gefährlichen Consequenzen. Ging doch <lb n="psc_133.007"/> J. Grimm so weit zu meinen: „Volkslieder dichten sich nur <lb n="psc_133.008"/> selbst“ — eine unklare Vorstellung, die schon Lachmann <lb n="psc_133.009"/> widerlegte, als er die Nibelungennoth in Lieder von verschiedenen <lb n="psc_133.010"/> Verfassern auflöste. Sie ist ferner gefährlich, weil <lb n="psc_133.011"/> man damit die Vorstellung von radicalen Unterschieden in <lb n="psc_133.012"/> der dichterischen Production verbindet, während das dichterische <lb n="psc_133.013"/> Geschäft überall dasselbe ist.</p> <lb n="psc_133.014"/> <p> Es ist von vornherein zuzugeben, daß der Unterschied <lb n="psc_133.015"/> zwischen volksthümlicher und höfischer Dichtung für das <lb n="psc_133.016"/> Mittelalter völlig richtig ist. Aber dieser Unterschied besteht <lb n="psc_133.017"/> darin, daß dem kunstmäßigen Stil hier, dem volksmäßigen <lb n="psc_133.018"/> dort verschiedene Traditionen zu Grunde liegen. Die volksthümliche <lb n="psc_133.019"/> Poesie ist die ältere, die einheimische Kunst, die <lb n="psc_133.020"/> höfische eine halb importirte, durch fremde Muster zum Theil <lb n="psc_133.021"/> bedingt, unter dem Einfluß fremder Muster aus jener einheimischen <lb n="psc_133.022"/> Manier herausgebildet. Die Moden sind noch <lb n="psc_133.023"/> local gesondert: in gewissen Theilen Deutschlands haben wir <lb n="psc_133.024"/> die einheimischen, in andern neue, fremde Moden. Das Land, <lb n="psc_133.025"/> welches auf die Kunstpoesie den meisten Einfluß hatte, war <lb n="psc_133.026"/> Frankreich; daher zunächst am Rhein die Einwirkung, die <lb n="psc_133.027"/> sich später weiter verbreitet und ins innere Land eindringt. <lb n="psc_133.028"/> Wir haben also einfach den allbekannten Gegensatz von <hi rendition="#aq">Antiqui</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [133/0149]
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1200 von Volkspoesie einerseits, von höfischer Poesie andererseits psc_133.002
zu reden: es ist doch für die Poetik kein fundamentaler psc_133.003
Unterschied; es ist ein Stilgesetz, aber nicht anders zu beurtheilen psc_133.004
als andere Stilgesetze.
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Die alte Anschauung führte mit der Überspannung psc_133.006
dieses Gegensatzes zu gefährlichen Consequenzen. Ging doch psc_133.007
J. Grimm so weit zu meinen: „Volkslieder dichten sich nur psc_133.008
selbst“ — eine unklare Vorstellung, die schon Lachmann psc_133.009
widerlegte, als er die Nibelungennoth in Lieder von verschiedenen psc_133.010
Verfassern auflöste. Sie ist ferner gefährlich, weil psc_133.011
man damit die Vorstellung von radicalen Unterschieden in psc_133.012
der dichterischen Production verbindet, während das dichterische psc_133.013
Geschäft überall dasselbe ist.
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Es ist von vornherein zuzugeben, daß der Unterschied psc_133.015
zwischen volksthümlicher und höfischer Dichtung für das psc_133.016
Mittelalter völlig richtig ist. Aber dieser Unterschied besteht psc_133.017
darin, daß dem kunstmäßigen Stil hier, dem volksmäßigen psc_133.018
dort verschiedene Traditionen zu Grunde liegen. Die volksthümliche psc_133.019
Poesie ist die ältere, die einheimische Kunst, die psc_133.020
höfische eine halb importirte, durch fremde Muster zum Theil psc_133.021
bedingt, unter dem Einfluß fremder Muster aus jener einheimischen psc_133.022
Manier herausgebildet. Die Moden sind noch psc_133.023
local gesondert: in gewissen Theilen Deutschlands haben wir psc_133.024
die einheimischen, in andern neue, fremde Moden. Das Land, psc_133.025
welches auf die Kunstpoesie den meisten Einfluß hatte, war psc_133.026
Frankreich; daher zunächst am Rhein die Einwirkung, die psc_133.027
sich später weiter verbreitet und ins innere Land eindringt. psc_133.028
Wir haben also einfach den allbekannten Gegensatz von Antiqui
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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