Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_111.001 Bernays S. 143 f. sammelt die Spuren, nach denen psc_111.007 psc_111.001 Bernays S. 143 f. sammelt die Spuren, nach denen psc_111.007 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0127" n="111"/><lb n="psc_111.001"/> Mitleid mit dem sympathischen Helden, welcher leidet; Furcht <lb n="psc_111.002"/> durch Substitution: Furcht vor ähnlichem Fehlen, Furcht vor <lb n="psc_111.003"/> ähnlichem Leiden, das uns treffen kann, weil auch wir <lb n="psc_111.004"/> Menschen sind. Diese Gefühle sind unangenehm. Wodurch <lb n="psc_111.005"/> werden sie angenehm?</p> <lb n="psc_111.006"/> <p> Bernays S. 143 f. sammelt die Spuren, nach denen <lb n="psc_111.007"/> die Griechen schon früh auf die gemischte Natur der Empfindungen <lb n="psc_111.008"/> aufmerksam geworden; er verweist auf den platonischen <lb n="psc_111.009"/> Philebus, wo die gemischte Natur aller für gewöhnlich in <lb n="psc_111.010"/> Lust und Unlust geschiedenen Empfindungen aufgewiesen <lb n="psc_111.011"/> wird: in aller Lust doch ein Stück Unlust, in aller Unlust <lb n="psc_111.012"/> ein Stück Lust; was übrigens neuerdings von Schopenhauer <lb n="psc_111.013"/> sehr breit auseinandergesetzt worden ist. Er verweist ferner <lb n="psc_111.014"/> auf Stellen der aristotelischen Rhetorik, wo z. B. das Vergnügen <lb n="psc_111.015"/> des Zorns hervorgehoben wird, ein Vergnügen, das <lb n="psc_111.016"/> man besonders lebhaft in der Jugend empfindet, weil es <lb n="psc_111.017"/> ein gesteigertes Daseinsgefühl mittheilt. Endlich verweist er <lb n="psc_111.018"/> auf Lessing in seinem Brief an Mendelssohn vom 2. Februar <lb n="psc_111.019"/> 1757. Dazu ist vorauszuschicken, daß dieser Brief Gedanken <lb n="psc_111.020"/> enthält, die später nicht ausgeführt wurden. Jn Lessings <lb n="psc_111.021"/> Terminologie begreift der Ausdruck „Leidenschaft“ die Affecte <lb n="psc_111.022"/> mit in sich und zwar in erster Linie. Lessing schreibt <lb n="psc_111.023"/> also: bei jeder heftigen Begierde oder Verabscheuung (Leidenschaft, <lb n="psc_111.024"/> Affect) sind wir uns eines größeren Grades unserer <lb n="psc_111.025"/> Realität bewußt und dieses Bewußtsein ist angenehm. <lb n="psc_111.026"/> „Folglich sind alle Leidenschaften, auch die allerunangenehmsten, <lb n="psc_111.027"/> als Leidenschaften angenehm.“ Dies ist was <lb n="psc_111.028"/> wir schon sagten: das Bewußtsein eines höheren Grades </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0127]
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Mitleid mit dem sympathischen Helden, welcher leidet; Furcht psc_111.002
durch Substitution: Furcht vor ähnlichem Fehlen, Furcht vor psc_111.003
ähnlichem Leiden, das uns treffen kann, weil auch wir psc_111.004
Menschen sind. Diese Gefühle sind unangenehm. Wodurch psc_111.005
werden sie angenehm?
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Bernays S. 143 f. sammelt die Spuren, nach denen psc_111.007
die Griechen schon früh auf die gemischte Natur der Empfindungen psc_111.008
aufmerksam geworden; er verweist auf den platonischen psc_111.009
Philebus, wo die gemischte Natur aller für gewöhnlich in psc_111.010
Lust und Unlust geschiedenen Empfindungen aufgewiesen psc_111.011
wird: in aller Lust doch ein Stück Unlust, in aller Unlust psc_111.012
ein Stück Lust; was übrigens neuerdings von Schopenhauer psc_111.013
sehr breit auseinandergesetzt worden ist. Er verweist ferner psc_111.014
auf Stellen der aristotelischen Rhetorik, wo z. B. das Vergnügen psc_111.015
des Zorns hervorgehoben wird, ein Vergnügen, das psc_111.016
man besonders lebhaft in der Jugend empfindet, weil es psc_111.017
ein gesteigertes Daseinsgefühl mittheilt. Endlich verweist er psc_111.018
auf Lessing in seinem Brief an Mendelssohn vom 2. Februar psc_111.019
1757. Dazu ist vorauszuschicken, daß dieser Brief Gedanken psc_111.020
enthält, die später nicht ausgeführt wurden. Jn Lessings psc_111.021
Terminologie begreift der Ausdruck „Leidenschaft“ die Affecte psc_111.022
mit in sich und zwar in erster Linie. Lessing schreibt psc_111.023
also: bei jeder heftigen Begierde oder Verabscheuung (Leidenschaft, psc_111.024
Affect) sind wir uns eines größeren Grades unserer psc_111.025
Realität bewußt und dieses Bewußtsein ist angenehm. psc_111.026
„Folglich sind alle Leidenschaften, auch die allerunangenehmsten, psc_111.027
als Leidenschaften angenehm.“ Dies ist was psc_111.028
wir schon sagten: das Bewußtsein eines höheren Grades
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