Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_105.001 f) Der Tod an sich ist für den Menschen etwas unendlich psc_105.006 Aber auch wo blasse Todesfurcht sich zeigt, ist das psc_105.025 g) Einer Hinrichtung beizuwohnen, ist gewiß nicht ungemischt psc_105.028 psc_105.001 f) Der Tod an sich ist für den Menschen etwas unendlich psc_105.006 Aber auch wo blasse Todesfurcht sich zeigt, ist das psc_105.025 g) Einer Hinrichtung beizuwohnen, ist gewiß nicht ungemischt psc_105.028 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0121" n="105"/><lb n="psc_105.001"/> So für das moralische Leiden besonders: „Das Leben ist der <lb n="psc_105.002"/> Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld“ <lb n="psc_105.003"/> — das behält eine ewige Wahrheit. Die Compensation <lb n="psc_105.004"/> von <hi rendition="#aq">c</hi>) erfüllt sich im Stoff selbst.</p> <lb n="psc_105.005"/> <p> <hi rendition="#aq">f</hi>) Der Tod an sich ist für den Menschen etwas unendlich <lb n="psc_105.006"/> Jnteressantes, weil er ihm sicher bevorsteht, weil er <lb n="psc_105.007"/> dieses Künftige, wie alles Künftige, durchdringen möchte. Er <lb n="psc_105.008"/> ist unendlich interessant, selbst abgesehen von dem Jnteresse <lb n="psc_105.009"/> an einem künftigen Leben, welches seinerseits so manche poetische <lb n="psc_105.010"/> Production veranlaßt, so manches poetische Motiv geliefert <lb n="psc_105.011"/> hat. Bei dem Jnteresse an dem Tod an sich ist wieder <lb n="psc_105.012"/> das Jnteresse der Wißbegierde rege. Dies Jnteresse muß <lb n="psc_105.013"/> wohl das Motiv sein, weshalb sich die Menschen zu Hinrichtungen <lb n="psc_105.014"/> drängen. Man liest gern Erzählungen über die Art, <lb n="psc_105.015"/> wie bedeutende Menschen gestorben sind, oder über die bedeutende <lb n="psc_105.016"/> Art zu sterben, die vielleicht bei unbedeutenden <lb n="psc_105.017"/> Menschen gefunden worden. Die Heldenmüthigkeit, mit <lb n="psc_105.018"/> welcher jemand leidet, die Ruhe, mit der er dem Tod entgegensieht, <lb n="psc_105.019"/> seine Fassung, die bedeutenden Worte, die er in <lb n="psc_105.020"/> dieser Lage noch spricht — alles das ist uns ungeheuer interessant, <lb n="psc_105.021"/> und wiederum durch die ästhetische Substitution ein <lb n="psc_105.022"/> Gegenstand unserer Bewunderung und somit des ästhetischen <lb n="psc_105.023"/> Gefallens, des Vergnügens.</p> <lb n="psc_105.024"/> <p> Aber auch wo blasse Todesfurcht sich zeigt, ist das <lb n="psc_105.025"/> Schauspiel uns interessant, weil es immer mit der Frage <lb n="psc_105.026"/> verbunden ist: wie wird es uns einmal ergehen?</p> <lb n="psc_105.027"/> <p> <hi rendition="#aq">g</hi>) Einer Hinrichtung beizuwohnen, ist gewiß nicht ungemischt <lb n="psc_105.028"/> angenehm. Es wird vielmehr wohl etwas Schmerzliches </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0121]
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So für das moralische Leiden besonders: „Das Leben ist der psc_105.002
Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld“ psc_105.003
— das behält eine ewige Wahrheit. Die Compensation psc_105.004
von c) erfüllt sich im Stoff selbst.
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f) Der Tod an sich ist für den Menschen etwas unendlich psc_105.006
Jnteressantes, weil er ihm sicher bevorsteht, weil er psc_105.007
dieses Künftige, wie alles Künftige, durchdringen möchte. Er psc_105.008
ist unendlich interessant, selbst abgesehen von dem Jnteresse psc_105.009
an einem künftigen Leben, welches seinerseits so manche poetische psc_105.010
Production veranlaßt, so manches poetische Motiv geliefert psc_105.011
hat. Bei dem Jnteresse an dem Tod an sich ist wieder psc_105.012
das Jnteresse der Wißbegierde rege. Dies Jnteresse muß psc_105.013
wohl das Motiv sein, weshalb sich die Menschen zu Hinrichtungen psc_105.014
drängen. Man liest gern Erzählungen über die Art, psc_105.015
wie bedeutende Menschen gestorben sind, oder über die bedeutende psc_105.016
Art zu sterben, die vielleicht bei unbedeutenden psc_105.017
Menschen gefunden worden. Die Heldenmüthigkeit, mit psc_105.018
welcher jemand leidet, die Ruhe, mit der er dem Tod entgegensieht, psc_105.019
seine Fassung, die bedeutenden Worte, die er in psc_105.020
dieser Lage noch spricht — alles das ist uns ungeheuer interessant, psc_105.021
und wiederum durch die ästhetische Substitution ein psc_105.022
Gegenstand unserer Bewunderung und somit des ästhetischen psc_105.023
Gefallens, des Vergnügens.
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Aber auch wo blasse Todesfurcht sich zeigt, ist das psc_105.025
Schauspiel uns interessant, weil es immer mit der Frage psc_105.026
verbunden ist: wie wird es uns einmal ergehen?
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g) Einer Hinrichtung beizuwohnen, ist gewiß nicht ungemischt psc_105.028
angenehm. Es wird vielmehr wohl etwas Schmerzliches
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