Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_102.001 Jünger ohne Zweifel und in der Wirkung nicht so allgemein psc_102.007 Für diejenigen, welche in Tragödien gehen und also psc_102.025 psc_102.001 Jünger ohne Zweifel und in der Wirkung nicht so allgemein psc_102.007 Für diejenigen, welche in Tragödien gehen und also psc_102.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0118" n="102"/><lb n="psc_102.001"/> versucht das Glück. Das definitive Verspielthaben ist schlechthin <lb n="psc_102.002"/> Unglück. So lange Hoffnung bleibt, ist das gewagteste Spiel <lb n="psc_102.003"/> reizvoll. So haben wir auch für den Helden die größten <lb n="psc_102.004"/> Befürchtungen, aber wir sind befriedigt, wenn er siegreich <lb n="psc_102.005"/> herauskommt.</p> <lb n="psc_102.006"/> <p> Jünger ohne Zweifel und in der Wirkung nicht so allgemein <lb n="psc_102.007"/> ist das abweichende Verhältniß: daß der Besiegte <lb n="psc_102.008"/> Sympathie und in Folge dessen Mitleid einflößt oder daß <lb n="psc_102.009"/> der sympathische Held schließlich unterliegt, das Licht von der <lb n="psc_102.010"/> Nacht verschlungen wird. Dies Verhältniß, wie gesagt, ist <lb n="psc_102.011"/> offenbar jünger! Denn der primitive Mensch ist überhaupt <lb n="psc_102.012"/> nicht mitleidig, sondern eher grausam; er wird über den Besiegten <lb n="psc_102.013"/> eher lachen als weinen, und unzählige Mal gleichgiltig <lb n="psc_102.014"/> über ihn hinwegschreiten. Der unterliegende sympathische <lb n="psc_102.015"/> Held aber giebt nothwendig eine unangenehme Empfindung, <lb n="psc_102.016"/> die auf der ästhetischen Subsumtion beruht. Für Viele ist <lb n="psc_102.017"/> noch heute oder heute wieder mehr als zu anderen Zeiten, z. B. <lb n="psc_102.018"/> im 16. und 17. Jahrhundert, dieses Unangenehme schlechthin <lb n="psc_102.019"/> unüberwindlich und durch nichts gemildert oder compensirt; <lb n="psc_102.020"/> das sind die Leute, die in keine Tragödie gehen mögen, weil <lb n="psc_102.021"/> es sie zu sehr angreift, oder weil es des Traurigen im Leben <lb n="psc_102.022"/> genug gebe und man es daher nicht noch auf der Bühne <lb n="psc_102.023"/> suchen wolle.</p> <lb n="psc_102.024"/> <p> Für diejenigen, welche in Tragödien gehen und also <lb n="psc_102.025"/> ein Vergnügen darin finden müssen, können nun sehr verschiedene <lb n="psc_102.026"/> Gründe maßgebend sein, z. B. die unter 5) und 6) <lb n="psc_102.027"/> angeführten; das Vergnügen an der Schauspielkunst, oder </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0118]
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versucht das Glück. Das definitive Verspielthaben ist schlechthin psc_102.002
Unglück. So lange Hoffnung bleibt, ist das gewagteste Spiel psc_102.003
reizvoll. So haben wir auch für den Helden die größten psc_102.004
Befürchtungen, aber wir sind befriedigt, wenn er siegreich psc_102.005
herauskommt.
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Jünger ohne Zweifel und in der Wirkung nicht so allgemein psc_102.007
ist das abweichende Verhältniß: daß der Besiegte psc_102.008
Sympathie und in Folge dessen Mitleid einflößt oder daß psc_102.009
der sympathische Held schließlich unterliegt, das Licht von der psc_102.010
Nacht verschlungen wird. Dies Verhältniß, wie gesagt, ist psc_102.011
offenbar jünger! Denn der primitive Mensch ist überhaupt psc_102.012
nicht mitleidig, sondern eher grausam; er wird über den Besiegten psc_102.013
eher lachen als weinen, und unzählige Mal gleichgiltig psc_102.014
über ihn hinwegschreiten. Der unterliegende sympathische psc_102.015
Held aber giebt nothwendig eine unangenehme Empfindung, psc_102.016
die auf der ästhetischen Subsumtion beruht. Für Viele ist psc_102.017
noch heute oder heute wieder mehr als zu anderen Zeiten, z. B. psc_102.018
im 16. und 17. Jahrhundert, dieses Unangenehme schlechthin psc_102.019
unüberwindlich und durch nichts gemildert oder compensirt; psc_102.020
das sind die Leute, die in keine Tragödie gehen mögen, weil psc_102.021
es sie zu sehr angreift, oder weil es des Traurigen im Leben psc_102.022
genug gebe und man es daher nicht noch auf der Bühne psc_102.023
suchen wolle.
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Für diejenigen, welche in Tragödien gehen und also psc_102.025
ein Vergnügen darin finden müssen, können nun sehr verschiedene psc_102.026
Gründe maßgebend sein, z. B. die unter 5) und 6) psc_102.027
angeführten; das Vergnügen an der Schauspielkunst, oder
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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