jenige ist, die gleichsam im Namen der gan¬ zen Gattung geschehen könnte, so das wahre Wissen dasjenige, worin nicht das Indivi¬ duum, sondern die Vernunft weiß. Diese Un¬ abhängigkeit des Wesens der Wissenschaft von der Zeit drückt sich in dem aus, daß sie Sa¬ che der Gattung ist, welche selbst ewig ist. Es ist also nothwendig, daß wie das Leben und Daseyn, so die Wissenschaft sich von Individuum an Individuum, von Geschlecht zu Geschlecht mittheile. Ueberlieferung ist der Ausdruck ihres ewigen Lebens. Es wäre hier nicht der Ort, mit allen Gründen, deren diese Behauptung fähig ist, zu beweisen, daß alle Wissenschaft und Kunst des gegenwärti¬ gen Menschengeschlechts eine überlieferte ist. Es ist undenkbar, daß der Mensch, wie er jetzt erscheint, durch sich selbst sich vom In¬ stinct zum Bewußtseyn, von der Thierheit zur Vernünftigkeit erhoben habe. Es mußte also dem gegenwärtigen Menschengeschlecht ein an¬ deres vorangegangen seyn, welches die alte Sage unter dem Bilde der Götter und ersten
jenige iſt, die gleichſam im Namen der gan¬ zen Gattung geſchehen koͤnnte, ſo das wahre Wiſſen dasjenige, worin nicht das Indivi¬ duum, ſondern die Vernunft weiß. Dieſe Un¬ abhaͤngigkeit des Weſens der Wiſſenſchaft von der Zeit druͤckt ſich in dem aus, daß ſie Sa¬ che der Gattung iſt, welche ſelbſt ewig iſt. Es iſt alſo nothwendig, daß wie das Leben und Daſeyn, ſo die Wiſſenſchaft ſich von Individuum an Individuum, von Geſchlecht zu Geſchlecht mittheile. Ueberlieferung iſt der Ausdruck ihres ewigen Lebens. Es waͤre hier nicht der Ort, mit allen Gruͤnden, deren dieſe Behauptung faͤhig iſt, zu beweiſen, daß alle Wiſſenſchaft und Kunſt des gegenwaͤrti¬ gen Menſchengeſchlechts eine uͤberlieferte iſt. Es iſt undenkbar, daß der Menſch, wie er jetzt erſcheint, durch ſich ſelbſt ſich vom In¬ ſtinct zum Bewußtſeyn, von der Thierheit zur Vernuͤnftigkeit erhoben habe. Es mußte alſo dem gegenwaͤrtigen Menſchengeſchlecht ein an¬ deres vorangegangen ſeyn, welches die alte Sage unter dem Bilde der Goͤtter und erſten
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jenige iſt, die gleichſam im Namen der gan¬
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Wiſſen dasjenige, worin nicht das Indivi¬
duum, ſondern die Vernunft weiß. Dieſe Un¬
abhaͤngigkeit des Weſens der Wiſſenſchaft von
der Zeit druͤckt ſich in dem aus, daß ſie Sa¬
che der Gattung iſt, welche ſelbſt ewig iſt.
Es iſt alſo nothwendig, daß wie das Leben
und Daſeyn, ſo die Wiſſenſchaft ſich von
Individuum an Individuum, von Geſchlecht
zu Geſchlecht mittheile. Ueberlieferung iſt der
Ausdruck ihres ewigen Lebens. Es waͤre hier
nicht der Ort, mit allen Gruͤnden, deren
dieſe Behauptung faͤhig iſt, zu beweiſen, daß
alle Wiſſenſchaft und Kunſt des gegenwaͤrti¬
gen Menſchengeſchlechts eine uͤberlieferte iſt.
Es iſt undenkbar, daß der Menſch, wie er
jetzt erſcheint, durch ſich ſelbſt ſich vom In¬
ſtinct zum Bewußtſeyn, von der Thierheit zur
Vernuͤnftigkeit erhoben habe. Es mußte alſo
dem gegenwaͤrtigen Menſchengeſchlecht ein an¬
deres vorangegangen ſeyn, welches die alte
Sage unter dem Bilde der Goͤtter und erſten
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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