Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Philosophie selbst als eine exotische Pflanze im
griechischen Boden, ein Gefühl, das schon in
dem allgemeinen Trieb sich ausdrückte, welcher
diejenigen, die entweder durch die Weisheit frü¬
herer Philosophen oder die Mysterien in höhere
Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬
land der Ideen, dem Orient führte.

Aber auch abgesehen von dieser bloß histo¬
rischen, nicht philosophischen, Entgegensetzung,
die letztere vielmehr zugegeben, was ist Plato's
Verwerfung der Dichtkunst, verglichen insbe¬
sondere mit dem, was er in andern Werken
zum Lob der enthusiastischen Poesie sagt, an¬
ders, als Polemik gegen den poetischen Rea¬
lismus, eine Vorahndung der spätern Rich¬
tung des Geistes überhaupt und der Poesie ins¬
besondere? Am wenigsten könnte jenes Urtheil
gegen die christliche Poesie geltend gemacht
werden, welche im Ganzen eben so bestimmt
den Charakter des Unendlichen trägt, wie die
antike im Ganzen den des Endlichen. Daß
wir die Gränzen, welche die letztere hat, ge¬
nauer bestimmen können, als Plato, der ih¬

Philoſophie ſelbſt als eine exotiſche Pflanze im
griechiſchen Boden, ein Gefuͤhl, das ſchon in
dem allgemeinen Trieb ſich ausdruͤckte, welcher
diejenigen, die entweder durch die Weisheit fruͤ¬
herer Philoſophen oder die Myſterien in hoͤhere
Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬
land der Ideen, dem Orient fuͤhrte.

Aber auch abgeſehen von dieſer bloß hiſto¬
riſchen, nicht philoſophiſchen, Entgegenſetzung,
die letztere vielmehr zugegeben, was iſt Plato's
Verwerfung der Dichtkunſt, verglichen insbe¬
ſondere mit dem, was er in andern Werken
zum Lob der enthuſiaſtiſchen Poeſie ſagt, an¬
ders, als Polemik gegen den poetiſchen Rea¬
lismus, eine Vorahndung der ſpaͤtern Rich¬
tung des Geiſtes uͤberhaupt und der Poeſie ins¬
beſondere? Am wenigſten koͤnnte jenes Urtheil
gegen die chriſtliche Poeſie geltend gemacht
werden, welche im Ganzen eben ſo beſtimmt
den Charakter des Unendlichen traͤgt, wie die
antike im Ganzen den des Endlichen. Daß
wir die Graͤnzen, welche die letztere hat, ge¬
nauer beſtimmen koͤnnen, als Plato, der ih¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0319" n="310"/>
Philo&#x017F;ophie &#x017F;elb&#x017F;t als eine exoti&#x017F;che Pflanze im<lb/>
griechi&#x017F;chen Boden, ein Gefu&#x0364;hl, das &#x017F;chon in<lb/>
dem allgemeinen Trieb &#x017F;ich ausdru&#x0364;ckte, welcher<lb/>
diejenigen, die entweder durch die Weisheit fru&#x0364;¬<lb/>
herer Philo&#x017F;ophen oder die My&#x017F;terien in ho&#x0364;here<lb/>
Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬<lb/>
land der Ideen, dem Orient fu&#x0364;hrte.</p><lb/>
        <p>Aber auch abge&#x017F;ehen von die&#x017F;er bloß hi&#x017F;to¬<lb/>
ri&#x017F;chen, nicht philo&#x017F;ophi&#x017F;chen, Entgegen&#x017F;etzung,<lb/>
die letztere vielmehr zugegeben, was i&#x017F;t Plato's<lb/>
Verwerfung der Dichtkun&#x017F;t, verglichen insbe¬<lb/>
&#x017F;ondere mit dem, was er in andern Werken<lb/>
zum Lob der enthu&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;chen Poe&#x017F;ie &#x017F;agt, an¬<lb/>
ders, als Polemik gegen den poeti&#x017F;chen Rea¬<lb/>
lismus, eine Vorahndung der &#x017F;pa&#x0364;tern Rich¬<lb/>
tung des Gei&#x017F;tes u&#x0364;berhaupt und der Poe&#x017F;ie ins¬<lb/>
be&#x017F;ondere? Am wenig&#x017F;ten ko&#x0364;nnte jenes Urtheil<lb/>
gegen die chri&#x017F;tliche Poe&#x017F;ie geltend gemacht<lb/>
werden, welche im Ganzen eben &#x017F;o be&#x017F;timmt<lb/>
den Charakter des Unendlichen tra&#x0364;gt, wie die<lb/>
antike im Ganzen den des Endlichen. Daß<lb/>
wir die Gra&#x0364;nzen, welche die letztere hat, ge¬<lb/>
nauer be&#x017F;timmen ko&#x0364;nnen, als Plato, der ih¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0319] Philoſophie ſelbſt als eine exotiſche Pflanze im griechiſchen Boden, ein Gefuͤhl, das ſchon in dem allgemeinen Trieb ſich ausdruͤckte, welcher diejenigen, die entweder durch die Weisheit fruͤ¬ herer Philoſophen oder die Myſterien in hoͤhere Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬ land der Ideen, dem Orient fuͤhrte. Aber auch abgeſehen von dieſer bloß hiſto¬ riſchen, nicht philoſophiſchen, Entgegenſetzung, die letztere vielmehr zugegeben, was iſt Plato's Verwerfung der Dichtkunſt, verglichen insbe¬ ſondere mit dem, was er in andern Werken zum Lob der enthuſiaſtiſchen Poeſie ſagt, an¬ ders, als Polemik gegen den poetiſchen Rea¬ lismus, eine Vorahndung der ſpaͤtern Rich¬ tung des Geiſtes uͤberhaupt und der Poeſie ins¬ beſondere? Am wenigſten koͤnnte jenes Urtheil gegen die chriſtliche Poeſie geltend gemacht werden, welche im Ganzen eben ſo beſtimmt den Charakter des Unendlichen traͤgt, wie die antike im Ganzen den des Endlichen. Daß wir die Graͤnzen, welche die letztere hat, ge¬ nauer beſtimmen koͤnnen, als Plato, der ih¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/319
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/319>, abgerufen am 25.11.2024.