chenschaft abzulegen, nachdem man sich selbst den Weg dazu versperrt hatte, führte die Tren¬ nung der Anatomie und Physiologie, die sich beyde wie Aeußeres und Inneres entsprechen müßten, und jene ganz mechanische Art des Vortrags herbey, der in den meisten Lehrbü¬ chern und auf Academieen der herrschende ist. Der Anatom, welcher seine Wissenschaft zugleich als Naturforscher und im allgemeinen Geiste behandeln wollte, müßte zuvörderst erken¬ nen, daß es einer Abstraction, einer Erhebung über die gemeine Ansicht bedarf, um die wirkli¬ chen Formen auch nur historisch wahr auszuspre¬ chen. Er begreife das Symbolische aller Gestal¬ ten und daß auch in dem Besondern immer eine allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬ nerer Typus ausgedrückt ist. Er frage nicht, wozu dient dieses oder jenes Organ? sondern, wie ist es entstanden? und zeige die reine Noth¬ wendigkeit seiner Formation. Je allgemeiner, je weniger auf den besondern Fall eingerichtet die Ansichten sind, aus denen er die Genesis der Formen herleitet, desto eher wird er die
chenſchaft abzulegen, nachdem man ſich ſelbſt den Weg dazu verſperrt hatte, fuͤhrte die Tren¬ nung der Anatomie und Phyſiologie, die ſich beyde wie Aeußeres und Inneres entſprechen muͤßten, und jene ganz mechaniſche Art des Vortrags herbey, der in den meiſten Lehrbuͤ¬ chern und auf Academieen der herrſchende iſt. Der Anatom, welcher ſeine Wiſſenſchaft zugleich als Naturforſcher und im allgemeinen Geiſte behandeln wollte, muͤßte zuvoͤrderſt erken¬ nen, daß es einer Abſtraction, einer Erhebung uͤber die gemeine Anſicht bedarf, um die wirkli¬ chen Formen auch nur hiſtoriſch wahr auszuſpre¬ chen. Er begreife das Symboliſche aller Geſtal¬ ten und daß auch in dem Beſondern immer eine allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬ nerer Typus ausgedruͤckt iſt. Er frage nicht, wozu dient dieſes oder jenes Organ? ſondern, wie iſt es entſtanden? und zeige die reine Noth¬ wendigkeit ſeiner Formation. Je allgemeiner, je weniger auf den beſondern Fall eingerichtet die Anſichten ſind, aus denen er die Geneſis der Formen herleitet, deſto eher wird er die
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den Weg dazu verſperrt hatte, fuͤhrte die Tren¬
nung der Anatomie und Phyſiologie, die ſich
beyde wie Aeußeres und Inneres entſprechen
muͤßten, und jene ganz mechaniſche Art des
Vortrags herbey, der in den meiſten Lehrbuͤ¬
chern und auf Academieen der herrſchende iſt.
Der Anatom, welcher ſeine Wiſſenſchaft
zugleich als Naturforſcher und im allgemeinen
Geiſte behandeln wollte, muͤßte zuvoͤrderſt erken¬
nen, daß es einer Abſtraction, einer Erhebung
uͤber die gemeine Anſicht bedarf, um die wirkli¬
chen Formen auch nur hiſtoriſch wahr auszuſpre¬
chen. Er begreife das Symboliſche aller Geſtal¬
ten und daß auch in dem Beſondern immer eine
allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬
nerer Typus ausgedruͤckt iſt. Er frage nicht,
wozu dient dieſes oder jenes Organ? ſondern,
wie iſt es entſtanden? und zeige die reine Noth¬
wendigkeit ſeiner Formation. Je allgemeiner,
je weniger auf den beſondern Fall eingerichtet
die Anſichten ſind, aus denen er die Geneſis
der Formen herleitet, deſto eher wird er die
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/309>, abgerufen am 22.11.2024.
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