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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

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Orthodoxen gehörten, erlangten doch die, wel¬
che am meisten auf den Buchstaben drangen,
das größte Ansehen, ja sie haben eigentlich
das Christenthum als universelle Religions¬
form erschaffen. Nur der Buchstabe des Oc¬
cidentes konnte dem vom Orient kommenden
idealen Princip einen Leib und die äußere
Gestalt geben, wie das Licht der Sonne nu
in dem Stoff der Erde seine herrlichen Ideen
ausgebiert.

Aber eben dieses Verhältniß, welches
den ersten Formen des Christenthums den Ur¬
sprung gab, kehrt, nachdem jene dem Ge¬
setz der Endlichkeit gemäß zerfallen sind, und
die offenbare Unmöglichkeit ist, das Christen¬
thum in der exoterischen Gestalt zu behaup¬
ten, aufs Neue zurück. Das Esoterische muß
also hervortreten und, von seiner Hülle be¬
freyt, für sich leuchten. Der ewig lebendige
Geist aller Bildung und Erschaffung wird es in
neue und daurendere Formen kleiden, da es
an dem dem Idealen entgegengesetzten Stoff

Orthodoxen gehoͤrten, erlangten doch die, wel¬
che am meiſten auf den Buchſtaben drangen,
das groͤßte Anſehen, ja ſie haben eigentlich
das Chriſtenthum als univerſelle Religions¬
form erſchaffen. Nur der Buchſtabe des Oc¬
cidentes konnte dem vom Orient kommenden
idealen Princip einen Leib und die aͤußere
Geſtalt geben, wie das Licht der Sonne nu
in dem Stoff der Erde ſeine herrlichen Ideen
ausgebiert.

Aber eben dieſes Verhaͤltniß, welches
den erſten Formen des Chriſtenthums den Ur¬
ſprung gab, kehrt, nachdem jene dem Ge¬
ſetz der Endlichkeit gemaͤß zerfallen ſind, und
die offenbare Unmoͤglichkeit iſt, das Chriſten¬
thum in der exoteriſchen Geſtalt zu behaup¬
ten, aufs Neue zuruͤck. Das Eſoteriſche muß
alſo hervortreten und, von ſeiner Huͤlle be¬
freyt, fuͤr ſich leuchten. Der ewig lebendige
Geiſt aller Bildung und Erſchaffung wird es in
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[208/0217] Orthodoxen gehoͤrten, erlangten doch die, wel¬ che am meiſten auf den Buchſtaben drangen, das groͤßte Anſehen, ja ſie haben eigentlich das Chriſtenthum als univerſelle Religions¬ form erſchaffen. Nur der Buchſtabe des Oc¬ cidentes konnte dem vom Orient kommenden idealen Princip einen Leib und die aͤußere Geſtalt geben, wie das Licht der Sonne nu in dem Stoff der Erde ſeine herrlichen Ideen ausgebiert. Aber eben dieſes Verhaͤltniß, welches den erſten Formen des Chriſtenthums den Ur¬ ſprung gab, kehrt, nachdem jene dem Ge¬ ſetz der Endlichkeit gemaͤß zerfallen ſind, und die offenbare Unmoͤglichkeit iſt, das Chriſten¬ thum in der exoteriſchen Geſtalt zu behaup¬ ten, aufs Neue zuruͤck. Das Eſoteriſche muß alſo hervortreten und, von ſeiner Huͤlle be¬ freyt, fuͤr ſich leuchten. Der ewig lebendige Geiſt aller Bildung und Erſchaffung wird es in neue und daurendere Formen kleiden, da es an dem dem Idealen entgegengeſetzten Stoff

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/217>, abgerufen am 24.11.2024.