Das Wesentliche im Studium der Theo¬ logie ist die Verbindung der spekulativen und historischen Construction des Christenthums und seiner vornehmsten Lehren.
Zwar an die Stelle des Exoterischen und Buchstäblichen des Christenthums das Esote¬ rische und Geistige treten zu lassen: diesem Beginnen widerspricht allerdings die offenbare Absicht der frühesten Lehrer und der Kirche selbst, da diese wie jene zu jeder Zeit darü¬ ber einverstanden waren, sich dem Eindrin¬ gen alles dessen, was nicht Sache aller Men¬ schen und völlig exoterisch seyn könnte, zu wi¬ dersetzen. Es beweist ein richtiges Gefühl, ein sicheres Bewußtseyn dessen, was sie wol¬ len mußten, in den ersten Gründern, wie in den spätern Häuptern des Christenthums, daß sie mit Ueberlegung entfernten, was der Oeffentlichkeit desselben Eintrag thun konnte, und es ausdrücklich als Haresis, als der Uni¬ versalität entgegenwirkend, ausschlossen. Selbst unter denjenigen, die zu der Kirche und den
Das Weſentliche im Studium der Theo¬ logie iſt die Verbindung der ſpekulativen und hiſtoriſchen Conſtruction des Chriſtenthums und ſeiner vornehmſten Lehren.
Zwar an die Stelle des Exoteriſchen und Buchſtaͤblichen des Chriſtenthums das Eſote¬ riſche und Geiſtige treten zu laſſen: dieſem Beginnen widerſpricht allerdings die offenbare Abſicht der fruͤheſten Lehrer und der Kirche ſelbſt, da dieſe wie jene zu jeder Zeit daruͤ¬ ber einverſtanden waren, ſich dem Eindrin¬ gen alles deſſen, was nicht Sache aller Men¬ ſchen und voͤllig exoteriſch ſeyn koͤnnte, zu wi¬ derſetzen. Es beweiſt ein richtiges Gefuͤhl, ein ſicheres Bewußtſeyn deſſen, was ſie wol¬ len mußten, in den erſten Gruͤndern, wie in den ſpaͤtern Haͤuptern des Chriſtenthums, daß ſie mit Ueberlegung entfernten, was der Oeffentlichkeit deſſelben Eintrag thun konnte, und es ausdruͤcklich als Hareſis, als der Uni¬ verſalitaͤt entgegenwirkend, ausſchloſſen. Selbſt unter denjenigen, die zu der Kirche und den
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[207/0216]
Das Weſentliche im Studium der Theo¬
logie iſt die Verbindung der ſpekulativen und
hiſtoriſchen Conſtruction des Chriſtenthums
und ſeiner vornehmſten Lehren.
Zwar an die Stelle des Exoteriſchen und
Buchſtaͤblichen des Chriſtenthums das Eſote¬
riſche und Geiſtige treten zu laſſen: dieſem
Beginnen widerſpricht allerdings die offenbare
Abſicht der fruͤheſten Lehrer und der Kirche
ſelbſt, da dieſe wie jene zu jeder Zeit daruͤ¬
ber einverſtanden waren, ſich dem Eindrin¬
gen alles deſſen, was nicht Sache aller Men¬
ſchen und voͤllig exoteriſch ſeyn koͤnnte, zu wi¬
derſetzen. Es beweiſt ein richtiges Gefuͤhl,
ein ſicheres Bewußtſeyn deſſen, was ſie wol¬
len mußten, in den erſten Gruͤndern, wie
in den ſpaͤtern Haͤuptern des Chriſtenthums,
daß ſie mit Ueberlegung entfernten, was der
Oeffentlichkeit deſſelben Eintrag thun konnte,
und es ausdruͤcklich als Hareſis, als der Uni¬
verſalitaͤt entgegenwirkend, ausſchloſſen. Selbſt
unter denjenigen, die zu der Kirche und den
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/216>, abgerufen am 24.11.2024.
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