am tiefsten gesunken und am weitesten von ih¬ rer Idee entfernt. Hier besteht eine Haupt¬ kunst darin, so viel Wunder als möglich aus der Bibel weg oder heraus zu erklären, wel¬ ches ein eben so klägliches Beginnen ist, als das umgekehrte, aus diesen empirischen, noch dazu höchst dürftigen, Factis die Göttlichkeit der Religion zu beweisen. Was hilft es, noch so viele hinwegzuschaffen, wenn es nicht mit allen möglich ist, denn auch nur Eines wür¬ de, wenn diese Beweisart überhaupt Sinn hätte, so viel wie tausend beweisen.
Zu diesem phil[o]logischen Bestreben hat sich das psychologische gesellt, indem man sich große Mühe gegeben, viele Erzählungen, die offenbar jüdische Fabeln sind, erfunden nach der Anleitung messianischer Weissagungen des alten Testaments, (über welche Quelle die Ur¬ heber sogar selbst keinen Zweifel zulassen, in¬ dem sie hinzusetzen: es habe geschehen müs¬ sen, damit erfüllet würde, was geschrieben stehe), aus psychologischen Täuschungen begreif¬ lich zu machen.
am tiefſten geſunken und am weiteſten von ih¬ rer Idee entfernt. Hier beſteht eine Haupt¬ kunſt darin, ſo viel Wunder als moͤglich aus der Bibel weg oder heraus zu erklaͤren, wel¬ ches ein eben ſo klaͤgliches Beginnen iſt, als das umgekehrte, aus dieſen empiriſchen, noch dazu hoͤchſt duͤrftigen, Factis die Goͤttlichkeit der Religion zu beweiſen. Was hilft es, noch ſo viele hinwegzuſchaffen, wenn es nicht mit allen moͤglich iſt, denn auch nur Eines wuͤr¬ de, wenn dieſe Beweisart uͤberhaupt Sinn haͤtte, ſo viel wie tauſend beweiſen.
Zu dieſem phil[o]logiſchen Beſtreben hat ſich das pſychologiſche geſellt, indem man ſich große Muͤhe gegeben, viele Erzaͤhlungen, die offenbar juͤdiſche Fabeln ſind, erfunden nach der Anleitung meſſianiſcher Weiſſagungen des alten Teſtaments, (uͤber welche Quelle die Ur¬ heber ſogar ſelbſt keinen Zweifel zulaſſen, in¬ dem ſie hinzuſetzen: es habe geſchehen muͤſ¬ ſen, damit erfuͤllet wuͤrde, was geſchrieben ſtehe), aus pſychologiſchen Taͤuſchungen begreif¬ lich zu machen.
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[203/0212]
am tiefſten geſunken und am weiteſten von ih¬
rer Idee entfernt. Hier beſteht eine Haupt¬
kunſt darin, ſo viel Wunder als moͤglich aus
der Bibel weg oder heraus zu erklaͤren, wel¬
ches ein eben ſo klaͤgliches Beginnen iſt, als
das umgekehrte, aus dieſen empiriſchen, noch
dazu hoͤchſt duͤrftigen, Factis die Goͤttlichkeit
der Religion zu beweiſen. Was hilft es, noch
ſo viele hinwegzuſchaffen, wenn es nicht mit
allen moͤglich iſt, denn auch nur Eines wuͤr¬
de, wenn dieſe Beweisart uͤberhaupt Sinn
haͤtte, ſo viel wie tauſend beweiſen.
Zu dieſem philologiſchen Beſtreben hat
ſich das pſychologiſche geſellt, indem man ſich
große Muͤhe gegeben, viele Erzaͤhlungen, die
offenbar juͤdiſche Fabeln ſind, erfunden nach
der Anleitung meſſianiſcher Weiſſagungen des
alten Teſtaments, (uͤber welche Quelle die Ur¬
heber ſogar ſelbſt keinen Zweifel zulaſſen, in¬
dem ſie hinzuſetzen: es habe geſchehen muͤſ¬
ſen, damit erfuͤllet wuͤrde, was geſchrieben
ſtehe), aus pſychologiſchen Taͤuſchungen begreif¬
lich zu machen.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/212>, abgerufen am 24.11.2024.
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