sen sind. Schon in dem Geiste des Heiden¬ bekehrers Paulus ist das Christenthum etwas anderes geworden, als es in dem des ersten Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit sollen wir stehen bleiben, die nur willkühr¬ lich angenommen werden kann, sondern seine ganze Geschichte und die Welt, die es ge¬ schaffen, vor Augen haben.
Zu den Operationen der neueren Aufklä¬ rerey, welche in Bezug auf das Christen¬ thum eher die Ausklärerey heißen könnte, ge¬ hört allerdings auch das Vorgeben, es, wie man sagt, auf seinen ursprünglichen Sinn, seine erste Einfachheit zurückzuführen, in wel¬ cher Gestalt sie es auch das Urchristenthum nen¬ nen. Man sollte denken, die christlichen Re¬ ligionslehrer müßten es den späteren Zeiten Dank wissen, daß sie aus dem dürftigen In¬ halt der ersten Religionsbücher so viel specu¬ lativen Stoff gezogen und diesen zu einem System ausgebildet haben. Bequemer mag es freylich seyn, von dem scholastischen Wust der alten Dogmatik zu reden, dagegen popu¬
ſen ſind. Schon in dem Geiſte des Heiden¬ bekehrers Paulus iſt das Chriſtenthum etwas anderes geworden, als es in dem des erſten Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit ſollen wir ſtehen bleiben, die nur willkuͤhr¬ lich angenommen werden kann, ſondern ſeine ganze Geſchichte und die Welt, die es ge¬ ſchaffen, vor Augen haben.
Zu den Operationen der neueren Aufklaͤ¬ rerey, welche in Bezug auf das Chriſten¬ thum eher die Ausklaͤrerey heißen koͤnnte, ge¬ hoͤrt allerdings auch das Vorgeben, es, wie man ſagt, auf ſeinen urſpruͤnglichen Sinn, ſeine erſte Einfachheit zuruͤckzufuͤhren, in wel¬ cher Geſtalt ſie es auch das Urchriſtenthum nen¬ nen. Man ſollte denken, die chriſtlichen Re¬ ligionslehrer muͤßten es den ſpaͤteren Zeiten Dank wiſſen, daß ſie aus dem duͤrftigen In¬ halt der erſten Religionsbuͤcher ſo viel ſpecu¬ lativen Stoff gezogen und dieſen zu einem Syſtem ausgebildet haben. Bequemer mag es freylich ſeyn, von dem ſcholaſtiſchen Wuſt der alten Dogmatik zu reden, dagegen popu¬
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[198/0207]
ſen ſind. Schon in dem Geiſte des Heiden¬
bekehrers Paulus iſt das Chriſtenthum etwas
anderes geworden, als es in dem des erſten
Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit
ſollen wir ſtehen bleiben, die nur willkuͤhr¬
lich angenommen werden kann, ſondern ſeine
ganze Geſchichte und die Welt, die es ge¬
ſchaffen, vor Augen haben.
Zu den Operationen der neueren Aufklaͤ¬
rerey, welche in Bezug auf das Chriſten¬
thum eher die Ausklaͤrerey heißen koͤnnte, ge¬
hoͤrt allerdings auch das Vorgeben, es, wie
man ſagt, auf ſeinen urſpruͤnglichen Sinn,
ſeine erſte Einfachheit zuruͤckzufuͤhren, in wel¬
cher Geſtalt ſie es auch das Urchriſtenthum nen¬
nen. Man ſollte denken, die chriſtlichen Re¬
ligionslehrer muͤßten es den ſpaͤteren Zeiten
Dank wiſſen, daß ſie aus dem duͤrftigen In¬
halt der erſten Religionsbuͤcher ſo viel ſpecu¬
lativen Stoff gezogen und dieſen zu einem
Syſtem ausgebildet haben. Bequemer mag
es freylich ſeyn, von dem ſcholaſtiſchen Wuſt
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/207>, abgerufen am 24.11.2024.
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