Wie der Dogmatismus in der Philoso¬ phie ist der gleiche in der Theologie ein Ver¬ setzen dessen, was nur absolut erkannt wer¬ den kann, auf den empirischen Gesichtspunct des Verstandes. Kant hat weder den einen noch den andern in der Wurzel angegriffen, da er nichts positives an ihre Stelle zu setzen wußte. Insbesondere nach seinem Vorschlag, beym Volksunterricht die Bibel moralisch aus¬ legen, hieße nur die empirische Erscheinung des Christenthums zu Zwecken, die ohne Mis¬ deutung gar nicht erreicht werden können, ge¬ brauchen, aber nicht sich über dieselbe zur Idee erheben.
Die ersten Bücher der Geschichte und Lehre des Christenthums sind selbst nichts, als auch eine besondere, noch dazu unvollkommne Erscheinung desselben; seine Idee ist nicht in diesen Büchern zu suchen, deren Werth erst nach dem Maaß bestimmt werden muß, in welchem sie jene ausdrücken und ihr angemes¬
licher Motive der Sittlichkeit angenommen wird.
Wie der Dogmatismus in der Philoſo¬ phie iſt der gleiche in der Theologie ein Ver¬ ſetzen deſſen, was nur abſolut erkannt wer¬ den kann, auf den empiriſchen Geſichtspunct des Verſtandes. Kant hat weder den einen noch den andern in der Wurzel angegriffen, da er nichts poſitives an ihre Stelle zu ſetzen wußte. Insbeſondere nach ſeinem Vorſchlag, beym Volksunterricht die Bibel moraliſch aus¬ legen, hieße nur die empiriſche Erſcheinung des Chriſtenthums zu Zwecken, die ohne Mis¬ deutung gar nicht erreicht werden koͤnnen, ge¬ brauchen, aber nicht ſich uͤber dieſelbe zur Idee erheben.
Die erſten Buͤcher der Geſchichte und Lehre des Chriſtenthums ſind ſelbſt nichts, als auch eine beſondere, noch dazu unvollkommne Erſcheinung deſſelben; ſeine Idee iſt nicht in dieſen Buͤchern zu ſuchen, deren Werth erſt nach dem Maaß beſtimmt werden muß, in welchem ſie jene ausdruͤcken und ihr angemeſ¬
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[197/0206]
licher Motive der Sittlichkeit angenommen
wird.
Wie der Dogmatismus in der Philoſo¬
phie iſt der gleiche in der Theologie ein Ver¬
ſetzen deſſen, was nur abſolut erkannt wer¬
den kann, auf den empiriſchen Geſichtspunct
des Verſtandes. Kant hat weder den einen
noch den andern in der Wurzel angegriffen,
da er nichts poſitives an ihre Stelle zu ſetzen
wußte. Insbeſondere nach ſeinem Vorſchlag,
beym Volksunterricht die Bibel moraliſch aus¬
legen, hieße nur die empiriſche Erſcheinung
des Chriſtenthums zu Zwecken, die ohne Mis¬
deutung gar nicht erreicht werden koͤnnen, ge¬
brauchen, aber nicht ſich uͤber dieſelbe zur
Idee erheben.
Die erſten Buͤcher der Geſchichte und
Lehre des Chriſtenthums ſind ſelbſt nichts, als
auch eine beſondere, noch dazu unvollkommne
Erſcheinung deſſelben; ſeine Idee iſt nicht in
dieſen Buͤchern zu ſuchen, deren Werth erſt
nach dem Maaß beſtimmt werden muß, in
welchem ſie jene ausdruͤcken und ihr angemeſ¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/206>, abgerufen am 25.11.2024.
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