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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

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ahndende Anticipation desselben, das Erste,
wodurch er ausgesprochen wurde. Das römi¬
sche Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum
Christenthum, ehe Constantin das Kreuz zum
Panier der neuen Weltherrschaft wählte; die
vollste Befriedigung durch alles Aeußere führ¬
te die Sehnsucht nach dem Innern und Un¬
sichtbaren herbey, ein zerfallendes Reich, des¬
sen Macht bloß zeitlich war, der verlorne
Muth zum Objectiven, das Unglück der Zeit
mußten die allgemeine Empfänglichkeit für ei¬
ne Religion schaffen, welche den Menschen
an das Ideale zurückwieß, Verläugnung lehrte
und zum Glück machte.

Die christlichen Religionslehrer können
keine ihrer historischen Behauptungen recht¬
fertigen, ohne zuvor die höhere Ansicht der
Geschichte selbst, welche durch die Philoso¬
phie wie durch das Christenthum vorge¬
schrieben ist, zu der ihrigen gemacht zu ha¬
ben. Sie haben lange genug mit dem Un¬
glauben auf seinem eigenen Boden gekämpft,
anstatt diesen, als den Standpunct, auf wel¬

ahndende Anticipation deſſelben, das Erſte,
wodurch er ausgeſprochen wurde. Das roͤmi¬
ſche Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum
Chriſtenthum, ehe Conſtantin das Kreuz zum
Panier der neuen Weltherrſchaft waͤhlte; die
vollſte Befriedigung durch alles Aeußere fuͤhr¬
te die Sehnſucht nach dem Innern und Un¬
ſichtbaren herbey, ein zerfallendes Reich, deſ¬
ſen Macht bloß zeitlich war, der verlorne
Muth zum Objectiven, das Ungluͤck der Zeit
mußten die allgemeine Empfaͤnglichkeit fuͤr ei¬
ne Religion ſchaffen, welche den Menſchen
an das Ideale zuruͤckwieß, Verlaͤugnung lehrte
und zum Gluͤck machte.

Die chriſtlichen Religionslehrer koͤnnen
keine ihrer hiſtoriſchen Behauptungen recht¬
fertigen, ohne zuvor die hoͤhere Anſicht der
Geſchichte ſelbſt, welche durch die Philoſo¬
phie wie durch das Chriſtenthum vorge¬
ſchrieben iſt, zu der ihrigen gemacht zu ha¬
ben. Sie haben lange genug mit dem Un¬
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[191/0200] ahndende Anticipation deſſelben, das Erſte, wodurch er ausgeſprochen wurde. Das roͤmi¬ ſche Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum Chriſtenthum, ehe Conſtantin das Kreuz zum Panier der neuen Weltherrſchaft waͤhlte; die vollſte Befriedigung durch alles Aeußere fuͤhr¬ te die Sehnſucht nach dem Innern und Un¬ ſichtbaren herbey, ein zerfallendes Reich, deſ¬ ſen Macht bloß zeitlich war, der verlorne Muth zum Objectiven, das Ungluͤck der Zeit mußten die allgemeine Empfaͤnglichkeit fuͤr ei¬ ne Religion ſchaffen, welche den Menſchen an das Ideale zuruͤckwieß, Verlaͤugnung lehrte und zum Gluͤck machte. Die chriſtlichen Religionslehrer koͤnnen keine ihrer hiſtoriſchen Behauptungen recht¬ fertigen, ohne zuvor die hoͤhere Anſicht der Geſchichte ſelbſt, welche durch die Philoſo¬ phie wie durch das Chriſtenthum vorge¬ ſchrieben iſt, zu der ihrigen gemacht zu ha¬ ben. Sie haben lange genug mit dem Un¬ glauben auf ſeinem eigenen Boden gekaͤmpft, anſtatt dieſen, als den Standpunct, auf wel¬

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/200>, abgerufen am 24.11.2024.