Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

wenigstens unter ihnen nicht den allgemeinen
Enthusiasmus, mit dem sie in der neueren
Welt aufgenommen wurden. Die höchste Re¬
ligiosität, die sich in dem christlichen Mysticis¬
mus ausdrückte, hielt das Geheimniß der Na¬
tur und das der Menschwerdung Gottes für
Eins und Dasselbe.

Ich habe schon anderwärts (im System
des transcendentalen Idealismus) gezeigt, daß
wir überhaupt drey Perioden der Geschichte,
die der Natur, des Schicksals und der Vorse¬
hung annehmen müssen. Diese drey Ideen
drücken dieselbe Identität, aber auf verschiedene
Weise aus. Auch das Schicksal ist Vorsehung,
aber im Realen erkannt, wie die Vorsehung
auch Schicksal ist, aber im Idealen angeschaut.
Die ewige Nothwendigkeit offenbart sich, in
der Zeit der Identität mit ihr, als Natur, wo
der Widerstreit des Unendlichen und Endlichen
noch im gemeinschaftlichen Keim des Endlichen
verschlossen ruht. So in der Zeit der schönsten
Blüthe der griechischen Religion und Poesie.
Mit dem Abfall von ihr offenbart sie sich als

wenigſtens unter ihnen nicht den allgemeinen
Enthuſiasmus, mit dem ſie in der neueren
Welt aufgenommen wurden. Die hoͤchſte Re¬
ligioſitaͤt, die ſich in dem chriſtlichen Myſticis¬
mus ausdruͤckte, hielt das Geheimniß der Na¬
tur und das der Menſchwerdung Gottes fuͤr
Eins und Daſſelbe.

Ich habe ſchon anderwaͤrts (im Syſtem
des transcendentalen Idealismus) gezeigt, daß
wir uͤberhaupt drey Perioden der Geſchichte,
die der Natur, des Schickſals und der Vorſe¬
hung annehmen muͤſſen. Dieſe drey Ideen
druͤcken dieſelbe Identitaͤt, aber auf verſchiedene
Weiſe aus. Auch das Schickſal iſt Vorſehung,
aber im Realen erkannt, wie die Vorſehung
auch Schickſal iſt, aber im Idealen angeſchaut.
Die ewige Nothwendigkeit offenbart ſich, in
der Zeit der Identitaͤt mit ihr, als Natur, wo
der Widerſtreit des Unendlichen und Endlichen
noch im gemeinſchaftlichen Keim des Endlichen
verſchloſſen ruht. So in der Zeit der ſchoͤnſten
Bluͤthe der griechiſchen Religion und Poeſie.
Mit dem Abfall von ihr offenbart ſie ſich als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0184" n="175"/>
wenig&#x017F;tens unter ihnen nicht den allgemeinen<lb/>
Enthu&#x017F;iasmus, mit dem &#x017F;ie in der neueren<lb/>
Welt aufgenommen wurden. Die ho&#x0364;ch&#x017F;te Re¬<lb/>
ligio&#x017F;ita&#x0364;t, die &#x017F;ich in dem chri&#x017F;tlichen My&#x017F;ticis¬<lb/>
mus ausdru&#x0364;ckte, hielt das Geheimniß der Na¬<lb/>
tur und das der Men&#x017F;chwerdung Gottes fu&#x0364;r<lb/>
Eins und Da&#x017F;&#x017F;elbe.</p><lb/>
        <p>Ich habe &#x017F;chon anderwa&#x0364;rts (im Sy&#x017F;tem<lb/>
des transcendentalen Idealismus) gezeigt, daß<lb/>
wir u&#x0364;berhaupt drey Perioden der Ge&#x017F;chichte,<lb/>
die der Natur, des Schick&#x017F;als und der Vor&#x017F;<lb/>
hung annehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;e drey Ideen<lb/>
dru&#x0364;cken die&#x017F;elbe Identita&#x0364;t, aber auf ver&#x017F;chiedene<lb/>
Wei&#x017F;e aus. Auch das Schick&#x017F;al i&#x017F;t Vor&#x017F;ehung,<lb/>
aber im Realen erkannt, wie die Vor&#x017F;ehung<lb/>
auch Schick&#x017F;al i&#x017F;t, aber im Idealen ange&#x017F;chaut.<lb/>
Die ewige Nothwendigkeit offenbart &#x017F;ich, in<lb/>
der Zeit der Identita&#x0364;t mit ihr, als Natur, wo<lb/>
der Wider&#x017F;treit des Unendlichen und Endlichen<lb/>
noch im gemein&#x017F;chaftlichen Keim des Endlichen<lb/>
ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en ruht. So in der Zeit der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
Blu&#x0364;the der griechi&#x017F;chen Religion und Poe&#x017F;ie.<lb/>
Mit dem Abfall von ihr offenbart &#x017F;ie &#x017F;ich als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0184] wenigſtens unter ihnen nicht den allgemeinen Enthuſiasmus, mit dem ſie in der neueren Welt aufgenommen wurden. Die hoͤchſte Re¬ ligioſitaͤt, die ſich in dem chriſtlichen Myſticis¬ mus ausdruͤckte, hielt das Geheimniß der Na¬ tur und das der Menſchwerdung Gottes fuͤr Eins und Daſſelbe. Ich habe ſchon anderwaͤrts (im Syſtem des transcendentalen Idealismus) gezeigt, daß wir uͤberhaupt drey Perioden der Geſchichte, die der Natur, des Schickſals und der Vorſe¬ hung annehmen muͤſſen. Dieſe drey Ideen druͤcken dieſelbe Identitaͤt, aber auf verſchiedene Weiſe aus. Auch das Schickſal iſt Vorſehung, aber im Realen erkannt, wie die Vorſehung auch Schickſal iſt, aber im Idealen angeſchaut. Die ewige Nothwendigkeit offenbart ſich, in der Zeit der Identitaͤt mit ihr, als Natur, wo der Widerſtreit des Unendlichen und Endlichen noch im gemeinſchaftlichen Keim des Endlichen verſchloſſen ruht. So in der Zeit der ſchoͤnſten Bluͤthe der griechiſchen Religion und Poeſie. Mit dem Abfall von ihr offenbart ſie ſich als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/184
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/184>, abgerufen am 25.11.2024.