tion dieser sittlichen Organisation ist eine ganz gleiche Aufgabe mit der der Construction der Natur, und ruht auf spekulativen Ideen. Der Zerfall der äußern und innern sittlichen Einheit müßte sich durch den Zerfall der Philosophie und die Auflösung der Ideen ausdrücken. So lange es aber nur die sichtbare Ohnmacht ist, welche die Sache des gemeinen Verstandes, da er in seiner natürlichen Gestalt nicht mehr er¬ scheinen kann, unter dem erborgten Namen der Sittlichkeit führt, ist dieser kraftlose Chor nur die nothwendige, der Schwachheit zugegebene, Begleitung des energischen Rhythmus der Zeit.
Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff derselben lange genug bloß negativ gewesen, in ihren positiven Formen zu offenbaren, wird ein Werk der Philosophie seyn. Die Scheu vor der Spekulation, das angebliche Forteilen vom bloß Theoretischen zum Praktischen, bewirkt im Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie im Wissen. Das Studium einer streng theo¬ retischen Philosophie macht uns am unmittel¬ barsten mit Ideen vertraut, und nur Ideen
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tion dieſer ſittlichen Organiſation iſt eine ganz gleiche Aufgabe mit der der Conſtruction der Natur, und ruht auf ſpekulativen Ideen. Der Zerfall der aͤußern und innern ſittlichen Einheit muͤßte ſich durch den Zerfall der Philoſophie und die Aufloͤſung der Ideen ausdruͤcken. So lange es aber nur die ſichtbare Ohnmacht iſt, welche die Sache des gemeinen Verſtandes, da er in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt nicht mehr er¬ ſcheinen kann, unter dem erborgten Namen der Sittlichkeit fuͤhrt, iſt dieſer kraftloſe Chor nur die nothwendige, der Schwachheit zugegebene, Begleitung des energiſchen Rhythmus der Zeit.
Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff derſelben lange genug bloß negativ geweſen, in ihren poſitiven Formen zu offenbaren, wird ein Werk der Philoſophie ſeyn. Die Scheu vor der Spekulation, das angebliche Forteilen vom bloß Theoretiſchen zum Praktiſchen, bewirkt im Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie im Wiſſen. Das Studium einer ſtreng theo¬ retiſchen Philoſophie macht uns am unmittel¬ barſten mit Ideen vertraut, und nur Ideen
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tion dieſer ſittlichen Organiſation iſt eine ganz
gleiche Aufgabe mit der der Conſtruction der
Natur, und ruht auf ſpekulativen Ideen. Der
Zerfall der aͤußern und innern ſittlichen Einheit
muͤßte ſich durch den Zerfall der Philoſophie
und die Aufloͤſung der Ideen ausdruͤcken. So
lange es aber nur die ſichtbare Ohnmacht iſt,
welche die Sache des gemeinen Verſtandes, da
er in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt nicht mehr er¬
ſcheinen kann, unter dem erborgten Namen der
Sittlichkeit fuͤhrt, iſt dieſer kraftloſe Chor nur
die nothwendige, der Schwachheit zugegebene,
Begleitung des energiſchen Rhythmus der Zeit.
Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff
derſelben lange genug bloß negativ geweſen, in
ihren poſitiven Formen zu offenbaren, wird ein
Werk der Philoſophie ſeyn. Die Scheu vor
der Spekulation, das angebliche Forteilen vom
bloß Theoretiſchen zum Praktiſchen, bewirkt im
Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie
im Wiſſen. Das Studium einer ſtreng theo¬
retiſchen Philoſophie macht uns am unmittel¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/156>, abgerufen am 25.11.2024.
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