kennt, womit sie in jener Eins ist, so hat sie die nothwendige Tendenz, alles im Menschen ei¬ nem Causalzusammenhang unterzuordnen, nichts zuzugeben, was unmittelbar aus dem Absolu¬ ten oder Wesen selbst käme, und hiemit alles Hohe und Ungemeine herabzuwürdigen. Die großen Thaten der vergangenen Zeit erscheinen, unter das psychologische Messer genommen, als das natürliche Resultat einiger ganz begreifli¬ chen Motive. Die Ideen der Philosophie er¬ klären sich aus mehreren sehr groben psychologi¬ schen Täuschungen. Die Werke der alten gro¬ ßen Meister der Kunst erscheinen als das na¬ türliche Spiel einiger besondern Gemüthskräfte, und wenn z. B. Shakespeare ein großer Dich¬ ter ist, so ist es wegen seiner vortrefflichen Kenntniß des menschlichen Herzens und seiner äußerst feinen Psychologie. Ein Hauptresultat dieser Lehre ist das allgemeine Applanirungssy¬ stem der Kräfte. Wozu soll es doch etwas wie Einbildungskraft, Genie u. s. w. geben? Im Grunde sind doch alle einander gleich, und was man mit jenen Worten bezeichnet, ist doch nur
kennt, womit ſie in jener Eins iſt, ſo hat ſie die nothwendige Tendenz, alles im Menſchen ei¬ nem Cauſalzuſammenhang unterzuordnen, nichts zuzugeben, was unmittelbar aus dem Abſolu¬ ten oder Weſen ſelbſt kaͤme, und hiemit alles Hohe und Ungemeine herabzuwuͤrdigen. Die großen Thaten der vergangenen Zeit erſcheinen, unter das pſychologiſche Meſſer genommen, als das natuͤrliche Reſultat einiger ganz begreifli¬ chen Motive. Die Ideen der Philoſophie er¬ klaͤren ſich aus mehreren ſehr groben pſychologi¬ ſchen Taͤuſchungen. Die Werke der alten gro¬ ßen Meiſter der Kunſt erſcheinen als das na¬ tuͤrliche Spiel einiger beſondern Gemuͤthskraͤfte, und wenn z. B. Shakeſpeare ein großer Dich¬ ter iſt, ſo iſt es wegen ſeiner vortrefflichen Kenntniß des menſchlichen Herzens und ſeiner aͤußerſt feinen Pſychologie. Ein Hauptreſultat dieſer Lehre iſt das allgemeine Applanirungsſy¬ ſtem der Kraͤfte. Wozu ſoll es doch etwas wie Einbildungskraft, Genie u. ſ. w. geben? Im Grunde ſind doch alle einander gleich, und was man mit jenen Worten bezeichnet, iſt doch nur
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kennt, womit ſie in jener Eins iſt, ſo hat ſie
die nothwendige Tendenz, alles im Menſchen ei¬
nem Cauſalzuſammenhang unterzuordnen, nichts
zuzugeben, was unmittelbar aus dem Abſolu¬
ten oder Weſen ſelbſt kaͤme, und hiemit alles
Hohe und Ungemeine herabzuwuͤrdigen. Die
großen Thaten der vergangenen Zeit erſcheinen,
unter das pſychologiſche Meſſer genommen, als
das natuͤrliche Reſultat einiger ganz begreifli¬
chen Motive. Die Ideen der Philoſophie er¬
klaͤren ſich aus mehreren ſehr groben pſychologi¬
ſchen Taͤuſchungen. Die Werke der alten gro¬
ßen Meiſter der Kunſt erſcheinen als das na¬
tuͤrliche Spiel einiger beſondern Gemuͤthskraͤfte,
und wenn z. B. Shakeſpeare ein großer Dich¬
ter iſt, ſo iſt es wegen ſeiner vortrefflichen
Kenntniß des menſchlichen Herzens und ſeiner
aͤußerſt feinen Pſychologie. Ein Hauptreſultat
dieſer Lehre iſt das allgemeine Applanirungsſy¬
ſtem der Kraͤfte. Wozu ſoll es doch etwas wie
Einbildungskraft, Genie u. ſ. w. geben? Im
Grunde ſind doch alle einander gleich, und was
man mit jenen Worten bezeichnet, iſt doch nur
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/141>, abgerufen am 22.11.2024.
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