dem Bedingten das Unbedingte zu ermessen, das Endliche zum Unendlichen auszudehnen sucht. Die Art zu schließen, welche in dem Gebiet des Abhängigen von dem einen zum an¬ dern reicht, soll ihm hier über die Kluft vom Abgeleiteten zum Absoluten helfen. -- In der Regel versteigt er sich nicht einmal so weit, sondern bleibt unmittelbar bey dem, was er seine Thatsachen nennt, stehen. Die bescheidenste Philosophie in dieser Richtung ist die, welche allgemein zwar die Erfahrung als die einzige oder Hauptquelle realer Er¬ kenntniß ausgiebt: übrigens aber von den Ideen zuläßt, daß sie vielleicht Realität ha¬ ben, die ihnen nur für unser Wissen gänzlich fehle. Man kann wohl sagen, daß eine sol¬ che Philosophie studieren schlimmer ist, als überhaupt keine kennen. Eben über die That¬ sachen des Bewußtseyns zu Etwas, was an sich selbst absolut wäre, hinaus zu kommen, ist die ursprüngliche Absicht aller Philosophie: diese Thatsachen-Erzählung dafür auszuge¬ ben, würde denen, die es pflegen, nicht ein¬
dem Bedingten das Unbedingte zu ermeſſen, das Endliche zum Unendlichen auszudehnen ſucht. Die Art zu ſchließen, welche in dem Gebiet des Abhaͤngigen von dem einen zum an¬ dern reicht, ſoll ihm hier uͤber die Kluft vom Abgeleiteten zum Abſoluten helfen. — In der Regel verſteigt er ſich nicht einmal ſo weit, ſondern bleibt unmittelbar bey dem, was er ſeine Thatſachen nennt, ſtehen. Die beſcheidenſte Philoſophie in dieſer Richtung iſt die, welche allgemein zwar die Erfahrung als die einzige oder Hauptquelle realer Er¬ kenntniß ausgiebt: uͤbrigens aber von den Ideen zulaͤßt, daß ſie vielleicht Realitaͤt ha¬ ben, die ihnen nur fuͤr unſer Wiſſen gaͤnzlich fehle. Man kann wohl ſagen, daß eine ſol¬ che Philoſophie ſtudieren ſchlimmer iſt, als uͤberhaupt keine kennen. Eben uͤber die That¬ ſachen des Bewußtſeyns zu Etwas, was an ſich ſelbſt abſolut waͤre, hinaus zu kommen, iſt die urſpruͤngliche Abſicht aller Philoſophie: dieſe Thatſachen-Erzaͤhlung dafuͤr auszuge¬ ben, wuͤrde denen, die es pflegen, nicht ein¬
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dem Bedingten das Unbedingte zu ermeſſen,
das Endliche zum Unendlichen auszudehnen
ſucht. Die Art zu ſchließen, welche in dem
Gebiet des Abhaͤngigen von dem einen zum an¬
dern reicht, ſoll ihm hier uͤber die Kluft vom
Abgeleiteten zum Abſoluten helfen. — In
der Regel verſteigt er ſich nicht einmal ſo
weit, ſondern bleibt unmittelbar bey dem,
was er ſeine Thatſachen nennt, ſtehen. Die
beſcheidenſte Philoſophie in dieſer Richtung
iſt die, welche allgemein zwar die Erfahrung
als die einzige oder Hauptquelle realer Er¬
kenntniß ausgiebt: uͤbrigens aber von den
Ideen zulaͤßt, daß ſie vielleicht Realitaͤt ha¬
ben, die ihnen nur fuͤr unſer Wiſſen gaͤnzlich
fehle. Man kann wohl ſagen, daß eine ſol¬
che Philoſophie ſtudieren ſchlimmer iſt, als
uͤberhaupt keine kennen. Eben uͤber die That¬
ſachen des Bewußtſeyns zu Etwas, was an
ſich ſelbſt abſolut waͤre, hinaus zu kommen,
iſt die urſpruͤngliche Abſicht aller Philoſophie:
dieſe Thatſachen-Erzaͤhlung dafuͤr auszuge¬
ben, wuͤrde denen, die es pflegen, nicht ein¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/135>, abgerufen am 25.11.2024.
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