Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

von Natur philosophiren könne, als man sich
von Natur besinnen oder Gedanken verbin¬
den kann. Die Meisten derjenigen, wel¬
che gegenwärtig in der Philosophie urtheilen
oder gar sich einfallen lassen, eigne Systeme
auf die Bahn zu bringen, könnten sich von
diesem Dünkel schon durch die Kenntniß des zu¬
vor Gewesenen sattsam heilen. Es würde dann
seltner geschehen, was so sehr gewöhnlich ist:
daß man zu Irrthümern, die man schon ab¬
gelegt hat, durch seichtere Gründe, als welche
man selbst dafür zu haben glaubte, bekehrt
werden soll; seltner, daß jemand sich überre¬
dete, mit ein Paar Wortformeln den Geist
der Philosophie zu beschwören und die großen
Gegenstände derselben zu fassen.

Das, was von der Philosophie, nicht
zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬
terricht geübt werden kann, ist die Kunstseite
dieser Wissenschaft, oder was man allgemein
Dialektik nennen kann. Ohne dialektische Kunst
ist keine wissenschaftliche Philosophie! Schon
ihre Absicht, Alles als Eins darzustellen und

von Natur philoſophiren koͤnne, als man ſich
von Natur beſinnen oder Gedanken verbin¬
den kann. Die Meiſten derjenigen, wel¬
che gegenwaͤrtig in der Philoſophie urtheilen
oder gar ſich einfallen laſſen, eigne Syſteme
auf die Bahn zu bringen, koͤnnten ſich von
dieſem Duͤnkel ſchon durch die Kenntniß des zu¬
vor Geweſenen ſattſam heilen. Es wuͤrde dann
ſeltner geſchehen, was ſo ſehr gewoͤhnlich iſt:
daß man zu Irrthuͤmern, die man ſchon ab¬
gelegt hat, durch ſeichtere Gruͤnde, als welche
man ſelbſt dafuͤr zu haben glaubte, bekehrt
werden ſoll; ſeltner, daß jemand ſich uͤberre¬
dete, mit ein Paar Wortformeln den Geiſt
der Philoſophie zu beſchwoͤren und die großen
Gegenſtaͤnde derſelben zu faſſen.

Das, was von der Philoſophie, nicht
zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬
terricht geuͤbt werden kann, iſt die Kunſtſeite
dieſer Wiſſenſchaft, oder was man allgemein
Dialektik nennen kann. Ohne dialektiſche Kunſt
iſt keine wiſſenſchaftliche Philoſophie! Schon
ihre Abſicht, Alles als Eins darzuſtellen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0131" n="122"/>
von Natur philo&#x017F;ophiren ko&#x0364;nne, als man &#x017F;ich<lb/>
von Natur be&#x017F;innen oder Gedanken verbin¬<lb/>
den kann. Die Mei&#x017F;ten derjenigen, wel¬<lb/>
che gegenwa&#x0364;rtig in der Philo&#x017F;ophie urtheilen<lb/>
oder gar &#x017F;ich einfallen la&#x017F;&#x017F;en, eigne Sy&#x017F;teme<lb/>
auf die Bahn zu bringen, ko&#x0364;nnten &#x017F;ich von<lb/>
die&#x017F;em Du&#x0364;nkel &#x017F;chon durch die Kenntniß des zu¬<lb/>
vor Gewe&#x017F;enen &#x017F;att&#x017F;am heilen. Es wu&#x0364;rde dann<lb/>
&#x017F;eltner ge&#x017F;chehen, was &#x017F;o &#x017F;ehr gewo&#x0364;hnlich i&#x017F;t:<lb/>
daß man zu Irrthu&#x0364;mern, die man &#x017F;chon ab¬<lb/>
gelegt hat, durch &#x017F;eichtere Gru&#x0364;nde, als welche<lb/>
man &#x017F;elb&#x017F;t dafu&#x0364;r zu haben glaubte, bekehrt<lb/>
werden &#x017F;oll; &#x017F;eltner, daß jemand &#x017F;ich u&#x0364;berre¬<lb/>
dete, mit ein Paar Wortformeln den Gei&#x017F;t<lb/>
der Philo&#x017F;ophie zu be&#x017F;chwo&#x0364;ren und die großen<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der&#x017F;elben zu fa&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Das, was von der Philo&#x017F;ophie, nicht<lb/>
zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬<lb/>
terricht geu&#x0364;bt werden kann, i&#x017F;t die Kun&#x017F;t&#x017F;eite<lb/>
die&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, oder was man allgemein<lb/>
Dialektik nennen kann. Ohne dialekti&#x017F;che Kun&#x017F;t<lb/>
i&#x017F;t keine wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Philo&#x017F;ophie! Schon<lb/>
ihre Ab&#x017F;icht, Alles als Eins darzu&#x017F;tellen und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0131] von Natur philoſophiren koͤnne, als man ſich von Natur beſinnen oder Gedanken verbin¬ den kann. Die Meiſten derjenigen, wel¬ che gegenwaͤrtig in der Philoſophie urtheilen oder gar ſich einfallen laſſen, eigne Syſteme auf die Bahn zu bringen, koͤnnten ſich von dieſem Duͤnkel ſchon durch die Kenntniß des zu¬ vor Geweſenen ſattſam heilen. Es wuͤrde dann ſeltner geſchehen, was ſo ſehr gewoͤhnlich iſt: daß man zu Irrthuͤmern, die man ſchon ab¬ gelegt hat, durch ſeichtere Gruͤnde, als welche man ſelbſt dafuͤr zu haben glaubte, bekehrt werden ſoll; ſeltner, daß jemand ſich uͤberre¬ dete, mit ein Paar Wortformeln den Geiſt der Philoſophie zu beſchwoͤren und die großen Gegenſtaͤnde derſelben zu faſſen. Das, was von der Philoſophie, nicht zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬ terricht geuͤbt werden kann, iſt die Kunſtſeite dieſer Wiſſenſchaft, oder was man allgemein Dialektik nennen kann. Ohne dialektiſche Kunſt iſt keine wiſſenſchaftliche Philoſophie! Schon ihre Abſicht, Alles als Eins darzuſtellen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/131
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/131>, abgerufen am 25.11.2024.