von Natur philosophiren könne, als man sich von Natur besinnen oder Gedanken verbin¬ den kann. Die Meisten derjenigen, wel¬ che gegenwärtig in der Philosophie urtheilen oder gar sich einfallen lassen, eigne Systeme auf die Bahn zu bringen, könnten sich von diesem Dünkel schon durch die Kenntniß des zu¬ vor Gewesenen sattsam heilen. Es würde dann seltner geschehen, was so sehr gewöhnlich ist: daß man zu Irrthümern, die man schon ab¬ gelegt hat, durch seichtere Gründe, als welche man selbst dafür zu haben glaubte, bekehrt werden soll; seltner, daß jemand sich überre¬ dete, mit ein Paar Wortformeln den Geist der Philosophie zu beschwören und die großen Gegenstände derselben zu fassen.
Das, was von der Philosophie, nicht zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬ terricht geübt werden kann, ist die Kunstseite dieser Wissenschaft, oder was man allgemein Dialektik nennen kann. Ohne dialektische Kunst ist keine wissenschaftliche Philosophie! Schon ihre Absicht, Alles als Eins darzustellen und
von Natur philoſophiren koͤnne, als man ſich von Natur beſinnen oder Gedanken verbin¬ den kann. Die Meiſten derjenigen, wel¬ che gegenwaͤrtig in der Philoſophie urtheilen oder gar ſich einfallen laſſen, eigne Syſteme auf die Bahn zu bringen, koͤnnten ſich von dieſem Duͤnkel ſchon durch die Kenntniß des zu¬ vor Geweſenen ſattſam heilen. Es wuͤrde dann ſeltner geſchehen, was ſo ſehr gewoͤhnlich iſt: daß man zu Irrthuͤmern, die man ſchon ab¬ gelegt hat, durch ſeichtere Gruͤnde, als welche man ſelbſt dafuͤr zu haben glaubte, bekehrt werden ſoll; ſeltner, daß jemand ſich uͤberre¬ dete, mit ein Paar Wortformeln den Geiſt der Philoſophie zu beſchwoͤren und die großen Gegenſtaͤnde derſelben zu faſſen.
Das, was von der Philoſophie, nicht zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬ terricht geuͤbt werden kann, iſt die Kunſtſeite dieſer Wiſſenſchaft, oder was man allgemein Dialektik nennen kann. Ohne dialektiſche Kunſt iſt keine wiſſenſchaftliche Philoſophie! Schon ihre Abſicht, Alles als Eins darzuſtellen und
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von Natur philoſophiren koͤnne, als man ſich
von Natur beſinnen oder Gedanken verbin¬
den kann. Die Meiſten derjenigen, wel¬
che gegenwaͤrtig in der Philoſophie urtheilen
oder gar ſich einfallen laſſen, eigne Syſteme
auf die Bahn zu bringen, koͤnnten ſich von
dieſem Duͤnkel ſchon durch die Kenntniß des zu¬
vor Geweſenen ſattſam heilen. Es wuͤrde dann
ſeltner geſchehen, was ſo ſehr gewoͤhnlich iſt:
daß man zu Irrthuͤmern, die man ſchon ab¬
gelegt hat, durch ſeichtere Gruͤnde, als welche
man ſelbſt dafuͤr zu haben glaubte, bekehrt
werden ſoll; ſeltner, daß jemand ſich uͤberre¬
dete, mit ein Paar Wortformeln den Geiſt
der Philoſophie zu beſchwoͤren und die großen
Gegenſtaͤnde derſelben zu faſſen.
Das, was von der Philoſophie, nicht
zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬
terricht geuͤbt werden kann, iſt die Kunſtſeite
dieſer Wiſſenſchaft, oder was man allgemein
Dialektik nennen kann. Ohne dialektiſche Kunſt
iſt keine wiſſenſchaftliche Philoſophie! Schon
ihre Abſicht, Alles als Eins darzuſtellen und
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/131>, abgerufen am 25.11.2024.
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