Daß diejenigen, die noch frisch, ohne vorgefaßte Meynungen, mit dem ersten noch unverfälschten Sinn für Wahrheit zu den Wis¬ senschaften kommen, vor jeder Luft eines Zwei¬ fels an dem, was bisher gegolten oder selbst der Gewißheit der Ungültigkeit sorgfältig be¬ wahrt und wie geistige Mumien einbalsamirt werden sollen, dafür habe ich wenigstens kei¬ nen Sinn.
Um nur in die andern Wissenschaften ein¬ dringen zu können, müssen sie die Idee der Wahrheit aus der Philosophie empfangen ha¬ ben, und gewiß wird jeder mit desto größerem Interesse zu einer Wissenschaft kommen, je mehr Ideen er zu ihr bringt; wie ich selbst während der Zeit, daß ich hier gelehrt habe, einen allgemeineren Eifer für alle Theile der Naturwissenschaft, durch die Wirkung der Phi¬ losophie habe aufleben sehen. Die von dem Schaden, welchen Philosophie bey der Ju¬ gend stiftet, so viel zu sagen wissen, befinden sich in einem von beyden folgenden Fällen. Entweder haben sie sich wirklich die Wissen¬
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Daß diejenigen, die noch friſch, ohne vorgefaßte Meynungen, mit dem erſten noch unverfaͤlſchten Sinn fuͤr Wahrheit zu den Wiſ¬ ſenſchaften kommen, vor jeder Luft eines Zwei¬ fels an dem, was bisher gegolten oder ſelbſt der Gewißheit der Unguͤltigkeit ſorgfaͤltig be¬ wahrt und wie geiſtige Mumien einbalſamirt werden ſollen, dafuͤr habe ich wenigſtens kei¬ nen Sinn.
Um nur in die andern Wiſſenſchaften ein¬ dringen zu koͤnnen, muͤſſen ſie die Idee der Wahrheit aus der Philoſophie empfangen ha¬ ben, und gewiß wird jeder mit deſto groͤßerem Intereſſe zu einer Wiſſenſchaft kommen, je mehr Ideen er zu ihr bringt; wie ich ſelbſt waͤhrend der Zeit, daß ich hier gelehrt habe, einen allgemeineren Eifer fuͤr alle Theile der Naturwiſſenſchaft, durch die Wirkung der Phi¬ loſophie habe aufleben ſehen. Die von dem Schaden, welchen Philoſophie bey der Ju¬ gend ſtiftet, ſo viel zu ſagen wiſſen, befinden ſich in einem von beyden folgenden Faͤllen. Entweder haben ſie ſich wirklich die Wiſſen¬
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Daß diejenigen, die noch friſch, ohne
vorgefaßte Meynungen, mit dem erſten noch
unverfaͤlſchten Sinn fuͤr Wahrheit zu den Wiſ¬
ſenſchaften kommen, vor jeder Luft eines Zwei¬
fels an dem, was bisher gegolten oder ſelbſt
der Gewißheit der Unguͤltigkeit ſorgfaͤltig be¬
wahrt und wie geiſtige Mumien einbalſamirt
werden ſollen, dafuͤr habe ich wenigſtens kei¬
nen Sinn.
Um nur in die andern Wiſſenſchaften ein¬
dringen zu koͤnnen, muͤſſen ſie die Idee der
Wahrheit aus der Philoſophie empfangen ha¬
ben, und gewiß wird jeder mit deſto groͤßerem
Intereſſe zu einer Wiſſenſchaft kommen, je
mehr Ideen er zu ihr bringt; wie ich ſelbſt
waͤhrend der Zeit, daß ich hier gelehrt habe,
einen allgemeineren Eifer fuͤr alle Theile der
Naturwiſſenſchaft, durch die Wirkung der Phi¬
loſophie habe aufleben ſehen. Die von dem
Schaden, welchen Philoſophie bey der Ju¬
gend ſtiftet, ſo viel zu ſagen wiſſen, befinden
ſich in einem von beyden folgenden Faͤllen.
Entweder haben ſie ſich wirklich die Wiſſen¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/122>, abgerufen am 24.11.2024.
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