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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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anderes als das Universum im höheren Gewand, in seiner absoluten
Gestalt, das wahre Universum an sich, Bild des Lebens und des wun-
dervollen Chaos in der göttlichen Imagination, selbst schon Poesie und
doch für sich wieder Stoff und Element der Poesie. Sie (die Mytho-
logie) ist die Welt und gleichsam der Boden, worin allein die Gewächse
der Kunst aufblühen und bestehen können. Nur innerhalb einer solchen
Welt sind bleibende und bestimmte Gestalten möglich, durch die allein
ewige Begriffe ausgedrückt werden können. Die Schöpfungen der Kunst
müssen dieselbe, ja noch eine höhere Realität haben als die der Natur,
die Götterformen, die so nothwendig und ewig fortdauern, als das
Geschlecht der Menschen oder das der Pflanzen, zugleich Individuen
und Gattungen und unsterblich wie diese 1.

Inwiefern Poesie das Bildende des Stoffes, wie Kunst im engeren
Sinn der Form ist, so ist die Mythologie die absolute Poesie, gleich-
sam die Poesie in Masse. Sie ist die ewige Materie, aus der alle
Formen so wundervoll, mannichfaltig hervorgehen.

§. 39. Darstellung des Absoluten mit absoluter In-
differenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen
ist nur symbolisch möglich
.

Erläuterung. Darstellung des Absoluten mit absoluter In-
differenz des Allgemeinen und Besonderen im Allgemeinen =
Philosophie -- Idee --. Darstellung des Absoluten mit absoluter
Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen im Besonderen =
Kunst. Der allgemeine Stoff dieser Darstellung = Mythologie. In
dieser also ist schon die zweite Synthese, die der Indifferenz des All-
gemeinen und Besonderen mit dem Besonderen gemacht. Der auf-
gestellte Satz ist demnach Princip der Construktion der Mythologie
überhaupt.

Um den Beweis dieses Satzes führen zu können, ist es nöthig,
daß wir eine Erklärung des Symbolischen geben; und da diese

1 Vergl. hierzu die späteren Aeußerungen in der Einleitung der Philos. der
Mythologie, S. 241 ff. und Philosophie der Offenbarung (2 Abth., Bd. 3)
S. 429. D. H.

anderes als das Univerſum im höheren Gewand, in ſeiner abſoluten
Geſtalt, das wahre Univerſum an ſich, Bild des Lebens und des wun-
dervollen Chaos in der göttlichen Imagination, ſelbſt ſchon Poeſie und
doch für ſich wieder Stoff und Element der Poeſie. Sie (die Mytho-
logie) iſt die Welt und gleichſam der Boden, worin allein die Gewächſe
der Kunſt aufblühen und beſtehen können. Nur innerhalb einer ſolchen
Welt ſind bleibende und beſtimmte Geſtalten möglich, durch die allein
ewige Begriffe ausgedrückt werden können. Die Schöpfungen der Kunſt
müſſen dieſelbe, ja noch eine höhere Realität haben als die der Natur,
die Götterformen, die ſo nothwendig und ewig fortdauern, als das
Geſchlecht der Menſchen oder das der Pflanzen, zugleich Individuen
und Gattungen und unſterblich wie dieſe 1.

Inwiefern Poeſie das Bildende des Stoffes, wie Kunſt im engeren
Sinn der Form iſt, ſo iſt die Mythologie die abſolute Poeſie, gleich-
ſam die Poeſie in Maſſe. Sie iſt die ewige Materie, aus der alle
Formen ſo wundervoll, mannichfaltig hervorgehen.

§. 39. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In-
differenz des Allgemeinen und Beſonderen im Beſonderen
iſt nur ſymboliſch möglich
.

Erläuterung. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In-
differenz des Allgemeinen und Beſonderen im Allgemeinen =
Philoſophie — Idee —. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter
Indifferenz des Allgemeinen und Beſonderen im Beſonderen =
Kunſt. Der allgemeine Stoff dieſer Darſtellung = Mythologie. In
dieſer alſo iſt ſchon die zweite Syntheſe, die der Indifferenz des All-
gemeinen und Beſonderen mit dem Beſonderen gemacht. Der auf-
geſtellte Satz iſt demnach Princip der Conſtruktion der Mythologie
überhaupt.

Um den Beweis dieſes Satzes führen zu können, iſt es nöthig,
daß wir eine Erklärung des Symboliſchen geben; und da dieſe

1 Vergl. hierzu die ſpäteren Aeußerungen in der Einleitung der Philoſ. der
Mythologie, S. 241 ff. und Philoſophie der Offenbarung (2 Abth., Bd. 3)
S. 429. D. H.
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[406/0082] anderes als das Univerſum im höheren Gewand, in ſeiner abſoluten Geſtalt, das wahre Univerſum an ſich, Bild des Lebens und des wun- dervollen Chaos in der göttlichen Imagination, ſelbſt ſchon Poeſie und doch für ſich wieder Stoff und Element der Poeſie. Sie (die Mytho- logie) iſt die Welt und gleichſam der Boden, worin allein die Gewächſe der Kunſt aufblühen und beſtehen können. Nur innerhalb einer ſolchen Welt ſind bleibende und beſtimmte Geſtalten möglich, durch die allein ewige Begriffe ausgedrückt werden können. Die Schöpfungen der Kunſt müſſen dieſelbe, ja noch eine höhere Realität haben als die der Natur, die Götterformen, die ſo nothwendig und ewig fortdauern, als das Geſchlecht der Menſchen oder das der Pflanzen, zugleich Individuen und Gattungen und unſterblich wie dieſe 1. Inwiefern Poeſie das Bildende des Stoffes, wie Kunſt im engeren Sinn der Form iſt, ſo iſt die Mythologie die abſolute Poeſie, gleich- ſam die Poeſie in Maſſe. Sie iſt die ewige Materie, aus der alle Formen ſo wundervoll, mannichfaltig hervorgehen. §. 39. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In- differenz des Allgemeinen und Beſonderen im Beſonderen iſt nur ſymboliſch möglich. Erläuterung. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter In- differenz des Allgemeinen und Beſonderen im Allgemeinen = Philoſophie — Idee —. Darſtellung des Abſoluten mit abſoluter Indifferenz des Allgemeinen und Beſonderen im Beſonderen = Kunſt. Der allgemeine Stoff dieſer Darſtellung = Mythologie. In dieſer alſo iſt ſchon die zweite Syntheſe, die der Indifferenz des All- gemeinen und Beſonderen mit dem Beſonderen gemacht. Der auf- geſtellte Satz iſt demnach Princip der Conſtruktion der Mythologie überhaupt. Um den Beweis dieſes Satzes führen zu können, iſt es nöthig, daß wir eine Erklärung des Symboliſchen geben; und da dieſe 1 Vergl. hierzu die ſpäteren Aeußerungen in der Einleitung der Philoſ. der Mythologie, S. 241 ff. und Philoſophie der Offenbarung (2 Abth., Bd. 3) S. 429. D. H.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/82>, abgerufen am 28.11.2024.