betrifft, so wird die Begrenzung, die bei ihm bis zur Häßlichkeit geht, in der Dichtung wieder Quell des unversiegbaren Scherzes und im Kreis der Götter selbst eines unauslöschlichen Gelächters, wenn er den Nektarbecher herumreicht.
Vorzüglich zeigt sich nun das Schöne als Canon aller Götterbil- dung in der Milderung alles Furchtbaren und Schrecklichen durch das Schöne. Die Parcen, nach der ältesten Dichtung Töchter der Nacht, nach einer späteren des Jupiter und der Themis, sind nicht nur in der bildenden Kunst mit hoher Schönheit gebildet, sondern auch die ganze Vorstellung der Phantasie von ihnen deutet auf diese Milderung hin. Dienerinnen der unerbittlichen Nothwendigkeit führen sie doch das höchste Geschäft, die Lenkung der menschlichen Dinge, wie die leichtste Arbeit -- als einen zarten Faden, der durch ihre Hände läuft, der sanft und ohne Mühe zerschnitten wird.
§. 34. Die Götter bilden nothwendig unter sich wie- der eine Totalität, eine Welt (hiermit gehe ich in die innere Construktion ein). -- Denn da in jeder Gestalt das Absolute mit Be- grenzung gesetzt ist, so setzt sie eben dadurch andere voraus, und mittel- bar oder unmittelbar jede einzelne alle anderen und alle jede einzelne. Demnach bilden sie nothwendig unter sich wieder eine Welt, worin alles durcheinander wechselseitig bestimmt ist, ein organisches Ganzes, eine Totalität, eine Welt.
§. 35. Einzig, indem die Götter unter sich eine Welt bilden, erlangen sie eine unabhängige Existenz für die Phantasie oder eine unabhängige poetische Existenz. Dieser Satz folgt unmittelbar, denn nur dadurch werden sie Wesen einer eignen Welt, die ganz für sich besteht und von der insgemein sogenann- ten wirklichen völlig getrennt ist. Jede Berührung mit der gemeinen Wirklichkeit oder mit Begriffen dieser Wirklichkeit zerstört nothwendig den Zauber dieser Wesen selbst, denn dieser beruht eben darauf, daß es nach §. 29 zu ihrer Wirklichkeit nichts anderes als die Möglichkeit bedarf, daß sie also in einer absoluten Welt leben, welche real anzu- schauen nur der Phantasie möglich ist.
betrifft, ſo wird die Begrenzung, die bei ihm bis zur Häßlichkeit geht, in der Dichtung wieder Quell des unverſiegbaren Scherzes und im Kreis der Götter ſelbſt eines unauslöſchlichen Gelächters, wenn er den Nektarbecher herumreicht.
Vorzüglich zeigt ſich nun das Schöne als Canon aller Götterbil- dung in der Milderung alles Furchtbaren und Schrecklichen durch das Schöne. Die Parcen, nach der älteſten Dichtung Töchter der Nacht, nach einer ſpäteren des Jupiter und der Themis, ſind nicht nur in der bildenden Kunſt mit hoher Schönheit gebildet, ſondern auch die ganze Vorſtellung der Phantaſie von ihnen deutet auf dieſe Milderung hin. Dienerinnen der unerbittlichen Nothwendigkeit führen ſie doch das höchſte Geſchäft, die Lenkung der menſchlichen Dinge, wie die leichtſte Arbeit — als einen zarten Faden, der durch ihre Hände läuft, der ſanft und ohne Mühe zerſchnitten wird.
§. 34. Die Götter bilden nothwendig unter ſich wie- der eine Totalität, eine Welt (hiermit gehe ich in die innere Conſtruktion ein). — Denn da in jeder Geſtalt das Abſolute mit Be- grenzung geſetzt iſt, ſo ſetzt ſie eben dadurch andere voraus, und mittel- bar oder unmittelbar jede einzelne alle anderen und alle jede einzelne. Demnach bilden ſie nothwendig unter ſich wieder eine Welt, worin alles durcheinander wechſelſeitig beſtimmt iſt, ein organiſches Ganzes, eine Totalität, eine Welt.
§. 35. Einzig, indem die Götter unter ſich eine Welt bilden, erlangen ſie eine unabhängige Exiſtenz für die Phantaſie oder eine unabhängige poetiſche Exiſtenz. Dieſer Satz folgt unmittelbar, denn nur dadurch werden ſie Weſen einer eignen Welt, die ganz für ſich beſteht und von der insgemein ſogenann- ten wirklichen völlig getrennt iſt. Jede Berührung mit der gemeinen Wirklichkeit oder mit Begriffen dieſer Wirklichkeit zerſtört nothwendig den Zauber dieſer Weſen ſelbſt, denn dieſer beruht eben darauf, daß es nach §. 29 zu ihrer Wirklichkeit nichts anderes als die Möglichkeit bedarf, daß ſie alſo in einer abſoluten Welt leben, welche real anzu- ſchauen nur der Phantaſie möglich iſt.
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in der Dichtung wieder Quell des unverſiegbaren Scherzes und im
Kreis der Götter ſelbſt eines unauslöſchlichen Gelächters, wenn er den
Nektarbecher herumreicht.
Vorzüglich zeigt ſich nun das Schöne als Canon aller Götterbil-
dung in der Milderung alles Furchtbaren und Schrecklichen durch das
Schöne. Die Parcen, nach der älteſten Dichtung Töchter der Nacht,
nach einer ſpäteren des Jupiter und der Themis, ſind nicht nur in der
bildenden Kunſt mit hoher Schönheit gebildet, ſondern auch die ganze
Vorſtellung der Phantaſie von ihnen deutet auf dieſe Milderung hin.
Dienerinnen der unerbittlichen Nothwendigkeit führen ſie doch das höchſte
Geſchäft, die Lenkung der menſchlichen Dinge, wie die leichtſte Arbeit
— als einen zarten Faden, der durch ihre Hände läuft, der ſanft und
ohne Mühe zerſchnitten wird.
§. 34. Die Götter bilden nothwendig unter ſich wie-
der eine Totalität, eine Welt (hiermit gehe ich in die innere
Conſtruktion ein). — Denn da in jeder Geſtalt das Abſolute mit Be-
grenzung geſetzt iſt, ſo ſetzt ſie eben dadurch andere voraus, und mittel-
bar oder unmittelbar jede einzelne alle anderen und alle jede einzelne.
Demnach bilden ſie nothwendig unter ſich wieder eine Welt, worin alles
durcheinander wechſelſeitig beſtimmt iſt, ein organiſches Ganzes, eine
Totalität, eine Welt.
§. 35. Einzig, indem die Götter unter ſich eine Welt
bilden, erlangen ſie eine unabhängige Exiſtenz für die
Phantaſie oder eine unabhängige poetiſche Exiſtenz. Dieſer
Satz folgt unmittelbar, denn nur dadurch werden ſie Weſen einer
eignen Welt, die ganz für ſich beſteht und von der insgemein ſogenann-
ten wirklichen völlig getrennt iſt. Jede Berührung mit der gemeinen
Wirklichkeit oder mit Begriffen dieſer Wirklichkeit zerſtört nothwendig
den Zauber dieſer Weſen ſelbſt, denn dieſer beruht eben darauf, daß
es nach §. 29 zu ihrer Wirklichkeit nichts anderes als die Möglichkeit
bedarf, daß ſie alſo in einer abſoluten Welt leben, welche real anzu-
ſchauen nur der Phantaſie möglich iſt.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/75>, abgerufen am 24.11.2024.
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