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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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das Gesetz der Schönheit. -- Denn Schönheit ist das real ange-
schaute Absolute. Die Götterbildungen sind das Absolute selbst im
Besonderen (oder synthesirt mit der Begrenzung) real angeschaut. Also etc.

Man könnte dagegen einwerfen: eben deßwegen, weil mit Begren-
zung, seyen die Götterbildungen nicht absolut schön. Allein ich kehre
es vielmehr um, daß nämlich das Absolute nur in der Begrenzung,
nämlich im Besonderen, angeschaut überhaupt schön ist. Die gänzliche
Hinwegnahme aller Begrenzung ist entweder gänzliche Negation aller
Form (allein dieß nur, wo die Negation der Form zugleich die absolute
Form -- wie wir in der Folge hören werden -- bei der erhabenen
Schönheit) oder durchgängige wechselseitige Einschränkung, d. h. Re-
duktion zur Nullität. Jene Art der Schönheit findet sich z. B. in der
würdigen und erhabenen Bildung des Jupiter, die gleicher Ausdruck
der Weisheit und Macht ohne Schranken ist, wie in der Juno, welche
reiner Ausdruck der Macht ohne Verlust der Schönheit. Diese Be-
grenzungen sind also nur das, was wir vorläufig die verschiedenen
Arten der Schönheit nennen können, da wir diese Untersuchung erst,
wenn von den Formen der plastischen Kunst die Rede seyn wird, mit
Erfolg anstellen können.

Man könnte aber von dem Beispiele der griechischen Mythologie
selbst Einwürfe hernehmen, Vulcan, die Bildungen des Pan, des Si-
len, der Faunen, der Satyre u. s. w. Was die Bildung des Vulcan
betrifft, so zeigt uns diese die große Identität zwischen den Bildungen
der Phantasie und der organisch schaffenden Natur. Wie die Natur
durch die vorzügliche Ausbildung eines Organs oder Triebs in einer
Gattung von Geschöpfen sich genöthigt sieht, es dagegen in einem an-
dern zu verkürzen, so hat hier die Phantasie das, was sie den mäch-
tigen Armen des Hephästos gab, seinen Füßen entziehen müssen, welche
hinkend sind. Aber allgemein gilt in Ansehung der häßlichen Bildungen
der griechischen Götterwelt, daß diese sämmtlichen Bildungen in ihrer
Art wieder Ideale, nur die umgekehrten Ideale sind, und daß
sie dadurch wieder in den Kreis des Schönen aufgenommen werden.
Doch auch dieß ist bloß eine anticipirte Erklärung. Was den Vulcan

das Geſetz der Schönheit. — Denn Schönheit iſt das real ange-
ſchaute Abſolute. Die Götterbildungen ſind das Abſolute ſelbſt im
Beſonderen (oder ſyntheſirt mit der Begrenzung) real angeſchaut. Alſo ꝛc.

Man könnte dagegen einwerfen: eben deßwegen, weil mit Begren-
zung, ſeyen die Götterbildungen nicht abſolut ſchön. Allein ich kehre
es vielmehr um, daß nämlich das Abſolute nur in der Begrenzung,
nämlich im Beſonderen, angeſchaut überhaupt ſchön iſt. Die gänzliche
Hinwegnahme aller Begrenzung iſt entweder gänzliche Negation aller
Form (allein dieß nur, wo die Negation der Form zugleich die abſolute
Form — wie wir in der Folge hören werden — bei der erhabenen
Schönheit) oder durchgängige wechſelſeitige Einſchränkung, d. h. Re-
duktion zur Nullität. Jene Art der Schönheit findet ſich z. B. in der
würdigen und erhabenen Bildung des Jupiter, die gleicher Ausdruck
der Weisheit und Macht ohne Schranken iſt, wie in der Juno, welche
reiner Ausdruck der Macht ohne Verluſt der Schönheit. Dieſe Be-
grenzungen ſind alſo nur das, was wir vorläufig die verſchiedenen
Arten der Schönheit nennen können, da wir dieſe Unterſuchung erſt,
wenn von den Formen der plaſtiſchen Kunſt die Rede ſeyn wird, mit
Erfolg anſtellen können.

Man könnte aber von dem Beiſpiele der griechiſchen Mythologie
ſelbſt Einwürfe hernehmen, Vulcan, die Bildungen des Pan, des Si-
len, der Faunen, der Satyre u. ſ. w. Was die Bildung des Vulcan
betrifft, ſo zeigt uns dieſe die große Identität zwiſchen den Bildungen
der Phantaſie und der organiſch ſchaffenden Natur. Wie die Natur
durch die vorzügliche Ausbildung eines Organs oder Triebs in einer
Gattung von Geſchöpfen ſich genöthigt ſieht, es dagegen in einem an-
dern zu verkürzen, ſo hat hier die Phantaſie das, was ſie den mäch-
tigen Armen des Hephäſtos gab, ſeinen Füßen entziehen müſſen, welche
hinkend ſind. Aber allgemein gilt in Anſehung der häßlichen Bildungen
der griechiſchen Götterwelt, daß dieſe ſämmtlichen Bildungen in ihrer
Art wieder Ideale, nur die umgekehrten Ideale ſind, und daß
ſie dadurch wieder in den Kreis des Schönen aufgenommen werden.
Doch auch dieß iſt bloß eine anticipirte Erklärung. Was den Vulcan

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[398/0074] das Geſetz der Schönheit. — Denn Schönheit iſt das real ange- ſchaute Abſolute. Die Götterbildungen ſind das Abſolute ſelbſt im Beſonderen (oder ſyntheſirt mit der Begrenzung) real angeſchaut. Alſo ꝛc. Man könnte dagegen einwerfen: eben deßwegen, weil mit Begren- zung, ſeyen die Götterbildungen nicht abſolut ſchön. Allein ich kehre es vielmehr um, daß nämlich das Abſolute nur in der Begrenzung, nämlich im Beſonderen, angeſchaut überhaupt ſchön iſt. Die gänzliche Hinwegnahme aller Begrenzung iſt entweder gänzliche Negation aller Form (allein dieß nur, wo die Negation der Form zugleich die abſolute Form — wie wir in der Folge hören werden — bei der erhabenen Schönheit) oder durchgängige wechſelſeitige Einſchränkung, d. h. Re- duktion zur Nullität. Jene Art der Schönheit findet ſich z. B. in der würdigen und erhabenen Bildung des Jupiter, die gleicher Ausdruck der Weisheit und Macht ohne Schranken iſt, wie in der Juno, welche reiner Ausdruck der Macht ohne Verluſt der Schönheit. Dieſe Be- grenzungen ſind alſo nur das, was wir vorläufig die verſchiedenen Arten der Schönheit nennen können, da wir dieſe Unterſuchung erſt, wenn von den Formen der plaſtiſchen Kunſt die Rede ſeyn wird, mit Erfolg anſtellen können. Man könnte aber von dem Beiſpiele der griechiſchen Mythologie ſelbſt Einwürfe hernehmen, Vulcan, die Bildungen des Pan, des Si- len, der Faunen, der Satyre u. ſ. w. Was die Bildung des Vulcan betrifft, ſo zeigt uns dieſe die große Identität zwiſchen den Bildungen der Phantaſie und der organiſch ſchaffenden Natur. Wie die Natur durch die vorzügliche Ausbildung eines Organs oder Triebs in einer Gattung von Geſchöpfen ſich genöthigt ſieht, es dagegen in einem an- dern zu verkürzen, ſo hat hier die Phantaſie das, was ſie den mäch- tigen Armen des Hephäſtos gab, ſeinen Füßen entziehen müſſen, welche hinkend ſind. Aber allgemein gilt in Anſehung der häßlichen Bildungen der griechiſchen Götterwelt, daß dieſe ſämmtlichen Bildungen in ihrer Art wieder Ideale, nur die umgekehrten Ideale ſind, und daß ſie dadurch wieder in den Kreis des Schönen aufgenommen werden. Doch auch dieß iſt bloß eine anticipirte Erklärung. Was den Vulcan

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/74>, abgerufen am 28.11.2024.