§. 3. Gott ist unmittelbar kraft seiner Idee absolu- tes All. Denn unmittelbar aus der Idee Gottes folgt Unendliches, und es folgt nothwendig auf unendliche Weise, da Gott als unendliche Affirmation von sich selbst auch sich selbst wieder unendlich als Affir- mirendes, unendlich als Affirmirtes, und unendlich als Indifferenz beider begreift. Nun ist unendliche Realität, die aus der Idee Gottes folgt, 1) schon an sich = All (denn nichts außer ihr), aber auch 2) positiv, denn alles, was kraft der Idee Gottes möglich ist, und dieß Unendliches, ist dadurch, daß diese sich selbst affirmirt, auch wirk- lich -- alle Möglichkeiten sind Wirklichkeiten in Gott. Aber dasjenige, in dem alles Mögliche wirklich, ist = All. Also folgt unmittelbar aus der Idee Gottes absolutes All. -- Aber ferner, es folgt kraft des bloßen Gesetzes der Identität, d. h. Gott selbst in der unendlichen Af- firmation seiner selbst betrachtet ist = absolutes All.
§. 4. Gott ist als absolute Identität unmittelbar auch absolute Totalität, und umgekehrt.
Erläuterung: Gott ist eine Totalität, die keine Vielheit, son- dern schlechthin einfach ist. Gott ist eine Einheit, die gleichfalls nicht im Gegensatz gegen Vielheit bestimmbar ist, d. h. er ist nicht einzig im numerischen Sinn, er ist auch nicht bloß der Eine, sondern er ist die absolute Einheit selbst, nicht alles, sondern die absolute Allheit selbst, und dieß beides unmittelbar als eins.
§. 5. Das Absolute ist schlechthin ewig.
In der Anschauung jeder Idee, z. B. der Idee des Cirkels, wird auch die Ewigkeit angeschaut. Dieß die positive Anschauung der Ewig- keit. Der negative Begriff der Ewigkeit ist: nicht nur unabhängig von der Zeit seyn, sondern auch ohne alle Beziehung auf Zeit. Wäre also das Absolute nicht schlechthin ewig, so hätte es ein Verhältniß zur Zeit.
Anmerkung: Wenn die Ewigkeit des Absoluten durch ein Da- seyn von unendlicher Zeit her bestimmt würde, so müßten wir z. B. sagen können, daß Gott jetzt eine längere Zeit existire, als er bei dem Ursprung der Welt existirt habe, welches also in Gott eine Zunahme der Existenz voraussetzte, was unmöglich, da seine Existenz
§. 3. Gott iſt unmittelbar kraft ſeiner Idee abſolu- tes All. Denn unmittelbar aus der Idee Gottes folgt Unendliches, und es folgt nothwendig auf unendliche Weiſe, da Gott als unendliche Affirmation von ſich ſelbſt auch ſich ſelbſt wieder unendlich als Affir- mirendes, unendlich als Affirmirtes, und unendlich als Indifferenz beider begreift. Nun iſt unendliche Realität, die aus der Idee Gottes folgt, 1) ſchon an ſich = All (denn nichts außer ihr), aber auch 2) poſitiv, denn alles, was kraft der Idee Gottes möglich iſt, und dieß Unendliches, iſt dadurch, daß dieſe ſich ſelbſt affirmirt, auch wirk- lich — alle Möglichkeiten ſind Wirklichkeiten in Gott. Aber dasjenige, in dem alles Mögliche wirklich, iſt = All. Alſo folgt unmittelbar aus der Idee Gottes abſolutes All. — Aber ferner, es folgt kraft des bloßen Geſetzes der Identität, d. h. Gott ſelbſt in der unendlichen Af- firmation ſeiner ſelbſt betrachtet iſt = abſolutes All.
§. 4. Gott iſt als abſolute Identität unmittelbar auch abſolute Totalität, und umgekehrt.
Erläuterung: Gott iſt eine Totalität, die keine Vielheit, ſon- dern ſchlechthin einfach iſt. Gott iſt eine Einheit, die gleichfalls nicht im Gegenſatz gegen Vielheit beſtimmbar iſt, d. h. er iſt nicht einzig im numeriſchen Sinn, er iſt auch nicht bloß der Eine, ſondern er iſt die abſolute Einheit ſelbſt, nicht alles, ſondern die abſolute Allheit ſelbſt, und dieß beides unmittelbar als eins.
§. 5. Das Abſolute iſt ſchlechthin ewig.
In der Anſchauung jeder Idee, z. B. der Idee des Cirkels, wird auch die Ewigkeit angeſchaut. Dieß die poſitive Anſchauung der Ewig- keit. Der negative Begriff der Ewigkeit iſt: nicht nur unabhängig von der Zeit ſeyn, ſondern auch ohne alle Beziehung auf Zeit. Wäre alſo das Abſolute nicht ſchlechthin ewig, ſo hätte es ein Verhältniß zur Zeit.
Anmerkung: Wenn die Ewigkeit des Abſoluten durch ein Da- ſeyn von unendlicher Zeit her beſtimmt würde, ſo müßten wir z. B. ſagen können, daß Gott jetzt eine längere Zeit exiſtire, als er bei dem Urſprung der Welt exiſtirt habe, welches alſo in Gott eine Zunahme der Exiſtenz vorausſetzte, was unmöglich, da ſeine Exiſtenz
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§. 3. Gott iſt unmittelbar kraft ſeiner Idee abſolu-
tes All. Denn unmittelbar aus der Idee Gottes folgt Unendliches,
und es folgt nothwendig auf unendliche Weiſe, da Gott als unendliche
Affirmation von ſich ſelbſt auch ſich ſelbſt wieder unendlich als Affir-
mirendes, unendlich als Affirmirtes, und unendlich als Indifferenz
beider begreift. Nun iſt unendliche Realität, die aus der Idee Gottes
folgt, 1) ſchon an ſich = All (denn nichts außer ihr), aber auch
2) poſitiv, denn alles, was kraft der Idee Gottes möglich iſt, und
dieß Unendliches, iſt dadurch, daß dieſe ſich ſelbſt affirmirt, auch wirk-
lich — alle Möglichkeiten ſind Wirklichkeiten in Gott. Aber dasjenige,
in dem alles Mögliche wirklich, iſt = All. Alſo folgt unmittelbar
aus der Idee Gottes abſolutes All. — Aber ferner, es folgt kraft des
bloßen Geſetzes der Identität, d. h. Gott ſelbſt in der unendlichen Af-
firmation ſeiner ſelbſt betrachtet iſt = abſolutes All.
§. 4. Gott iſt als abſolute Identität unmittelbar
auch abſolute Totalität, und umgekehrt.
Erläuterung: Gott iſt eine Totalität, die keine Vielheit, ſon-
dern ſchlechthin einfach iſt. Gott iſt eine Einheit, die gleichfalls nicht
im Gegenſatz gegen Vielheit beſtimmbar iſt, d. h. er iſt nicht einzig
im numeriſchen Sinn, er iſt auch nicht bloß der Eine, ſondern er iſt
die abſolute Einheit ſelbſt, nicht alles, ſondern die abſolute Allheit
ſelbſt, und dieß beides unmittelbar als eins.
§. 5. Das Abſolute iſt ſchlechthin ewig.
In der Anſchauung jeder Idee, z. B. der Idee des Cirkels, wird
auch die Ewigkeit angeſchaut. Dieß die poſitive Anſchauung der Ewig-
keit. Der negative Begriff der Ewigkeit iſt: nicht nur unabhängig von
der Zeit ſeyn, ſondern auch ohne alle Beziehung auf Zeit. Wäre alſo
das Abſolute nicht ſchlechthin ewig, ſo hätte es ein Verhältniß zur Zeit.
Anmerkung: Wenn die Ewigkeit des Abſoluten durch ein Da-
ſeyn von unendlicher Zeit her beſtimmt würde, ſo müßten wir
z. B. ſagen können, daß Gott jetzt eine längere Zeit exiſtire, als er
bei dem Urſprung der Welt exiſtirt habe, welches alſo in Gott eine
Zunahme der Exiſtenz vorausſetzte, was unmöglich, da ſeine Exiſtenz
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/51>, abgerufen am 22.11.2024.
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