in der allgemeinen Philosophie in Ansehung des Universums überhaupt auflösen. Wir werden
1) auch in der Philosophie der Kunst von keinem andern Princip als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche als das unbedingte Princip der Kunst darthun müssen. Wie für die Philosophie das Absolute das Urbild der Wahrheit -- so für die Kunst das Urbild der Schönheit. Wir werden daher zeigen müssen, daß Wahrheit und Schönheit nur zwei verschiedene Betrachtungsweisen des Einen Absoluten sind.
2) Die zweite Frage, wie in Ansehung der Philosophie überhaupt, so auch in Ansehung der Philosophie der Kunst, wird seyn: wie jenes an sich schlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterscheid- barkeit übergehe, wie also aus dem allgemeinen und absoluten Schönen besondere schöne Dinge hervorgehen können. Die Philosophie beant- wortet diese Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das Absolute ist schlechthin Eines, aber dieses Eine absolut angeschaut in den besonderen Formen, so daß das Absolute dadurch nicht aufgehoben wird, ist = Idee. Ebenso die Kunst. Auch die Kunst schaut das Ur- schöne nur in Ideen als besonderen Formen an, deren jede aber für sich göttlich und absolut ist, und anstatt daß die Philosophie die Ideen wie sie an sich sind, anschaut, schaut sie die Kunst real an. Die Ideen also, sofern sie als real angeschaut werden, sind der Stoff und gleich- sam die allgemeine und absolute Materie der Kunst, aus welcher alle besonderen Kunstwerke als vollendete Gewächse erst hervorgehen. Diese realen, lebendigen und existirenden Ideen sind die Götter; die allgemeine Symbolik oder die allgemeine Darstellung der Ideen als realer ist demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflösung der zweiten obigen Aufgabe besteht in der Construktion der Mythologie. In der That sind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der Philosophie nur objektiv oder real angeschaut.
Hiermit aber ist noch immer unbeantwortet, wie ein wirkliches und einzelnes Kunstwerk entstehe. Wie nun das Absolute -- Nichtwirk- liche -- überall in der Identität, so ist das Wirkliche in der Nicht-
in der allgemeinen Philoſophie in Anſehung des Univerſums überhaupt auflöſen. Wir werden
1) auch in der Philoſophie der Kunſt von keinem andern Princip als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche als das unbedingte Princip der Kunſt darthun müſſen. Wie für die Philoſophie das Abſolute das Urbild der Wahrheit — ſo für die Kunſt das Urbild der Schönheit. Wir werden daher zeigen müſſen, daß Wahrheit und Schönheit nur zwei verſchiedene Betrachtungsweiſen des Einen Abſoluten ſind.
2) Die zweite Frage, wie in Anſehung der Philoſophie überhaupt, ſo auch in Anſehung der Philoſophie der Kunſt, wird ſeyn: wie jenes an ſich ſchlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterſcheid- barkeit übergehe, wie alſo aus dem allgemeinen und abſoluten Schönen beſondere ſchöne Dinge hervorgehen können. Die Philoſophie beant- wortet dieſe Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das Abſolute iſt ſchlechthin Eines, aber dieſes Eine abſolut angeſchaut in den beſonderen Formen, ſo daß das Abſolute dadurch nicht aufgehoben wird, iſt = Idee. Ebenſo die Kunſt. Auch die Kunſt ſchaut das Ur- ſchöne nur in Ideen als beſonderen Formen an, deren jede aber für ſich göttlich und abſolut iſt, und anſtatt daß die Philoſophie die Ideen wie ſie an ſich ſind, anſchaut, ſchaut ſie die Kunſt real an. Die Ideen alſo, ſofern ſie als real angeſchaut werden, ſind der Stoff und gleich- ſam die allgemeine und abſolute Materie der Kunſt, aus welcher alle beſonderen Kunſtwerke als vollendete Gewächſe erſt hervorgehen. Dieſe realen, lebendigen und exiſtirenden Ideen ſind die Götter; die allgemeine Symbolik oder die allgemeine Darſtellung der Ideen als realer iſt demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflöſung der zweiten obigen Aufgabe beſteht in der Conſtruktion der Mythologie. In der That ſind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der Philoſophie nur objektiv oder real angeſchaut.
Hiermit aber iſt noch immer unbeantwortet, wie ein wirkliches und einzelnes Kunſtwerk entſtehe. Wie nun das Abſolute — Nichtwirk- liche — überall in der Identität, ſo iſt das Wirkliche in der Nicht-
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in der allgemeinen Philoſophie in Anſehung des Univerſums überhaupt
auflöſen. Wir werden
1) auch in der Philoſophie der Kunſt von keinem andern Princip
als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche
als das unbedingte Princip der Kunſt darthun müſſen. Wie für die
Philoſophie das Abſolute das Urbild der Wahrheit — ſo für die Kunſt
das Urbild der Schönheit. Wir werden daher zeigen müſſen, daß
Wahrheit und Schönheit nur zwei verſchiedene Betrachtungsweiſen des
Einen Abſoluten ſind.
2) Die zweite Frage, wie in Anſehung der Philoſophie überhaupt,
ſo auch in Anſehung der Philoſophie der Kunſt, wird ſeyn: wie jenes
an ſich ſchlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterſcheid-
barkeit übergehe, wie alſo aus dem allgemeinen und abſoluten Schönen
beſondere ſchöne Dinge hervorgehen können. Die Philoſophie beant-
wortet dieſe Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das
Abſolute iſt ſchlechthin Eines, aber dieſes Eine abſolut angeſchaut in
den beſonderen Formen, ſo daß das Abſolute dadurch nicht aufgehoben
wird, iſt = Idee. Ebenſo die Kunſt. Auch die Kunſt ſchaut das Ur-
ſchöne nur in Ideen als beſonderen Formen an, deren jede aber für ſich
göttlich und abſolut iſt, und anſtatt daß die Philoſophie die Ideen wie
ſie an ſich ſind, anſchaut, ſchaut ſie die Kunſt real an. Die Ideen
alſo, ſofern ſie als real angeſchaut werden, ſind der Stoff und gleich-
ſam die allgemeine und abſolute Materie der Kunſt, aus welcher alle
beſonderen Kunſtwerke als vollendete Gewächſe erſt hervorgehen. Dieſe
realen, lebendigen und exiſtirenden Ideen ſind die Götter; die allgemeine
Symbolik oder die allgemeine Darſtellung der Ideen als realer iſt
demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflöſung der zweiten obigen
Aufgabe beſteht in der Conſtruktion der Mythologie. In der That
ſind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der
Philoſophie nur objektiv oder real angeſchaut.
Hiermit aber iſt noch immer unbeantwortet, wie ein wirkliches
und einzelnes Kunſtwerk entſtehe. Wie nun das Abſolute — Nichtwirk-
liche — überall in der Identität, ſo iſt das Wirkliche in der Nicht-
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/46>, abgerufen am 25.11.2024.
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