Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

in der allgemeinen Philosophie in Ansehung des Universums überhaupt
auflösen. Wir werden

1) auch in der Philosophie der Kunst von keinem andern Princip
als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche
als das unbedingte Princip der Kunst darthun müssen. Wie für die
Philosophie das Absolute das Urbild der Wahrheit -- so für die Kunst
das Urbild der Schönheit. Wir werden daher zeigen müssen, daß
Wahrheit und Schönheit nur zwei verschiedene Betrachtungsweisen des
Einen Absoluten sind.

2) Die zweite Frage, wie in Ansehung der Philosophie überhaupt,
so auch in Ansehung der Philosophie der Kunst, wird seyn: wie jenes
an sich schlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterscheid-
barkeit übergehe, wie also aus dem allgemeinen und absoluten Schönen
besondere schöne Dinge hervorgehen können. Die Philosophie beant-
wortet diese Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das
Absolute ist schlechthin Eines, aber dieses Eine absolut angeschaut in
den besonderen Formen, so daß das Absolute dadurch nicht aufgehoben
wird, ist = Idee. Ebenso die Kunst. Auch die Kunst schaut das Ur-
schöne nur in Ideen als besonderen Formen an, deren jede aber für sich
göttlich und absolut ist, und anstatt daß die Philosophie die Ideen wie
sie an sich sind, anschaut, schaut sie die Kunst real an. Die Ideen
also, sofern sie als real angeschaut werden, sind der Stoff und gleich-
sam die allgemeine und absolute Materie der Kunst, aus welcher alle
besonderen Kunstwerke als vollendete Gewächse erst hervorgehen. Diese
realen, lebendigen und existirenden Ideen sind die Götter; die allgemeine
Symbolik oder die allgemeine Darstellung der Ideen als realer ist
demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflösung der zweiten obigen
Aufgabe besteht in der Construktion der Mythologie. In der That
sind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der
Philosophie nur objektiv oder real angeschaut.

Hiermit aber ist noch immer unbeantwortet, wie ein wirkliches
und einzelnes Kunstwerk entstehe. Wie nun das Absolute -- Nichtwirk-
liche -- überall in der Identität, so ist das Wirkliche in der Nicht-

in der allgemeinen Philoſophie in Anſehung des Univerſums überhaupt
auflöſen. Wir werden

1) auch in der Philoſophie der Kunſt von keinem andern Princip
als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche
als das unbedingte Princip der Kunſt darthun müſſen. Wie für die
Philoſophie das Abſolute das Urbild der Wahrheit — ſo für die Kunſt
das Urbild der Schönheit. Wir werden daher zeigen müſſen, daß
Wahrheit und Schönheit nur zwei verſchiedene Betrachtungsweiſen des
Einen Abſoluten ſind.

2) Die zweite Frage, wie in Anſehung der Philoſophie überhaupt,
ſo auch in Anſehung der Philoſophie der Kunſt, wird ſeyn: wie jenes
an ſich ſchlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterſcheid-
barkeit übergehe, wie alſo aus dem allgemeinen und abſoluten Schönen
beſondere ſchöne Dinge hervorgehen können. Die Philoſophie beant-
wortet dieſe Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das
Abſolute iſt ſchlechthin Eines, aber dieſes Eine abſolut angeſchaut in
den beſonderen Formen, ſo daß das Abſolute dadurch nicht aufgehoben
wird, iſt = Idee. Ebenſo die Kunſt. Auch die Kunſt ſchaut das Ur-
ſchöne nur in Ideen als beſonderen Formen an, deren jede aber für ſich
göttlich und abſolut iſt, und anſtatt daß die Philoſophie die Ideen wie
ſie an ſich ſind, anſchaut, ſchaut ſie die Kunſt real an. Die Ideen
alſo, ſofern ſie als real angeſchaut werden, ſind der Stoff und gleich-
ſam die allgemeine und abſolute Materie der Kunſt, aus welcher alle
beſonderen Kunſtwerke als vollendete Gewächſe erſt hervorgehen. Dieſe
realen, lebendigen und exiſtirenden Ideen ſind die Götter; die allgemeine
Symbolik oder die allgemeine Darſtellung der Ideen als realer iſt
demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflöſung der zweiten obigen
Aufgabe beſteht in der Conſtruktion der Mythologie. In der That
ſind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der
Philoſophie nur objektiv oder real angeſchaut.

Hiermit aber iſt noch immer unbeantwortet, wie ein wirkliches
und einzelnes Kunſtwerk entſtehe. Wie nun das Abſolute — Nichtwirk-
liche — überall in der Identität, ſo iſt das Wirkliche in der Nicht-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="370"/>
in der allgemeinen Philo&#x017F;ophie in An&#x017F;ehung des Univer&#x017F;ums überhaupt<lb/>
auflö&#x017F;en. Wir werden</p><lb/>
        <p>1) auch in der Philo&#x017F;ophie der Kun&#x017F;t von keinem andern Princip<lb/>
als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche<lb/>
als das unbedingte Princip der Kun&#x017F;t darthun mü&#x017F;&#x017F;en. Wie für die<lb/>
Philo&#x017F;ophie das Ab&#x017F;olute das Urbild der Wahrheit &#x2014; &#x017F;o für die Kun&#x017F;t<lb/>
das Urbild der <hi rendition="#g">Schönheit</hi>. Wir werden daher zeigen mü&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
Wahrheit und Schönheit nur zwei ver&#x017F;chiedene Betrachtungswei&#x017F;en des<lb/>
Einen Ab&#x017F;oluten &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>2) Die zweite Frage, wie in An&#x017F;ehung der Philo&#x017F;ophie überhaupt,<lb/>
&#x017F;o auch in An&#x017F;ehung der Philo&#x017F;ophie der Kun&#x017F;t, wird &#x017F;eyn: wie jenes<lb/>
an &#x017F;ich &#x017F;chlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unter&#x017F;cheid-<lb/>
barkeit übergehe, wie al&#x017F;o aus dem allgemeinen und ab&#x017F;oluten Schönen<lb/>
be&#x017F;ondere &#x017F;chöne Dinge hervorgehen können. Die Philo&#x017F;ophie beant-<lb/>
wortet die&#x017F;e Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das<lb/>
Ab&#x017F;olute i&#x017F;t &#x017F;chlechthin Eines, aber die&#x017F;es Eine ab&#x017F;olut ange&#x017F;chaut in<lb/>
den be&#x017F;onderen Formen, &#x017F;o daß das Ab&#x017F;olute dadurch nicht aufgehoben<lb/>
wird, i&#x017F;t = Idee. Eben&#x017F;o die Kun&#x017F;t. Auch die Kun&#x017F;t &#x017F;chaut das Ur-<lb/>
&#x017F;chöne nur in Ideen als be&#x017F;onderen Formen an, deren jede aber für &#x017F;ich<lb/>
göttlich und ab&#x017F;olut i&#x017F;t, und an&#x017F;tatt daß die Philo&#x017F;ophie die Ideen wie<lb/>
&#x017F;ie <hi rendition="#g">an &#x017F;ich</hi> &#x017F;ind, an&#x017F;chaut, &#x017F;chaut &#x017F;ie die Kun&#x017F;t <hi rendition="#g">real</hi> an. Die <hi rendition="#g">Ideen</hi><lb/>
al&#x017F;o, &#x017F;ofern &#x017F;ie als real ange&#x017F;chaut werden, &#x017F;ind der Stoff und gleich-<lb/>
&#x017F;am die allgemeine und ab&#x017F;olute Materie der Kun&#x017F;t, aus welcher alle<lb/>
be&#x017F;onderen Kun&#x017F;twerke als vollendete Gewäch&#x017F;e er&#x017F;t hervorgehen. Die&#x017F;e<lb/><hi rendition="#g">realen</hi>, lebendigen und exi&#x017F;tirenden Ideen &#x017F;ind die Götter; die allgemeine<lb/>
Symbolik oder die allgemeine <hi rendition="#g">Dar&#x017F;tellung der Ideen</hi> als realer i&#x017F;t<lb/>
demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflö&#x017F;ung der zweiten obigen<lb/>
Aufgabe be&#x017F;teht in der Con&#x017F;truktion der Mythologie. In der That<lb/>
&#x017F;ind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der<lb/>
Philo&#x017F;ophie nur objektiv oder real ange&#x017F;chaut.</p><lb/>
        <p>Hiermit aber i&#x017F;t noch immer unbeantwortet, wie ein <hi rendition="#g">wirkliches</hi><lb/>
und einzelnes Kun&#x017F;twerk ent&#x017F;tehe. Wie nun das Ab&#x017F;olute &#x2014; Nichtwirk-<lb/>
liche &#x2014; überall in der Identität, &#x017F;o i&#x017F;t das Wirkliche in der Nicht-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0046] in der allgemeinen Philoſophie in Anſehung des Univerſums überhaupt auflöſen. Wir werden 1) auch in der Philoſophie der Kunſt von keinem andern Princip als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche als das unbedingte Princip der Kunſt darthun müſſen. Wie für die Philoſophie das Abſolute das Urbild der Wahrheit — ſo für die Kunſt das Urbild der Schönheit. Wir werden daher zeigen müſſen, daß Wahrheit und Schönheit nur zwei verſchiedene Betrachtungsweiſen des Einen Abſoluten ſind. 2) Die zweite Frage, wie in Anſehung der Philoſophie überhaupt, ſo auch in Anſehung der Philoſophie der Kunſt, wird ſeyn: wie jenes an ſich ſchlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterſcheid- barkeit übergehe, wie alſo aus dem allgemeinen und abſoluten Schönen beſondere ſchöne Dinge hervorgehen können. Die Philoſophie beant- wortet dieſe Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das Abſolute iſt ſchlechthin Eines, aber dieſes Eine abſolut angeſchaut in den beſonderen Formen, ſo daß das Abſolute dadurch nicht aufgehoben wird, iſt = Idee. Ebenſo die Kunſt. Auch die Kunſt ſchaut das Ur- ſchöne nur in Ideen als beſonderen Formen an, deren jede aber für ſich göttlich und abſolut iſt, und anſtatt daß die Philoſophie die Ideen wie ſie an ſich ſind, anſchaut, ſchaut ſie die Kunſt real an. Die Ideen alſo, ſofern ſie als real angeſchaut werden, ſind der Stoff und gleich- ſam die allgemeine und abſolute Materie der Kunſt, aus welcher alle beſonderen Kunſtwerke als vollendete Gewächſe erſt hervorgehen. Dieſe realen, lebendigen und exiſtirenden Ideen ſind die Götter; die allgemeine Symbolik oder die allgemeine Darſtellung der Ideen als realer iſt demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflöſung der zweiten obigen Aufgabe beſteht in der Conſtruktion der Mythologie. In der That ſind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der Philoſophie nur objektiv oder real angeſchaut. Hiermit aber iſt noch immer unbeantwortet, wie ein wirkliches und einzelnes Kunſtwerk entſtehe. Wie nun das Abſolute — Nichtwirk- liche — überall in der Identität, ſo iſt das Wirkliche in der Nicht-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/46
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/46>, abgerufen am 25.11.2024.