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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Wie die Franzosen in der Tragödie zuerst an die Stelle der idealischen
Welt, zu der sie sich nicht erheben können, die umgekehrte idealische Welt
-- die conventionelle -- gesetzt haben, so auch in der Komödie, und
ihre Einwirkung hat eigentlich die wahre absolute Komödie, diejenige,
welche sich auf etwas Oeffentliches gründet, völlig verdrungen. Nicht
als ob die Spanier nicht auch neben den Charakter- auch die Intriguen-
stücke gekannt hätten, von denen sie vielmehr die eigentlichen Erfinder sind,
aber diese gründen sich auf ein romantisches Leben. Die der Franzosen
auf das gemein-sociale oder häusliche, wie sie auch die Erfinder der
weinerlichen Komödie sind. Deutschland hat außer den ersten noch
wahren und derben Regungen einer gleichfalls aus der Religion her-
vorgehenden Komödie, wovon mehrere Stücke des Hans Sachs die
Belege sind, in welchen die Religion ohne Spott, doch paradoxirt und
biblische Mythen komisch behandelt sind, -- nach diesen ersten Regungen,
und nachdem hier der Protestantismus der Oeffentlichkeit des religiösen
Lebens Eintrag gethan hat, fast nur von fremdem Raube gelebt, und
die einzige eigenthümliche Erfindung der Deutschen in Masse bleibt es,
in Familiengedichten den tiefsten Ton der Philisterei und Häuslichkeit
angegeben, sowie in den gewöhnlichen Komödien die Infamie der herr-
schenden sittlichen Begriffe und niederträchtiger Edelmüthigkeit mit großer
Natürlichkeit niedergelegt zu haben, und es bleibt für diese Schmach
des deutschen Theaters kein Trost, als etwa daß andere Nationen nach
diesem deutschen Wegwurf mit Begier gehascht haben.


Nachdem im Drama nach seinen zwei Formen die höchste Totalität
erreicht ist, so kann die redende Kunst nur wieder zur bildenden zurück-
streben, aber selbst nicht weiter sich bilden.

Im Gesang geht die Poesie zur Musik zurück, zur Malerei im
Tanz, theils sofern er Ballet, theils sofern er Pantomime ist, zur eigent-
lichen Plastik in der Schauspielkunst, die eine lebendige Plastik ist.

Da diese Künste, wie gesagt, durch ein Zurückstreben aus der
redenden zur bildenden Kunst entstehen, so bilden sie eine eigne Sphäre

Wie die Franzoſen in der Tragödie zuerſt an die Stelle der idealiſchen
Welt, zu der ſie ſich nicht erheben können, die umgekehrte idealiſche Welt
— die conventionelle — geſetzt haben, ſo auch in der Komödie, und
ihre Einwirkung hat eigentlich die wahre abſolute Komödie, diejenige,
welche ſich auf etwas Oeffentliches gründet, völlig verdrungen. Nicht
als ob die Spanier nicht auch neben den Charakter- auch die Intriguen-
ſtücke gekannt hätten, von denen ſie vielmehr die eigentlichen Erfinder ſind,
aber dieſe gründen ſich auf ein romantiſches Leben. Die der Franzoſen
auf das gemein-ſociale oder häusliche, wie ſie auch die Erfinder der
weinerlichen Komödie ſind. Deutſchland hat außer den erſten noch
wahren und derben Regungen einer gleichfalls aus der Religion her-
vorgehenden Komödie, wovon mehrere Stücke des Hans Sachs die
Belege ſind, in welchen die Religion ohne Spott, doch paradoxirt und
bibliſche Mythen komiſch behandelt ſind, — nach dieſen erſten Regungen,
und nachdem hier der Proteſtantismus der Oeffentlichkeit des religiöſen
Lebens Eintrag gethan hat, faſt nur von fremdem Raube gelebt, und
die einzige eigenthümliche Erfindung der Deutſchen in Maſſe bleibt es,
in Familiengedichten den tiefſten Ton der Philiſterei und Häuslichkeit
angegeben, ſowie in den gewöhnlichen Komödien die Infamie der herr-
ſchenden ſittlichen Begriffe und niederträchtiger Edelmüthigkeit mit großer
Natürlichkeit niedergelegt zu haben, und es bleibt für dieſe Schmach
des deutſchen Theaters kein Troſt, als etwa daß andere Nationen nach
dieſem deutſchen Wegwurf mit Begier gehaſcht haben.


Nachdem im Drama nach ſeinen zwei Formen die höchſte Totalität
erreicht iſt, ſo kann die redende Kunſt nur wieder zur bildenden zurück-
ſtreben, aber ſelbſt nicht weiter ſich bilden.

Im Geſang geht die Poeſie zur Muſik zurück, zur Malerei im
Tanz, theils ſofern er Ballet, theils ſofern er Pantomime iſt, zur eigent-
lichen Plaſtik in der Schauſpielkunſt, die eine lebendige Plaſtik iſt.

Da dieſe Künſte, wie geſagt, durch ein Zurückſtreben aus der
redenden zur bildenden Kunſt entſtehen, ſo bilden ſie eine eigne Sphäre

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[735/0411] Wie die Franzoſen in der Tragödie zuerſt an die Stelle der idealiſchen Welt, zu der ſie ſich nicht erheben können, die umgekehrte idealiſche Welt — die conventionelle — geſetzt haben, ſo auch in der Komödie, und ihre Einwirkung hat eigentlich die wahre abſolute Komödie, diejenige, welche ſich auf etwas Oeffentliches gründet, völlig verdrungen. Nicht als ob die Spanier nicht auch neben den Charakter- auch die Intriguen- ſtücke gekannt hätten, von denen ſie vielmehr die eigentlichen Erfinder ſind, aber dieſe gründen ſich auf ein romantiſches Leben. Die der Franzoſen auf das gemein-ſociale oder häusliche, wie ſie auch die Erfinder der weinerlichen Komödie ſind. Deutſchland hat außer den erſten noch wahren und derben Regungen einer gleichfalls aus der Religion her- vorgehenden Komödie, wovon mehrere Stücke des Hans Sachs die Belege ſind, in welchen die Religion ohne Spott, doch paradoxirt und bibliſche Mythen komiſch behandelt ſind, — nach dieſen erſten Regungen, und nachdem hier der Proteſtantismus der Oeffentlichkeit des religiöſen Lebens Eintrag gethan hat, faſt nur von fremdem Raube gelebt, und die einzige eigenthümliche Erfindung der Deutſchen in Maſſe bleibt es, in Familiengedichten den tiefſten Ton der Philiſterei und Häuslichkeit angegeben, ſowie in den gewöhnlichen Komödien die Infamie der herr- ſchenden ſittlichen Begriffe und niederträchtiger Edelmüthigkeit mit großer Natürlichkeit niedergelegt zu haben, und es bleibt für dieſe Schmach des deutſchen Theaters kein Troſt, als etwa daß andere Nationen nach dieſem deutſchen Wegwurf mit Begier gehaſcht haben. Nachdem im Drama nach ſeinen zwei Formen die höchſte Totalität erreicht iſt, ſo kann die redende Kunſt nur wieder zur bildenden zurück- ſtreben, aber ſelbſt nicht weiter ſich bilden. Im Geſang geht die Poeſie zur Muſik zurück, zur Malerei im Tanz, theils ſofern er Ballet, theils ſofern er Pantomime iſt, zur eigent- lichen Plaſtik in der Schauſpielkunſt, die eine lebendige Plaſtik iſt. Da dieſe Künſte, wie geſagt, durch ein Zurückſtreben aus der redenden zur bildenden Kunſt entſtehen, ſo bilden ſie eine eigne Sphäre

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 735. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/411>, abgerufen am 24.11.2024.