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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Es versteht sich, daß, weil die Nothwendigkeit ihrer Natur nach objek-
tiv ist, die Nothwendigkeit im Subjekt nur eine prätendirte, angenommene
seyn kann und eine affektirte Absolutheit ist, die nun durch die Noth-
wendigkeit in der Gestalt der äußeren Differenz zu Schanden gemacht
wird. So wie die Freiheit und Besonderheit auf der einen Seite die
Nothwendigkeit und Allgemeinheit lügt, so nimmt auf der anderen
Seite die Nothwendigkeit den Schein der Freiheit an und vernichtet
unter dem angenommenen Aeußeren der Gesetzlosigkeit, im Grunde aber
nach einer nothwendigen Ordnung die prätendirte Gesetzmäßigkeit. Es
ist nothwendig, daß wo sich die Besonderheit zur Nothwendigkeit das
Verhältniß der Objektivität gibt, sie zu nichte werde; es ist also inso-
fern
in der Komödie das höchste Schicksal und sie selbst wieder die
höchste Tragödie; aber das Schicksal erscheint eben deßwegen, weil es
selbst eine der seinigen entgegengesetzte Natur annimmt, in einer erhei-
ternden Gestalt, nur als die Ironie, nicht aber als das Verhängniß
der Nothwendigkeit.

Da jede mögliche Affektation und Prätention auf Absolutheit ein
unnatürlicher Zustand ist, so ist es für die Komödie, da sie als Drama
ganz nur an die Anschauung geht, die vorzüglichste Aufgabe, nicht nur
diese Prätention zur Anschauung zu bringen, sondern auch, weil die
Anschauung vorzüglich nur das Nothwendige faßt, ihr eine Art von
Nothwendigkeit zu geben. Die subjektive Absolutheit, sie sey nun wahr
und in der Harmonie mit der Nothwendigkeit, oder bloß angenommen
und also im Widerspruch mit ihr, drückt sich als Charakter aus. Der
Charakter ist aber wie in der Tragödie ebenso auch in der Komödie
ein Postulat, eben weil er das Absolute ist; er selbst ist nicht weiter
zu motiviren. Nun ist es aber nothwendig, daß gerade in den höch-
sten Potenzen der Ungereimtheit und der Widersinnigkeit die Anschau-
lichkeit sich gleichsam verliert, wenn sie nicht auf andere Weise darein
gebracht wird. (Anders im Roman -- weil episch.) Dieß ist nun
bloß möglich, wenn die Person durch einen von ihr unabhängigen
Grund, eine äußere Nothwendigkeit schon bestimmt ist, einen gewissen
Charakter anzunehmen und ihn öffentlich vor sich zu tragen. Zur

Es verſteht ſich, daß, weil die Nothwendigkeit ihrer Natur nach objek-
tiv iſt, die Nothwendigkeit im Subjekt nur eine prätendirte, angenommene
ſeyn kann und eine affektirte Abſolutheit iſt, die nun durch die Noth-
wendigkeit in der Geſtalt der äußeren Differenz zu Schanden gemacht
wird. So wie die Freiheit und Beſonderheit auf der einen Seite die
Nothwendigkeit und Allgemeinheit lügt, ſo nimmt auf der anderen
Seite die Nothwendigkeit den Schein der Freiheit an und vernichtet
unter dem angenommenen Aeußeren der Geſetzloſigkeit, im Grunde aber
nach einer nothwendigen Ordnung die prätendirte Geſetzmäßigkeit. Es
iſt nothwendig, daß wo ſich die Beſonderheit zur Nothwendigkeit das
Verhältniß der Objektivität gibt, ſie zu nichte werde; es iſt alſo inſo-
fern
in der Komödie das höchſte Schickſal und ſie ſelbſt wieder die
höchſte Tragödie; aber das Schickſal erſcheint eben deßwegen, weil es
ſelbſt eine der ſeinigen entgegengeſetzte Natur annimmt, in einer erhei-
ternden Geſtalt, nur als die Ironie, nicht aber als das Verhängniß
der Nothwendigkeit.

Da jede mögliche Affektation und Prätention auf Abſolutheit ein
unnatürlicher Zuſtand iſt, ſo iſt es für die Komödie, da ſie als Drama
ganz nur an die Anſchauung geht, die vorzüglichſte Aufgabe, nicht nur
dieſe Prätention zur Anſchauung zu bringen, ſondern auch, weil die
Anſchauung vorzüglich nur das Nothwendige faßt, ihr eine Art von
Nothwendigkeit zu geben. Die ſubjektive Abſolutheit, ſie ſey nun wahr
und in der Harmonie mit der Nothwendigkeit, oder bloß angenommen
und alſo im Widerſpruch mit ihr, drückt ſich als Charakter aus. Der
Charakter iſt aber wie in der Tragödie ebenſo auch in der Komödie
ein Poſtulat, eben weil er das Abſolute iſt; er ſelbſt iſt nicht weiter
zu motiviren. Nun iſt es aber nothwendig, daß gerade in den höch-
ſten Potenzen der Ungereimtheit und der Widerſinnigkeit die Anſchau-
lichkeit ſich gleichſam verliert, wenn ſie nicht auf andere Weiſe darein
gebracht wird. (Anders im Roman — weil epiſch.) Dieß iſt nun
bloß möglich, wenn die Perſon durch einen von ihr unabhängigen
Grund, eine äußere Nothwendigkeit ſchon beſtimmt iſt, einen gewiſſen
Charakter anzunehmen und ihn öffentlich vor ſich zu tragen. Zur

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[713/0389] Es verſteht ſich, daß, weil die Nothwendigkeit ihrer Natur nach objek- tiv iſt, die Nothwendigkeit im Subjekt nur eine prätendirte, angenommene ſeyn kann und eine affektirte Abſolutheit iſt, die nun durch die Noth- wendigkeit in der Geſtalt der äußeren Differenz zu Schanden gemacht wird. So wie die Freiheit und Beſonderheit auf der einen Seite die Nothwendigkeit und Allgemeinheit lügt, ſo nimmt auf der anderen Seite die Nothwendigkeit den Schein der Freiheit an und vernichtet unter dem angenommenen Aeußeren der Geſetzloſigkeit, im Grunde aber nach einer nothwendigen Ordnung die prätendirte Geſetzmäßigkeit. Es iſt nothwendig, daß wo ſich die Beſonderheit zur Nothwendigkeit das Verhältniß der Objektivität gibt, ſie zu nichte werde; es iſt alſo inſo- fern in der Komödie das höchſte Schickſal und ſie ſelbſt wieder die höchſte Tragödie; aber das Schickſal erſcheint eben deßwegen, weil es ſelbſt eine der ſeinigen entgegengeſetzte Natur annimmt, in einer erhei- ternden Geſtalt, nur als die Ironie, nicht aber als das Verhängniß der Nothwendigkeit. Da jede mögliche Affektation und Prätention auf Abſolutheit ein unnatürlicher Zuſtand iſt, ſo iſt es für die Komödie, da ſie als Drama ganz nur an die Anſchauung geht, die vorzüglichſte Aufgabe, nicht nur dieſe Prätention zur Anſchauung zu bringen, ſondern auch, weil die Anſchauung vorzüglich nur das Nothwendige faßt, ihr eine Art von Nothwendigkeit zu geben. Die ſubjektive Abſolutheit, ſie ſey nun wahr und in der Harmonie mit der Nothwendigkeit, oder bloß angenommen und alſo im Widerſpruch mit ihr, drückt ſich als Charakter aus. Der Charakter iſt aber wie in der Tragödie ebenſo auch in der Komödie ein Poſtulat, eben weil er das Abſolute iſt; er ſelbſt iſt nicht weiter zu motiviren. Nun iſt es aber nothwendig, daß gerade in den höch- ſten Potenzen der Ungereimtheit und der Widerſinnigkeit die Anſchau- lichkeit ſich gleichſam verliert, wenn ſie nicht auf andere Weiſe darein gebracht wird. (Anders im Roman — weil epiſch.) Dieß iſt nun bloß möglich, wenn die Perſon durch einen von ihr unabhängigen Grund, eine äußere Nothwendigkeit ſchon beſtimmt iſt, einen gewiſſen Charakter anzunehmen und ihn öffentlich vor ſich zu tragen. Zur

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/389>, abgerufen am 22.11.2024.