Da selbst alle empirische Nothwendigkeit nur empirisch Nothwen- digkeit, an sich betrachtet aber Zufälligkeit ist, so kann die ächte Tra- gödie auch nicht auf empirische Nothwendigkeit gegründet seyn. Alles, was empirisch nothwendig ist, ist, weil ein anderes ist, wodurch es möglich ist, aber dieses andere selbst ist ja nicht an sich nothwendig, sondern wieder durch ein anderes. Die empirische Nothwendigkeit würde aber die Zufälligkeit nicht aufheben. Diejenige Nothwendigkeit, die in der Tragödie erscheint, kann demnach einzig absoluter Art und eine solche seyn, die empirisch vielmehr unbegreiflich als begreiflich ist. Inwiefern selbst, um die Verstandesseite nicht zu vernachlässigen, eine empirische Nothwendigkeit in der Aufeinanderfolge der Begebenheiten eingeführt wird, muß diese doch selbst nicht wieder empirisch, sondern nur absolut begriffen werden können. Die empirische Nothwendigkeit muß als Werk- zeug der höheren und absoluten erscheinen; sie muß nur dienen für die Erscheinung herbeizuführen, was in dieser schon geschehen ist.
Hierher gehört nun auch das sogenannte Motiviren, welches ein Necessitiren oder Begründung der Handlung im Subjekt ist, und welches vornehmlich durch äußere Mittel geschieht.
Die Grenze dieses Motivirens ist schon durch das Vorhergehende bestimmt. Soll es etwa auf das Herstellen einer recht empirisch-be- greiflichen Nothwendigkeit gehen, so ist es ganz verwerflich, besonders wenn sich der Dichter dadurch zu der groben Fassungskraft der Zuschauer herablassen will. Die Kunst des Motivirens würde dann darin bestehen, dem Helden nur einen Charakter von recht großer Weite zu geben, aus dem nichts auf absolute Weise hervorgehen kann, in dem also alle möglichen Motive ihr Spiel treiben können. Dieß ist der gerade Weg, den Helden schwach und als das Spiel äußerer Bestimmungsgründe er- scheinen zu lassen. Ein solcher ist nicht tragisch. Der tragische Held muß, in welcher Beziehung es sey, eine Absolutheit des Charakters haben, so daß ihm das Aeußere nur Stoff ist, und es in keinem Fall zweifel- haft seyn kann, wie er handelt. Ja in Ermanglung des anderen Schick- sals müßte ihm der Charakter dazu werden. Von welcher Art auch der äußere Stoff sey, die Handlung muß immer aus ihm selbst kommen.
Da ſelbſt alle empiriſche Nothwendigkeit nur empiriſch Nothwen- digkeit, an ſich betrachtet aber Zufälligkeit iſt, ſo kann die ächte Tra- gödie auch nicht auf empiriſche Nothwendigkeit gegründet ſeyn. Alles, was empiriſch nothwendig iſt, iſt, weil ein anderes iſt, wodurch es möglich iſt, aber dieſes andere ſelbſt iſt ja nicht an ſich nothwendig, ſondern wieder durch ein anderes. Die empiriſche Nothwendigkeit würde aber die Zufälligkeit nicht aufheben. Diejenige Nothwendigkeit, die in der Tragödie erſcheint, kann demnach einzig abſoluter Art und eine ſolche ſeyn, die empiriſch vielmehr unbegreiflich als begreiflich iſt. Inwiefern ſelbſt, um die Verſtandesſeite nicht zu vernachläſſigen, eine empiriſche Nothwendigkeit in der Aufeinanderfolge der Begebenheiten eingeführt wird, muß dieſe doch ſelbſt nicht wieder empiriſch, ſondern nur abſolut begriffen werden können. Die empiriſche Nothwendigkeit muß als Werk- zeug der höheren und abſoluten erſcheinen; ſie muß nur dienen für die Erſcheinung herbeizuführen, was in dieſer ſchon geſchehen iſt.
Hierher gehört nun auch das ſogenannte Motiviren, welches ein Neceſſitiren oder Begründung der Handlung im Subjekt iſt, und welches vornehmlich durch äußere Mittel geſchieht.
Die Grenze dieſes Motivirens iſt ſchon durch das Vorhergehende beſtimmt. Soll es etwa auf das Herſtellen einer recht empiriſch-be- greiflichen Nothwendigkeit gehen, ſo iſt es ganz verwerflich, beſonders wenn ſich der Dichter dadurch zu der groben Faſſungskraft der Zuſchauer herablaſſen will. Die Kunſt des Motivirens würde dann darin beſtehen, dem Helden nur einen Charakter von recht großer Weite zu geben, aus dem nichts auf abſolute Weiſe hervorgehen kann, in dem alſo alle möglichen Motive ihr Spiel treiben können. Dieß iſt der gerade Weg, den Helden ſchwach und als das Spiel äußerer Beſtimmungsgründe er- ſcheinen zu laſſen. Ein ſolcher iſt nicht tragiſch. Der tragiſche Held muß, in welcher Beziehung es ſey, eine Abſolutheit des Charakters haben, ſo daß ihm das Aeußere nur Stoff iſt, und es in keinem Fall zweifel- haft ſeyn kann, wie er handelt. Ja in Ermanglung des anderen Schick- ſals müßte ihm der Charakter dazu werden. Von welcher Art auch der äußere Stoff ſey, die Handlung muß immer aus ihm ſelbſt kommen.
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was empiriſch nothwendig iſt, iſt, weil ein anderes iſt, wodurch es möglich
iſt, aber dieſes andere ſelbſt iſt ja nicht an ſich nothwendig, ſondern
wieder durch ein anderes. Die empiriſche Nothwendigkeit würde aber
die Zufälligkeit nicht aufheben. Diejenige Nothwendigkeit, die in der
Tragödie erſcheint, kann demnach einzig abſoluter Art und eine ſolche
ſeyn, die empiriſch vielmehr unbegreiflich als begreiflich iſt. Inwiefern
ſelbſt, um die Verſtandesſeite nicht zu vernachläſſigen, eine empiriſche
Nothwendigkeit in der Aufeinanderfolge der Begebenheiten eingeführt
wird, muß dieſe doch ſelbſt nicht wieder empiriſch, ſondern nur abſolut
begriffen werden können. Die empiriſche Nothwendigkeit muß als Werk-
zeug der höheren und abſoluten erſcheinen; ſie muß nur dienen für die
Erſcheinung herbeizuführen, was in dieſer ſchon geſchehen iſt.
Hierher gehört nun auch das ſogenannte Motiviren, welches ein
Neceſſitiren oder Begründung der Handlung im Subjekt iſt, und welches
vornehmlich durch äußere Mittel geſchieht.
Die Grenze dieſes Motivirens iſt ſchon durch das Vorhergehende
beſtimmt. Soll es etwa auf das Herſtellen einer recht empiriſch-be-
greiflichen Nothwendigkeit gehen, ſo iſt es ganz verwerflich, beſonders
wenn ſich der Dichter dadurch zu der groben Faſſungskraft der Zuſchauer
herablaſſen will. Die Kunſt des Motivirens würde dann darin beſtehen,
dem Helden nur einen Charakter von recht großer Weite zu geben, aus
dem nichts auf abſolute Weiſe hervorgehen kann, in dem alſo alle
möglichen Motive ihr Spiel treiben können. Dieß iſt der gerade Weg,
den Helden ſchwach und als das Spiel äußerer Beſtimmungsgründe er-
ſcheinen zu laſſen. Ein ſolcher iſt nicht tragiſch. Der tragiſche Held
muß, in welcher Beziehung es ſey, eine Abſolutheit des Charakters haben,
ſo daß ihm das Aeußere nur Stoff iſt, und es in keinem Fall zweifel-
haft ſeyn kann, wie er handelt. Ja in Ermanglung des anderen Schick-
ſals müßte ihm der Charakter dazu werden. Von welcher Art auch der
äußere Stoff ſey, die Handlung muß immer aus ihm ſelbſt kommen.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/376>, abgerufen am 22.11.2024.
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