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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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läßt. Nur da bewegt sie die Seele, wo wirklich Widerstreit gegen sie
ist. Aber in der Art von Darstellung, die wir voraussetzen, soll ja
der Widerstreit erscheinen, nur nicht subjektiv -- denn sonst wäre das
Gedicht lyrisch -- sondern objektiv; aber auch nicht objektiv wie im
epischen Gedicht, so daß das Gemüth dabei ruhig und unbewegt bleibt.
Es ist also nur Eine mögliche Darstellung, bei welcher das Darzustellende
ebenso objektiv als im epischen Gedicht, und doch das Subjekt ebenso
bewegt ist als im lyrischen Gedicht: es ist nämlich die, wo die Hand-
lung nicht in der Erzählung, sondern selbst und wirklich vorgestellt
wird (das Subjektive objektiv dargestellt wird). Die vorausgesetzte
Gattung, welche die letzte Synthese aller Poesie seyn sollte, ist also
das Drama.

Um noch bei diesem Gegensatz des Drama als einer wirklich vor-
gestellten Handlung mit dem Epos zu verweilen, so ist wenn im Epos
die reine Identität oder Nothwendigkeit herrschen soll, ein Erzähler
nothwendig, der durch den Gleichmuth seiner Erzählung selbst von der
allzugroßen Theilnahme an den handelnden Personen beständig zurück-
rufe, und ihre Aufmerksamkeit auf den reinen Erfolg spanne. Die-
selbe Begebenheit, welche, episch dargestellt, nur das objektive Interesse
am Erfolg läßt, würde, dramatisch repräsentirt, unmittelbar das an
den Personen damit vermischen, und dadurch die reine Objektivität der
Anschauung aufheben. Der Erzähler, da er den handelnden Personen
fremd ist, geht den Zuhörern in der gemäßigten Betrachtung nicht nur
voran und stimmt sie durch die Erzählung selbst dazu, sondern er tritt
auch gleichsam an die Stelle der Nothwendigkeit, und da diese ihr Ziel
nicht selbst aussprechen kann, leitet er die Zuhörer darauf hin. Im
dramatischen Gedicht dagegen, weil es die Natur der beiden entgegen-
gesetzten Gattungen vereinigen soll, muß außer dem Antheil an der
Begebenheit auch noch die Theilnahme an den Personen hinzukommen;
nur durch diese Verbindung der Begebenheiten mit der Theilnahme
an Personen wird sie Handlung und That. Thaten aber, um das
Gemüth zu bewegen, müssen angeschaut werden, ebenso, wie Begeben-
heiten, um das Gemüth ruhiger zu lassen, erzählt seyn müssen. Thaten

läßt. Nur da bewegt ſie die Seele, wo wirklich Widerſtreit gegen ſie
iſt. Aber in der Art von Darſtellung, die wir vorausſetzen, ſoll ja
der Widerſtreit erſcheinen, nur nicht ſubjektiv — denn ſonſt wäre das
Gedicht lyriſch — ſondern objektiv; aber auch nicht objektiv wie im
epiſchen Gedicht, ſo daß das Gemüth dabei ruhig und unbewegt bleibt.
Es iſt alſo nur Eine mögliche Darſtellung, bei welcher das Darzuſtellende
ebenſo objektiv als im epiſchen Gedicht, und doch das Subjekt ebenſo
bewegt iſt als im lyriſchen Gedicht: es iſt nämlich die, wo die Hand-
lung nicht in der Erzählung, ſondern ſelbſt und wirklich vorgeſtellt
wird (das Subjektive objektiv dargeſtellt wird). Die vorausgeſetzte
Gattung, welche die letzte Syntheſe aller Poeſie ſeyn ſollte, iſt alſo
das Drama.

Um noch bei dieſem Gegenſatz des Drama als einer wirklich vor-
geſtellten Handlung mit dem Epos zu verweilen, ſo iſt wenn im Epos
die reine Identität oder Nothwendigkeit herrſchen ſoll, ein Erzähler
nothwendig, der durch den Gleichmuth ſeiner Erzählung ſelbſt von der
allzugroßen Theilnahme an den handelnden Perſonen beſtändig zurück-
rufe, und ihre Aufmerkſamkeit auf den reinen Erfolg ſpanne. Die-
ſelbe Begebenheit, welche, epiſch dargeſtellt, nur das objektive Intereſſe
am Erfolg läßt, würde, dramatiſch repräſentirt, unmittelbar das an
den Perſonen damit vermiſchen, und dadurch die reine Objektivität der
Anſchauung aufheben. Der Erzähler, da er den handelnden Perſonen
fremd iſt, geht den Zuhörern in der gemäßigten Betrachtung nicht nur
voran und ſtimmt ſie durch die Erzählung ſelbſt dazu, ſondern er tritt
auch gleichſam an die Stelle der Nothwendigkeit, und da dieſe ihr Ziel
nicht ſelbſt ausſprechen kann, leitet er die Zuhörer darauf hin. Im
dramatiſchen Gedicht dagegen, weil es die Natur der beiden entgegen-
geſetzten Gattungen vereinigen ſoll, muß außer dem Antheil an der
Begebenheit auch noch die Theilnahme an den Perſonen hinzukommen;
nur durch dieſe Verbindung der Begebenheiten mit der Theilnahme
an Perſonen wird ſie Handlung und That. Thaten aber, um das
Gemüth zu bewegen, müſſen angeſchaut werden, ebenſo, wie Begeben-
heiten, um das Gemüth ruhiger zu laſſen, erzählt ſeyn müſſen. Thaten

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[692/0368] läßt. Nur da bewegt ſie die Seele, wo wirklich Widerſtreit gegen ſie iſt. Aber in der Art von Darſtellung, die wir vorausſetzen, ſoll ja der Widerſtreit erſcheinen, nur nicht ſubjektiv — denn ſonſt wäre das Gedicht lyriſch — ſondern objektiv; aber auch nicht objektiv wie im epiſchen Gedicht, ſo daß das Gemüth dabei ruhig und unbewegt bleibt. Es iſt alſo nur Eine mögliche Darſtellung, bei welcher das Darzuſtellende ebenſo objektiv als im epiſchen Gedicht, und doch das Subjekt ebenſo bewegt iſt als im lyriſchen Gedicht: es iſt nämlich die, wo die Hand- lung nicht in der Erzählung, ſondern ſelbſt und wirklich vorgeſtellt wird (das Subjektive objektiv dargeſtellt wird). Die vorausgeſetzte Gattung, welche die letzte Syntheſe aller Poeſie ſeyn ſollte, iſt alſo das Drama. Um noch bei dieſem Gegenſatz des Drama als einer wirklich vor- geſtellten Handlung mit dem Epos zu verweilen, ſo iſt wenn im Epos die reine Identität oder Nothwendigkeit herrſchen ſoll, ein Erzähler nothwendig, der durch den Gleichmuth ſeiner Erzählung ſelbſt von der allzugroßen Theilnahme an den handelnden Perſonen beſtändig zurück- rufe, und ihre Aufmerkſamkeit auf den reinen Erfolg ſpanne. Die- ſelbe Begebenheit, welche, epiſch dargeſtellt, nur das objektive Intereſſe am Erfolg läßt, würde, dramatiſch repräſentirt, unmittelbar das an den Perſonen damit vermiſchen, und dadurch die reine Objektivität der Anſchauung aufheben. Der Erzähler, da er den handelnden Perſonen fremd iſt, geht den Zuhörern in der gemäßigten Betrachtung nicht nur voran und ſtimmt ſie durch die Erzählung ſelbſt dazu, ſondern er tritt auch gleichſam an die Stelle der Nothwendigkeit, und da dieſe ihr Ziel nicht ſelbſt ausſprechen kann, leitet er die Zuhörer darauf hin. Im dramatiſchen Gedicht dagegen, weil es die Natur der beiden entgegen- geſetzten Gattungen vereinigen ſoll, muß außer dem Antheil an der Begebenheit auch noch die Theilnahme an den Perſonen hinzukommen; nur durch dieſe Verbindung der Begebenheiten mit der Theilnahme an Perſonen wird ſie Handlung und That. Thaten aber, um das Gemüth zu bewegen, müſſen angeſchaut werden, ebenſo, wie Begeben- heiten, um das Gemüth ruhiger zu laſſen, erzählt ſeyn müſſen. Thaten

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/368>, abgerufen am 22.11.2024.