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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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ist und nur die Masse wirkt. Die epischen Versuche mit neueren
Stoffen wären also an und für sich schon auf den Boden mehr der
Odyssee als der Ilias gewiesen, aber auch auf jenem würden sich
alterthümliche Sitten, eine Welt, wie sie zur epischen Entwicklung, Klar-
heit und Einfalt erforderlich ist, nur in beschränkteren Sphären finden
lassen (wie in Voßens Luise). Aber hiedurch würde das epische Gedicht
mehr die Natur der Idylle annehmen, wenn nicht etwa der Dichter die
Möglichkeit fände, in diese Beschränktheit wieder die Allgemeinheit einer
großen Begebenheit zu ziehen. Dieß ist in Goethes Hermann und
Dorothea
auf solche Weise geschehen, daß man diesem Gedicht seiner
Beschränktheit durch den Stoff unerachtet den epischen Charakter im ge-
wissen Grade zugestehen muß; dagegen die Luise von Voß durch den
den Dichter selbst als Idylle, als Gemälde, nämlich mehr als Dar-
stellung des Ruhigen denn als Darstellung des Fortschreitenden charak-
terisirt worden ist. Durch das Goethesche Gedicht ist also ein Problem
der neueren Poesie gelöst und der Weg zu ferneren Versuchen dieser
Art und Weise geöffnet. Es wäre nicht undenkbar, daß aus der Ein-
zelnheit solcher Versuche, wenn sie sich gleich ursprünglich an einen be-
stimmt gebildeten Kern anschlößen, in der Folge sogar durch eine Syn-
these oder Ausdehnung, wie die mit den homerischen Gesängen geübte,
ein gemeinschaftliches Ganzes entstehen könnte. Aber noch immer würde
auch eine Totalität solcher kleineren epischen Ganzen nie die wahre Idee
des Epos erreichen, das der modernen Welt so nothwendig fehlt, als
die innere Identität der Bildung und die Identität des Zustandes, von
dem sie ausgegangen ist. -- Wir müssen daher diese Betrachtungen über
das Epos mit demselben Resultat schließen, mit dem wir die über
Mythologie geschlossen haben, nämlich daß der Homeros, der in der
antiken Kunst der Erste war, in der modernen Kunst der Letzte seyn
und die äußerste Bestimmung derselben vollenden wird.

Dieses Resultat kann partielle Versuche den Homeros für eine be-
stimmte Zeit zu antipiciren, nicht niederschlagen, nur ist die Bedingung,
unter welcher ächte Versuche dieser Art allein möglich werden, daß man
die Grundeigenschaft des Epos, Universalität, d. h. Verwandlung alles

iſt und nur die Maſſe wirkt. Die epiſchen Verſuche mit neueren
Stoffen wären alſo an und für ſich ſchon auf den Boden mehr der
Odyſſee als der Ilias gewieſen, aber auch auf jenem würden ſich
alterthümliche Sitten, eine Welt, wie ſie zur epiſchen Entwicklung, Klar-
heit und Einfalt erforderlich iſt, nur in beſchränkteren Sphären finden
laſſen (wie in Voßens Luiſe). Aber hiedurch würde das epiſche Gedicht
mehr die Natur der Idylle annehmen, wenn nicht etwa der Dichter die
Möglichkeit fände, in dieſe Beſchränktheit wieder die Allgemeinheit einer
großen Begebenheit zu ziehen. Dieß iſt in Goethes Hermann und
Dorothea
auf ſolche Weiſe geſchehen, daß man dieſem Gedicht ſeiner
Beſchränktheit durch den Stoff unerachtet den epiſchen Charakter im ge-
wiſſen Grade zugeſtehen muß; dagegen die Luiſe von Voß durch den
den Dichter ſelbſt als Idylle, als Gemälde, nämlich mehr als Dar-
ſtellung des Ruhigen denn als Darſtellung des Fortſchreitenden charak-
teriſirt worden iſt. Durch das Goetheſche Gedicht iſt alſo ein Problem
der neueren Poeſie gelöst und der Weg zu ferneren Verſuchen dieſer
Art und Weiſe geöffnet. Es wäre nicht undenkbar, daß aus der Ein-
zelnheit ſolcher Verſuche, wenn ſie ſich gleich urſprünglich an einen be-
ſtimmt gebildeten Kern anſchlößen, in der Folge ſogar durch eine Syn-
theſe oder Ausdehnung, wie die mit den homeriſchen Geſängen geübte,
ein gemeinſchaftliches Ganzes entſtehen könnte. Aber noch immer würde
auch eine Totalität ſolcher kleineren epiſchen Ganzen nie die wahre Idee
des Epos erreichen, das der modernen Welt ſo nothwendig fehlt, als
die innere Identität der Bildung und die Identität des Zuſtandes, von
dem ſie ausgegangen iſt. — Wir müſſen daher dieſe Betrachtungen über
das Epos mit demſelben Reſultat ſchließen, mit dem wir die über
Mythologie geſchloſſen haben, nämlich daß der Homeros, der in der
antiken Kunſt der Erſte war, in der modernen Kunſt der Letzte ſeyn
und die äußerſte Beſtimmung derſelben vollenden wird.

Dieſes Reſultat kann partielle Verſuche den Homeros für eine be-
ſtimmte Zeit zu antipiciren, nicht niederſchlagen, nur iſt die Bedingung,
unter welcher ächte Verſuche dieſer Art allein möglich werden, daß man
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[685/0361] iſt und nur die Maſſe wirkt. Die epiſchen Verſuche mit neueren Stoffen wären alſo an und für ſich ſchon auf den Boden mehr der Odyſſee als der Ilias gewieſen, aber auch auf jenem würden ſich alterthümliche Sitten, eine Welt, wie ſie zur epiſchen Entwicklung, Klar- heit und Einfalt erforderlich iſt, nur in beſchränkteren Sphären finden laſſen (wie in Voßens Luiſe). Aber hiedurch würde das epiſche Gedicht mehr die Natur der Idylle annehmen, wenn nicht etwa der Dichter die Möglichkeit fände, in dieſe Beſchränktheit wieder die Allgemeinheit einer großen Begebenheit zu ziehen. Dieß iſt in Goethes Hermann und Dorothea auf ſolche Weiſe geſchehen, daß man dieſem Gedicht ſeiner Beſchränktheit durch den Stoff unerachtet den epiſchen Charakter im ge- wiſſen Grade zugeſtehen muß; dagegen die Luiſe von Voß durch den den Dichter ſelbſt als Idylle, als Gemälde, nämlich mehr als Dar- ſtellung des Ruhigen denn als Darſtellung des Fortſchreitenden charak- teriſirt worden iſt. Durch das Goetheſche Gedicht iſt alſo ein Problem der neueren Poeſie gelöst und der Weg zu ferneren Verſuchen dieſer Art und Weiſe geöffnet. Es wäre nicht undenkbar, daß aus der Ein- zelnheit ſolcher Verſuche, wenn ſie ſich gleich urſprünglich an einen be- ſtimmt gebildeten Kern anſchlößen, in der Folge ſogar durch eine Syn- theſe oder Ausdehnung, wie die mit den homeriſchen Geſängen geübte, ein gemeinſchaftliches Ganzes entſtehen könnte. Aber noch immer würde auch eine Totalität ſolcher kleineren epiſchen Ganzen nie die wahre Idee des Epos erreichen, das der modernen Welt ſo nothwendig fehlt, als die innere Identität der Bildung und die Identität des Zuſtandes, von dem ſie ausgegangen iſt. — Wir müſſen daher dieſe Betrachtungen über das Epos mit demſelben Reſultat ſchließen, mit dem wir die über Mythologie geſchloſſen haben, nämlich daß der Homeros, der in der antiken Kunſt der Erſte war, in der modernen Kunſt der Letzte ſeyn und die äußerſte Beſtimmung derſelben vollenden wird. Dieſes Reſultat kann partielle Verſuche den Homeros für eine be- ſtimmte Zeit zu antipiciren, nicht niederſchlagen, nur iſt die Bedingung, unter welcher ächte Verſuche dieſer Art allein möglich werden, daß man die Grundeigenſchaft des Epos, Univerſalität, d. h. Verwandlung alles

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 685. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/361>, abgerufen am 24.11.2024.