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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Universums im Wissen darstellen. Das vollkommene Bild des Universum
muß also in der Wissenschaft erreicht seyn. Die Wissenschaft ist be-
rufen, es zu seyn. Es ist gewiß, daß die Wissenschaft, welche diese
Identität mit dem Universum erreicht hätte, nicht nur von Seiten des
Stoffs, sondern auch durch die Form mit der des Universum überein-
stimmte, und inwiefern das Universum selbst das Urbild aller Poesie,
ja die Poesie des Absoluten selbst ist, so würde die Wissenschaft in jener
Identität mit dem Universum sowohl dem Stoff, als der Form nach
schon an und für sich Poesie seyn und in Poesie sich auflösen. Der
Ursprung des absoluten Lehrgedichts oder des speculativen Epos fällt also
mit der Vollendung der Wissenschaft in eins zusammen, und wie die
Wissenschaft erst von der Poesie ausging, so ist es auch ihre schönste
und letzte Bestimmung, in diesen Ocean zurückzufließen. Ja nach dem,
was schon früher von der einzigen Möglichkeit des wahren Epos und
der Mythologie für die neuere Zeit gezeigt wurde, daß nämlich die
Götter der neueren Welt, welche Geschichtsgötter sind, von der Natur
Besitz ergreifen müssen, um als Götter zu erscheinen -- in dieser
Hinsicht, sage ich, möchte das erste wahre Gedicht von der Natur der
Dinge mit dem wahren Epos gleichzeitig seyn.

In der subjektiven Sphäre der dem epischen Gedicht untergeord-
neten Gattungen ist die Satyre die objektivere Form, da ihr Gegen-
stand das Reale, Objektive und vorzugsweise wenigstens das Handeln
ist. Ich begnüge mich mit Bemerkung der epischen Natur der Satyre.
Da sie nicht erzählend ist, wie das Epos, also nicht wie dieses Personen
auf epische Weise redend einführen kann, und doch vorzüglich Charaktere
und Handlungen darzustellen hat, so nähert sie sich eben dadurch noth-
wendig dem Dramatischen, und sie muß der inneren Darstellung nach,
um ihrer Aufgabe Genüge zu thun, nothwendig ein dramatisches Leben
haben. Es versteht sich, daß unter den Begriff der Satyre im strengen
Sinn nichts gehören kann, was absolut und an sich selbst dramatisch
ist. Es wäre ebenso thöricht oder noch thörichter, die Komödien des
Aristophanes zur Gattung der Satyre herunterzusetzen, als wie man
sonst pflegte den Don Quixote des Cervantes zu einer Satyre zu machen.

Univerſums im Wiſſen darſtellen. Das vollkommene Bild des Univerſum
muß alſo in der Wiſſenſchaft erreicht ſeyn. Die Wiſſenſchaft iſt be-
rufen, es zu ſeyn. Es iſt gewiß, daß die Wiſſenſchaft, welche dieſe
Identität mit dem Univerſum erreicht hätte, nicht nur von Seiten des
Stoffs, ſondern auch durch die Form mit der des Univerſum überein-
ſtimmte, und inwiefern das Univerſum ſelbſt das Urbild aller Poeſie,
ja die Poeſie des Abſoluten ſelbſt iſt, ſo würde die Wiſſenſchaft in jener
Identität mit dem Univerſum ſowohl dem Stoff, als der Form nach
ſchon an und für ſich Poeſie ſeyn und in Poeſie ſich auflöſen. Der
Urſprung des abſoluten Lehrgedichts oder des ſpeculativen Epos fällt alſo
mit der Vollendung der Wiſſenſchaft in eins zuſammen, und wie die
Wiſſenſchaft erſt von der Poeſie ausging, ſo iſt es auch ihre ſchönſte
und letzte Beſtimmung, in dieſen Ocean zurückzufließen. Ja nach dem,
was ſchon früher von der einzigen Möglichkeit des wahren Epos und
der Mythologie für die neuere Zeit gezeigt wurde, daß nämlich die
Götter der neueren Welt, welche Geſchichtsgötter ſind, von der Natur
Beſitz ergreifen müſſen, um als Götter zu erſcheinen — in dieſer
Hinſicht, ſage ich, möchte das erſte wahre Gedicht von der Natur der
Dinge mit dem wahren Epos gleichzeitig ſeyn.

In der ſubjektiven Sphäre der dem epiſchen Gedicht untergeord-
neten Gattungen iſt die Satyre die objektivere Form, da ihr Gegen-
ſtand das Reale, Objektive und vorzugsweiſe wenigſtens das Handeln
iſt. Ich begnüge mich mit Bemerkung der epiſchen Natur der Satyre.
Da ſie nicht erzählend iſt, wie das Epos, alſo nicht wie dieſes Perſonen
auf epiſche Weiſe redend einführen kann, und doch vorzüglich Charaktere
und Handlungen darzuſtellen hat, ſo nähert ſie ſich eben dadurch noth-
wendig dem Dramatiſchen, und ſie muß der inneren Darſtellung nach,
um ihrer Aufgabe Genüge zu thun, nothwendig ein dramatiſches Leben
haben. Es verſteht ſich, daß unter den Begriff der Satyre im ſtrengen
Sinn nichts gehören kann, was abſolut und an ſich ſelbſt dramatiſch
iſt. Es wäre ebenſo thöricht oder noch thörichter, die Komödien des
Ariſtophanes zur Gattung der Satyre herunterzuſetzen, als wie man
ſonſt pflegte den Don Quixote des Cervantes zu einer Satyre zu machen.

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[667/0343] Univerſums im Wiſſen darſtellen. Das vollkommene Bild des Univerſum muß alſo in der Wiſſenſchaft erreicht ſeyn. Die Wiſſenſchaft iſt be- rufen, es zu ſeyn. Es iſt gewiß, daß die Wiſſenſchaft, welche dieſe Identität mit dem Univerſum erreicht hätte, nicht nur von Seiten des Stoffs, ſondern auch durch die Form mit der des Univerſum überein- ſtimmte, und inwiefern das Univerſum ſelbſt das Urbild aller Poeſie, ja die Poeſie des Abſoluten ſelbſt iſt, ſo würde die Wiſſenſchaft in jener Identität mit dem Univerſum ſowohl dem Stoff, als der Form nach ſchon an und für ſich Poeſie ſeyn und in Poeſie ſich auflöſen. Der Urſprung des abſoluten Lehrgedichts oder des ſpeculativen Epos fällt alſo mit der Vollendung der Wiſſenſchaft in eins zuſammen, und wie die Wiſſenſchaft erſt von der Poeſie ausging, ſo iſt es auch ihre ſchönſte und letzte Beſtimmung, in dieſen Ocean zurückzufließen. Ja nach dem, was ſchon früher von der einzigen Möglichkeit des wahren Epos und der Mythologie für die neuere Zeit gezeigt wurde, daß nämlich die Götter der neueren Welt, welche Geſchichtsgötter ſind, von der Natur Beſitz ergreifen müſſen, um als Götter zu erſcheinen — in dieſer Hinſicht, ſage ich, möchte das erſte wahre Gedicht von der Natur der Dinge mit dem wahren Epos gleichzeitig ſeyn. In der ſubjektiven Sphäre der dem epiſchen Gedicht untergeord- neten Gattungen iſt die Satyre die objektivere Form, da ihr Gegen- ſtand das Reale, Objektive und vorzugsweiſe wenigſtens das Handeln iſt. Ich begnüge mich mit Bemerkung der epiſchen Natur der Satyre. Da ſie nicht erzählend iſt, wie das Epos, alſo nicht wie dieſes Perſonen auf epiſche Weiſe redend einführen kann, und doch vorzüglich Charaktere und Handlungen darzuſtellen hat, ſo nähert ſie ſich eben dadurch noth- wendig dem Dramatiſchen, und ſie muß der inneren Darſtellung nach, um ihrer Aufgabe Genüge zu thun, nothwendig ein dramatiſches Leben haben. Es verſteht ſich, daß unter den Begriff der Satyre im ſtrengen Sinn nichts gehören kann, was abſolut und an ſich ſelbſt dramatiſch iſt. Es wäre ebenſo thöricht oder noch thörichter, die Komödien des Ariſtophanes zur Gattung der Satyre herunterzuſetzen, als wie man ſonſt pflegte den Don Quixote des Cervantes zu einer Satyre zu machen.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/343>, abgerufen am 25.11.2024.