das Epos Darstellung des Ruhenden durch Bewegung sey, so daß die Bewegung in die Poesie und die Ruhe in den Gegenstand fiele, so würde dieß sogleich den epischen Charakter aufheben, es entstünde da- durch die beschreibende Dichtart, das sogenannte poetische Gemälde, und fremder kann dem Epos nichts seyn als dieses. Es ist ein widerstre- bender Anblick, den beschreibenden Dichter sich anstrengen und bewegen zu sehen, während der Gegenstand immer unbeweglich bleibt. Weßhalb selbst da, wo das Epos das Ruhende beschreibt, das Ruhende selbst in Bewegung und Fortschreitung verwandelt werden muß. Beispiel: Schild des Achilles, obwohl auch nach andern Gründen dieses Stück der Ilias zu den spätesten gehört.
Wenn wir nun jedoch auf den allgemeinen Typus reflektiren, der den Formen der Kunst zu Grunde liegt, so finden wir, daß das Epos in der Poesie dem Gemälde in der bildenden Kunst entspreche. Wie dieses, so ist auch jenes Darstellung des Besondern im Allgemeinen, des Endlichen im Unendlichen. Wie in diesem Licht und Nichtlicht in Eine identische Masse zusammen fließt, so in jenem auch Besonderheit und Allgemeinheit. Wie in diesem die Fläche herrschend ist, so breitet sich auch das Epos nach allen Seiten wie ein Ocean aus, der Länder und Völker verbindet. Wie ist nun dieses Verhältniß zu begreifen? Der Gegenstand des Gemäldes, könnte man einwenden, ist ruhig, in dem des Epos dagegen ein stetiger Fortschritt. Allein in diesem Ein- wurf wird das, was die bloße Grenze der Malerei ist, zu ihrem Wesen gemacht. Objektiv angesehen ist das, was wir den Gegenstand im Gemälde nennen können, nicht ohne Fortschreitung; es ist nur ein -- subjektiv -- fixirter Moment, aber wir sehen besonders bei affektvollen Gegenständen, aber überhaupt im historischen Gemälde, daß der nächste Moment alle Verhältnisse ändert, aber dieser nächste Moment ist nicht dargestellt, alle Figuren des Gemäldes bleiben in ihrer Stel- lung; es ist ein empirisch zur Ewigkeit gemachter Moment. Man kann aber wegen dieser in gegenwärtigem Betracht bloß zufälligen Begrenzung nicht sagen, der Gegenstand ruhe; vielmehr schreitet er fort, nur ist uns der nächste Moment entzogen. Es ist dasselbe Verhältniß wie
das Epos Darſtellung des Ruhenden durch Bewegung ſey, ſo daß die Bewegung in die Poeſie und die Ruhe in den Gegenſtand fiele, ſo würde dieß ſogleich den epiſchen Charakter aufheben, es entſtünde da- durch die beſchreibende Dichtart, das ſogenannte poetiſche Gemälde, und fremder kann dem Epos nichts ſeyn als dieſes. Es iſt ein widerſtre- bender Anblick, den beſchreibenden Dichter ſich anſtrengen und bewegen zu ſehen, während der Gegenſtand immer unbeweglich bleibt. Weßhalb ſelbſt da, wo das Epos das Ruhende beſchreibt, das Ruhende ſelbſt in Bewegung und Fortſchreitung verwandelt werden muß. Beiſpiel: Schild des Achilles, obwohl auch nach andern Gründen dieſes Stück der Ilias zu den ſpäteſten gehört.
Wenn wir nun jedoch auf den allgemeinen Typus reflektiren, der den Formen der Kunſt zu Grunde liegt, ſo finden wir, daß das Epos in der Poeſie dem Gemälde in der bildenden Kunſt entſpreche. Wie dieſes, ſo iſt auch jenes Darſtellung des Beſondern im Allgemeinen, des Endlichen im Unendlichen. Wie in dieſem Licht und Nichtlicht in Eine identiſche Maſſe zuſammen fließt, ſo in jenem auch Beſonderheit und Allgemeinheit. Wie in dieſem die Fläche herrſchend iſt, ſo breitet ſich auch das Epos nach allen Seiten wie ein Ocean aus, der Länder und Völker verbindet. Wie iſt nun dieſes Verhältniß zu begreifen? Der Gegenſtand des Gemäldes, könnte man einwenden, iſt ruhig, in dem des Epos dagegen ein ſtetiger Fortſchritt. Allein in dieſem Ein- wurf wird das, was die bloße Grenze der Malerei iſt, zu ihrem Weſen gemacht. Objektiv angeſehen iſt das, was wir den Gegenſtand im Gemälde nennen können, nicht ohne Fortſchreitung; es iſt nur ein — ſubjektiv — fixirter Moment, aber wir ſehen beſonders bei affektvollen Gegenſtänden, aber überhaupt im hiſtoriſchen Gemälde, daß der nächſte Moment alle Verhältniſſe ändert, aber dieſer nächſte Moment iſt nicht dargeſtellt, alle Figuren des Gemäldes bleiben in ihrer Stel- lung; es iſt ein empiriſch zur Ewigkeit gemachter Moment. Man kann aber wegen dieſer in gegenwärtigem Betracht bloß zufälligen Begrenzung nicht ſagen, der Gegenſtand ruhe; vielmehr ſchreitet er fort, nur iſt uns der nächſte Moment entzogen. Es iſt daſſelbe Verhältniß wie
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das Epos Darſtellung des Ruhenden durch Bewegung ſey, ſo daß die
Bewegung in die Poeſie und die Ruhe in den Gegenſtand fiele, ſo
würde dieß ſogleich den epiſchen Charakter aufheben, es entſtünde da-
durch die beſchreibende Dichtart, das ſogenannte poetiſche Gemälde, und
fremder kann dem Epos nichts ſeyn als dieſes. Es iſt ein widerſtre-
bender Anblick, den beſchreibenden Dichter ſich anſtrengen und bewegen
zu ſehen, während der Gegenſtand immer unbeweglich bleibt. Weßhalb
ſelbſt da, wo das Epos das Ruhende beſchreibt, das Ruhende ſelbſt in
Bewegung und Fortſchreitung verwandelt werden muß. Beiſpiel: Schild
des Achilles, obwohl auch nach andern Gründen dieſes Stück der Ilias
zu den ſpäteſten gehört.
Wenn wir nun jedoch auf den allgemeinen Typus reflektiren, der
den Formen der Kunſt zu Grunde liegt, ſo finden wir, daß das Epos
in der Poeſie dem Gemälde in der bildenden Kunſt entſpreche. Wie
dieſes, ſo iſt auch jenes Darſtellung des Beſondern im Allgemeinen,
des Endlichen im Unendlichen. Wie in dieſem Licht und Nichtlicht in
Eine identiſche Maſſe zuſammen fließt, ſo in jenem auch Beſonderheit
und Allgemeinheit. Wie in dieſem die Fläche herrſchend iſt, ſo breitet
ſich auch das Epos nach allen Seiten wie ein Ocean aus, der Länder
und Völker verbindet. Wie iſt nun dieſes Verhältniß zu begreifen?
Der Gegenſtand des Gemäldes, könnte man einwenden, iſt ruhig, in
dem des Epos dagegen ein ſtetiger Fortſchritt. Allein in dieſem Ein-
wurf wird das, was die bloße Grenze der Malerei iſt, zu ihrem
Weſen gemacht. Objektiv angeſehen iſt das, was wir den Gegenſtand
im Gemälde nennen können, nicht ohne Fortſchreitung; es iſt nur
ein — ſubjektiv — fixirter Moment, aber wir ſehen beſonders bei
affektvollen Gegenſtänden, aber überhaupt im hiſtoriſchen Gemälde, daß
der nächſte Moment alle Verhältniſſe ändert, aber dieſer nächſte Moment
iſt nicht dargeſtellt, alle Figuren des Gemäldes bleiben in ihrer Stel-
lung; es iſt ein empiriſch zur Ewigkeit gemachter Moment. Man kann
aber wegen dieſer in gegenwärtigem Betracht bloß zufälligen Begrenzung
nicht ſagen, der Gegenſtand ruhe; vielmehr ſchreitet er fort, nur iſt
uns der nächſte Moment entzogen. Es iſt daſſelbe Verhältniß wie
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/325>, abgerufen am 22.11.2024.
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