der Identität des homerischen Epos gehört auch das heroische Princip, das Princip des Königthums und der Herrschaft.
Die lyrische Poesie begann mit Kallinos und Archelaos nach schon gänzlich vollendeter Ausbildung des Epos; und in Vergleichung mit dem Epos ist daher die lyrische Kunst bis zu ihrer letzten Vollendung im Pindaros ganz republikanische Poesie 1.
Fast alle lyrischen Gesänge der Alten, von deren Existenz wir ent- weder nur durch historische Ueberlieferung wissen, oder die uns in Bruchstücken, oder selbst ganz übrig geblieben sind, beziehen sich auf das öffentliche und allgemeine Leben, und die selbst mehr aufs Einzelne sich beziehenden lyrischen Gedichte der Alten drücken Geselligkeit aus, wie sie nur in einem freien und großen Staate seyn und werden konnte. Alles deutet darauf, daß die im Epos noch geschlossene Knospe gebro- chen ist und die freiere Bildung des Lebens sich entfaltet.
Auch in der Besonderheit der lyrischen Dichtkunst also sind die Griechen objektiv, real, expansiv.
Die ersten lyrischen Rhythmen waren, wie bemerkt, diejenigen, in welchen die Gesetze freier Staaten gesungen wurden; noch bei Solon. Die Kriegslieder des Tyrtaios "spornte" eine ganz objektive Leidenschaft. Alkaios war das Haupt der Verschworenen gegen die Tyrannen, nicht nur mit dem Schwert, sondern auch mit Gesängen sie bekämpfend. Von mehreren lyrischen Dichtern dieser Zeit wird erzählt, daß sie auf Rath der Götter herbeigerufen worden, bürgerliche Uneinigkeiten beizu- legen. Andere waren geehrt an Höfen der Herrscher und Tyrannen der damaligen Zeit. Arion z. B. von Periander. Die Zeit der Un- schuld war auch dadurch vorbei, daß die Sänger nicht mehr genügsam waren wie die homerischen; daß sie Lohn, Gewinn, Ansehen für das Talent forderten. Pindaros, dessen Leyer bei den öffentlichen Wett- spielen ertönte, war auch in dieser -- objektiven -- Beziehung der griechischen Lyrik die Blüthe. Er anticipirte in sich die Bildung des Perikleischen Zeitalters; der rohere Republikanismus ist schon zur
1 S. Friedr. Schlegel, Geschichte der Poesie der Griechen und Römer, S. 218.
der Identität des homeriſchen Epos gehört auch das heroiſche Princip, das Princip des Königthums und der Herrſchaft.
Die lyriſche Poeſie begann mit Kallinos und Archelaos nach ſchon gänzlich vollendeter Ausbildung des Epos; und in Vergleichung mit dem Epos iſt daher die lyriſche Kunſt bis zu ihrer letzten Vollendung im Pindaros ganz republikaniſche Poeſie 1.
Faſt alle lyriſchen Geſänge der Alten, von deren Exiſtenz wir ent- weder nur durch hiſtoriſche Ueberlieferung wiſſen, oder die uns in Bruchſtücken, oder ſelbſt ganz übrig geblieben ſind, beziehen ſich auf das öffentliche und allgemeine Leben, und die ſelbſt mehr aufs Einzelne ſich beziehenden lyriſchen Gedichte der Alten drücken Geſelligkeit aus, wie ſie nur in einem freien und großen Staate ſeyn und werden konnte. Alles deutet darauf, daß die im Epos noch geſchloſſene Knoſpe gebro- chen iſt und die freiere Bildung des Lebens ſich entfaltet.
Auch in der Beſonderheit der lyriſchen Dichtkunſt alſo ſind die Griechen objektiv, real, expanſiv.
Die erſten lyriſchen Rhythmen waren, wie bemerkt, diejenigen, in welchen die Geſetze freier Staaten geſungen wurden; noch bei Solon. Die Kriegslieder des Tyrtaios „ſpornte“ eine ganz objektive Leidenſchaft. Alkaios war das Haupt der Verſchworenen gegen die Tyrannen, nicht nur mit dem Schwert, ſondern auch mit Geſängen ſie bekämpfend. Von mehreren lyriſchen Dichtern dieſer Zeit wird erzählt, daß ſie auf Rath der Götter herbeigerufen worden, bürgerliche Uneinigkeiten beizu- legen. Andere waren geehrt an Höfen der Herrſcher und Tyrannen der damaligen Zeit. Arion z. B. von Periander. Die Zeit der Un- ſchuld war auch dadurch vorbei, daß die Sänger nicht mehr genügſam waren wie die homeriſchen; daß ſie Lohn, Gewinn, Anſehen für das Talent forderten. Pindaros, deſſen Leyer bei den öffentlichen Wett- ſpielen ertönte, war auch in dieſer — objektiven — Beziehung der griechiſchen Lyrik die Blüthe. Er anticipirte in ſich die Bildung des Perikleiſchen Zeitalters; der rohere Republikanismus iſt ſchon zur
1 S. Friedr. Schlegel, Geſchichte der Poeſie der Griechen und Römer, S. 218.
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der Identität des homeriſchen Epos gehört auch das heroiſche Princip,
das Princip des Königthums und der Herrſchaft.
Die lyriſche Poeſie begann mit Kallinos und Archelaos nach ſchon
gänzlich vollendeter Ausbildung des Epos; und in Vergleichung mit dem
Epos iſt daher die lyriſche Kunſt bis zu ihrer letzten Vollendung im
Pindaros ganz republikaniſche Poeſie 1.
Faſt alle lyriſchen Geſänge der Alten, von deren Exiſtenz wir ent-
weder nur durch hiſtoriſche Ueberlieferung wiſſen, oder die uns in
Bruchſtücken, oder ſelbſt ganz übrig geblieben ſind, beziehen ſich auf das
öffentliche und allgemeine Leben, und die ſelbſt mehr aufs Einzelne ſich
beziehenden lyriſchen Gedichte der Alten drücken Geſelligkeit aus, wie
ſie nur in einem freien und großen Staate ſeyn und werden konnte.
Alles deutet darauf, daß die im Epos noch geſchloſſene Knoſpe gebro-
chen iſt und die freiere Bildung des Lebens ſich entfaltet.
Auch in der Beſonderheit der lyriſchen Dichtkunſt alſo ſind die
Griechen objektiv, real, expanſiv.
Die erſten lyriſchen Rhythmen waren, wie bemerkt, diejenigen, in
welchen die Geſetze freier Staaten geſungen wurden; noch bei Solon.
Die Kriegslieder des Tyrtaios „ſpornte“ eine ganz objektive Leidenſchaft.
Alkaios war das Haupt der Verſchworenen gegen die Tyrannen, nicht
nur mit dem Schwert, ſondern auch mit Geſängen ſie bekämpfend.
Von mehreren lyriſchen Dichtern dieſer Zeit wird erzählt, daß ſie auf
Rath der Götter herbeigerufen worden, bürgerliche Uneinigkeiten beizu-
legen. Andere waren geehrt an Höfen der Herrſcher und Tyrannen
der damaligen Zeit. Arion z. B. von Periander. Die Zeit der Un-
ſchuld war auch dadurch vorbei, daß die Sänger nicht mehr genügſam
waren wie die homeriſchen; daß ſie Lohn, Gewinn, Anſehen für das
Talent forderten. Pindaros, deſſen Leyer bei den öffentlichen Wett-
ſpielen ertönte, war auch in dieſer — objektiven — Beziehung der
griechiſchen Lyrik die Blüthe. Er anticipirte in ſich die Bildung des
Perikleiſchen Zeitalters; der rohere Republikanismus iſt ſchon zur
1 S. Friedr. Schlegel, Geſchichte der Poeſie der Griechen und Römer, S. 218.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/318>, abgerufen am 16.02.2025.
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