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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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erreichen, so haben auch diese sie erreicht, indem sie alles die persön-
liche Neigung Ansprechende aus ihren Bildern entfernten.

Um nun ins Einzelne zu gehen, so beruhte jene abstrakte Wahr-
heit in Bildung der einzelnen Formen des menschlichen Leibs vorzüglich
darauf, das Uebergewicht des Geistes auch körperlich auszudrücken,
also denjenigen Organen, welche auf geistigere Verhältnisse deuten, das
Uebergewicht über die andern zu geben, die mehr eine sinnliche Be-
stimmung haben. Hierauf gründet sich das sogenannte griechische Profil,
welches nichts anderes als ein Uebergewicht der edleren Theile des
Kopfes über die minder edlen andeutet. Hierauf gründet sich die dem
hohen Styl eigenthümliche Auszeichnung der Augen, die dadurch erreicht
wurde, daß sie allezeit tiefer gebildet wurden, als sie insgemein in der
Natur erscheinen. Dieß geschah wirklich nach einem ganz abstrakten
Begriff, um an diesem Theile mehr Licht und Schatten hervorzubringen,
und dadurch das Auge, welches insbesondere an sehr großen Figuren
unerkennbarer wurde, als lebhafter und wirksamer auszuzeichnen. Auch
in Ansehung des Auges ging man in den früheren Zeiten nicht auf
eine Nachahmung, sondern nur auf eine symbolische Bezeichnung der
Natur (wie das eben Angeführte beweist), und daraus folgte auch, daß
der Augenstern z. B. erst in späteren Zeiten der Kunst besonders ange-
deutet wurde. Sonst, wie gesagt, bestand die Schönheit der Formen
im Einzelnen vorzüglich auf der Mäßigung aller der Theile, welche
näheren Bezug auf die Nahrung und überhaupt auf das Thierische oder
die Wollust hatten, z. B. des Ueberflusses der weiblichen Brüste, welche
die Griechinnen selbst in der Natur zu mäßigen durch künstliche Mittel
sich bestrebten. Dagegen wurde die männliche Brust vorzüglich prächtig
gewölbt, und zwar in einem gewissen umgekehrten Verhältniß zu der
Erhabenheit des Haupts und der Stirne. Die Köpfe des Neptunus,
dem die Brust geweiht war, finden sich auf allen geschnittenen Steinen
bis unter die Brust ausgeführt, viel seltener die der andern Gottheiten.
Der Unterleib erschien ohne eigentlichen Bauch an den edleren Gotthei-
ten, der nur dem Silen und den Faunen zugetheilt wurde. Außer der
allgemeinen Mäßigung besonderer Theile strebten die griechischen Künstler

erreichen, ſo haben auch dieſe ſie erreicht, indem ſie alles die perſön-
liche Neigung Anſprechende aus ihren Bildern entfernten.

Um nun ins Einzelne zu gehen, ſo beruhte jene abſtrakte Wahr-
heit in Bildung der einzelnen Formen des menſchlichen Leibs vorzüglich
darauf, das Uebergewicht des Geiſtes auch körperlich auszudrücken,
alſo denjenigen Organen, welche auf geiſtigere Verhältniſſe deuten, das
Uebergewicht über die andern zu geben, die mehr eine ſinnliche Be-
ſtimmung haben. Hierauf gründet ſich das ſogenannte griechiſche Profil,
welches nichts anderes als ein Uebergewicht der edleren Theile des
Kopfes über die minder edlen andeutet. Hierauf gründet ſich die dem
hohen Styl eigenthümliche Auszeichnung der Augen, die dadurch erreicht
wurde, daß ſie allezeit tiefer gebildet wurden, als ſie insgemein in der
Natur erſcheinen. Dieß geſchah wirklich nach einem ganz abſtrakten
Begriff, um an dieſem Theile mehr Licht und Schatten hervorzubringen,
und dadurch das Auge, welches insbeſondere an ſehr großen Figuren
unerkennbarer wurde, als lebhafter und wirkſamer auszuzeichnen. Auch
in Anſehung des Auges ging man in den früheren Zeiten nicht auf
eine Nachahmung, ſondern nur auf eine ſymboliſche Bezeichnung der
Natur (wie das eben Angeführte beweist), und daraus folgte auch, daß
der Augenſtern z. B. erſt in ſpäteren Zeiten der Kunſt beſonders ange-
deutet wurde. Sonſt, wie geſagt, beſtand die Schönheit der Formen
im Einzelnen vorzüglich auf der Mäßigung aller der Theile, welche
näheren Bezug auf die Nahrung und überhaupt auf das Thieriſche oder
die Wolluſt hatten, z. B. des Ueberfluſſes der weiblichen Brüſte, welche
die Griechinnen ſelbſt in der Natur zu mäßigen durch künſtliche Mittel
ſich beſtrebten. Dagegen wurde die männliche Bruſt vorzüglich prächtig
gewölbt, und zwar in einem gewiſſen umgekehrten Verhältniß zu der
Erhabenheit des Haupts und der Stirne. Die Köpfe des Neptunus,
dem die Bruſt geweiht war, finden ſich auf allen geſchnittenen Steinen
bis unter die Bruſt ausgeführt, viel ſeltener die der andern Gottheiten.
Der Unterleib erſchien ohne eigentlichen Bauch an den edleren Gotthei-
ten, der nur dem Silen und den Faunen zugetheilt wurde. Außer der
allgemeinen Mäßigung beſonderer Theile ſtrebten die griechiſchen Künſtler

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[615/0291] erreichen, ſo haben auch dieſe ſie erreicht, indem ſie alles die perſön- liche Neigung Anſprechende aus ihren Bildern entfernten. Um nun ins Einzelne zu gehen, ſo beruhte jene abſtrakte Wahr- heit in Bildung der einzelnen Formen des menſchlichen Leibs vorzüglich darauf, das Uebergewicht des Geiſtes auch körperlich auszudrücken, alſo denjenigen Organen, welche auf geiſtigere Verhältniſſe deuten, das Uebergewicht über die andern zu geben, die mehr eine ſinnliche Be- ſtimmung haben. Hierauf gründet ſich das ſogenannte griechiſche Profil, welches nichts anderes als ein Uebergewicht der edleren Theile des Kopfes über die minder edlen andeutet. Hierauf gründet ſich die dem hohen Styl eigenthümliche Auszeichnung der Augen, die dadurch erreicht wurde, daß ſie allezeit tiefer gebildet wurden, als ſie insgemein in der Natur erſcheinen. Dieß geſchah wirklich nach einem ganz abſtrakten Begriff, um an dieſem Theile mehr Licht und Schatten hervorzubringen, und dadurch das Auge, welches insbeſondere an ſehr großen Figuren unerkennbarer wurde, als lebhafter und wirkſamer auszuzeichnen. Auch in Anſehung des Auges ging man in den früheren Zeiten nicht auf eine Nachahmung, ſondern nur auf eine ſymboliſche Bezeichnung der Natur (wie das eben Angeführte beweist), und daraus folgte auch, daß der Augenſtern z. B. erſt in ſpäteren Zeiten der Kunſt beſonders ange- deutet wurde. Sonſt, wie geſagt, beſtand die Schönheit der Formen im Einzelnen vorzüglich auf der Mäßigung aller der Theile, welche näheren Bezug auf die Nahrung und überhaupt auf das Thieriſche oder die Wolluſt hatten, z. B. des Ueberfluſſes der weiblichen Brüſte, welche die Griechinnen ſelbſt in der Natur zu mäßigen durch künſtliche Mittel ſich beſtrebten. Dagegen wurde die männliche Bruſt vorzüglich prächtig gewölbt, und zwar in einem gewiſſen umgekehrten Verhältniß zu der Erhabenheit des Haupts und der Stirne. Die Köpfe des Neptunus, dem die Bruſt geweiht war, finden ſich auf allen geſchnittenen Steinen bis unter die Bruſt ausgeführt, viel ſeltener die der andern Gottheiten. Der Unterleib erſchien ohne eigentlichen Bauch an den edleren Gotthei- ten, der nur dem Silen und den Faunen zugetheilt wurde. Außer der allgemeinen Mäßigung beſonderer Theile ſtrebten die griechiſchen Künſtler

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/291>, abgerufen am 22.11.2024.