der Theile und in einem erhabenen Ausdrucke und mehr das wahrhafti Schöne -- worunter er das geistig-Schöne versteht -- als das Lieb- liche -- oder das sinnlich-Schöne -- gesucht."
Die höchste Schönheit ist aber, wie das Absolute, immer sich selbst gleich und schlechthin eins. Alle in der Anschauung derselben ent- worfenen Vorstellungen mußten sich also mehr oder weniger diesem Einen nähern und dadurch auch unter sich gleich und einförmig wer- den, wie man auch an den Köpfen der Niobe und ihrer Töchter bemerkt, die gleichsam bloß quantitativ, nämlich nach dem Alter und Grad, nicht aber nach der Art der Schönheit verschieden erscheinen. Ueberhaupt konnte, wo nur das Große, Mächtige, nicht das Reizende, sondern das an sich Hohe, das innere Gleichgewicht der Seele, die Entfernung von Empörungen des Gefühls und Leidenschaftlichkeit gesucht wurde, jene sinnliche Art der Schönheit, die wir Anmuth nennen, weder gesucht noch angebracht werden. Dieß ist aber nicht so zu verstehen, als ob die Werke der älteren Künstler der Grazie beraubt wären. Nur von dem ältesten, herbsten Styl ließe sich dieß einigermaßen sagen, aber wir müssen auch in Ansehung der Grazie wieder einen Unterschied der geistigeren und der sinnlicheren zulassen. Die ersten Nachfolger der großen Künstler des hohen Styls kannten nur die erste und erreichten sie bloß dadurch, daß sie die hohen Schönheiten an den Statuen ihrer Meister, die, wie Winkelmann sagt, wie von der Natur abstrahirte Ideen und nach einem Lehrgebäude gebildete Formen waren, mäßigten, und dadurch wieder eine größere Mannichfaltigkeit erhielten.
Denn der Begriff jedes Dings ist nur einer, und was nicht nach der Natur, deren Charakter Differenz, sondern nach dem Begriff gemacht ist, ist nothwendig ebenso eins als der Begriff.
Von den zwei Arten der Grazie sagt Winkelmann 1, es sey mit diesen wie mit der Venus, welche auch eine gedoppelte Natur habe. Die eine sey, wie die himmlische Venus, von höherer Geburt und von der Harmonie gebildet und beständig und unveränderlich wie die ewigen
1 a. a. O. Bd. 7, S. 106. 107.
der Theile und in einem erhabenen Ausdrucke und mehr das wahrhafti Schöne — worunter er das geiſtig-Schöne verſteht — als das Lieb- liche — oder das ſinnlich-Schöne — geſucht.“
Die höchſte Schönheit iſt aber, wie das Abſolute, immer ſich ſelbſt gleich und ſchlechthin eins. Alle in der Anſchauung derſelben ent- worfenen Vorſtellungen mußten ſich alſo mehr oder weniger dieſem Einen nähern und dadurch auch unter ſich gleich und einförmig wer- den, wie man auch an den Köpfen der Niobe und ihrer Töchter bemerkt, die gleichſam bloß quantitativ, nämlich nach dem Alter und Grad, nicht aber nach der Art der Schönheit verſchieden erſcheinen. Ueberhaupt konnte, wo nur das Große, Mächtige, nicht das Reizende, ſondern das an ſich Hohe, das innere Gleichgewicht der Seele, die Entfernung von Empörungen des Gefühls und Leidenſchaftlichkeit geſucht wurde, jene ſinnliche Art der Schönheit, die wir Anmuth nennen, weder geſucht noch angebracht werden. Dieß iſt aber nicht ſo zu verſtehen, als ob die Werke der älteren Künſtler der Grazie beraubt wären. Nur von dem älteſten, herbſten Styl ließe ſich dieß einigermaßen ſagen, aber wir müſſen auch in Anſehung der Grazie wieder einen Unterſchied der geiſtigeren und der ſinnlicheren zulaſſen. Die erſten Nachfolger der großen Künſtler des hohen Styls kannten nur die erſte und erreichten ſie bloß dadurch, daß ſie die hohen Schönheiten an den Statuen ihrer Meiſter, die, wie Winkelmann ſagt, wie von der Natur abſtrahirte Ideen und nach einem Lehrgebäude gebildete Formen waren, mäßigten, und dadurch wieder eine größere Mannichfaltigkeit erhielten.
Denn der Begriff jedes Dings iſt nur einer, und was nicht nach der Natur, deren Charakter Differenz, ſondern nach dem Begriff gemacht iſt, iſt nothwendig ebenſo eins als der Begriff.
Von den zwei Arten der Grazie ſagt Winkelmann 1, es ſey mit dieſen wie mit der Venus, welche auch eine gedoppelte Natur habe. Die eine ſey, wie die himmliſche Venus, von höherer Geburt und von der Harmonie gebildet und beſtändig und unveränderlich wie die ewigen
1 a. a. O. Bd. 7, S. 106. 107.
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der Theile und in einem erhabenen Ausdrucke und mehr das wahrhafti
Schöne — worunter er das geiſtig-Schöne verſteht — als das Lieb-
liche — oder das ſinnlich-Schöne — geſucht.“
Die höchſte Schönheit iſt aber, wie das Abſolute, immer ſich
ſelbſt gleich und ſchlechthin eins. Alle in der Anſchauung derſelben ent-
worfenen Vorſtellungen mußten ſich alſo mehr oder weniger dieſem
Einen nähern und dadurch auch unter ſich gleich und einförmig wer-
den, wie man auch an den Köpfen der Niobe und ihrer Töchter bemerkt,
die gleichſam bloß quantitativ, nämlich nach dem Alter und Grad, nicht
aber nach der Art der Schönheit verſchieden erſcheinen. Ueberhaupt
konnte, wo nur das Große, Mächtige, nicht das Reizende, ſondern
das an ſich Hohe, das innere Gleichgewicht der Seele, die Entfernung
von Empörungen des Gefühls und Leidenſchaftlichkeit geſucht wurde,
jene ſinnliche Art der Schönheit, die wir Anmuth nennen, weder geſucht
noch angebracht werden. Dieß iſt aber nicht ſo zu verſtehen, als ob
die Werke der älteren Künſtler der Grazie beraubt wären. Nur von
dem älteſten, herbſten Styl ließe ſich dieß einigermaßen ſagen, aber
wir müſſen auch in Anſehung der Grazie wieder einen Unterſchied der
geiſtigeren und der ſinnlicheren zulaſſen. Die erſten Nachfolger der
großen Künſtler des hohen Styls kannten nur die erſte und erreichten
ſie bloß dadurch, daß ſie die hohen Schönheiten an den Statuen ihrer
Meiſter, die, wie Winkelmann ſagt, wie von der Natur abſtrahirte
Ideen und nach einem Lehrgebäude gebildete Formen waren, mäßigten,
und dadurch wieder eine größere Mannichfaltigkeit erhielten.
Denn der Begriff jedes Dings iſt nur einer, und was nicht nach
der Natur, deren Charakter Differenz, ſondern nach dem Begriff gemacht
iſt, iſt nothwendig ebenſo eins als der Begriff.
Von den zwei Arten der Grazie ſagt Winkelmann 1, es ſey mit
dieſen wie mit der Venus, welche auch eine gedoppelte Natur habe.
Die eine ſey, wie die himmliſche Venus, von höherer Geburt und von
der Harmonie gebildet und beſtändig und unveränderlich wie die ewigen
1 a. a. O. Bd. 7, S. 106. 107.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/288>, abgerufen am 22.11.2024.
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