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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Cohäsion auf, daher das Herz der erste Sitz der Leidenschaft, der
Zuneigung und Begierde, der Heerd der Lebensflamme. Damit aber
dieses Feuer, welches durch die Berührung der Entgegengesetzten sich
entzündet, gekühlt werde, wie der Platonische Timäos 1 sagt, sind die
Lungen oder die Werkzeuge des Athmens zugegeben. Die Höhlung
des Leibes bedeutet die Umwölbung, welche der Himmel über der Erde
bildet, sowie der eigentliche Unterleib die im Inneren der Erde wirk-
same Reproduktionskraft, wodurch sie beständig ihren eignen Stoff ver-
zehrt und zu höheren Entwicklungen vorbereitet, die erst näher der
Oberfläche und dem Anblick der Sonne sich hervorthun.

Die drei Systeme sind die Grundlage und das Wesentliche des
menschlichen Leibs. Außer diesem aber waren ihm noch Hülfsorgane
nothwendig, worunter ich die Füße und Hände verstehe. Die Füße
drücken die gänzliche Losgerissenheit von der Erde aus, und da sie die
Nähe und Ferne verbinden, bezeichnen sie den Menschen als das sicht-
bare Bild der Gottheit, der nichts nahe und nichts ferne ist. Homer
beschreibt das Schreiten der Juno so schnell als den Gedanken eines
Menschen, der viele entlegene Länder, die er bereist hat, in einem
Augenblick durchfährt und sagt: hier bin ich gewesen und dort war ich.
Die Schnelligkeit der Atalante wird so beschrieben, daß sie im Lauf
keine Spur im Sand zurücklasse, über den ihr Fuß geschritten. (Vati-
kanischer Apoll.) Die Arme und Hände bedeuten den Kunsttrieb des
Universums und die Allmacht der Natur, die alles umwandelt und ge-
staltet. -- Wir werden späterhin finden, daß es eben diese Bedeutung
der einzelnen Theile des menschlichen Leibs ist, nach welcher sie auch
in der Plastik gebildet werden.

Viertens: Die menschliche Gestalt auch in ihrer Ruhe deutet
auf ein geschlossenes und vollkommen abgewogenes System von Be-
wegungen. Man sieht auch in ihrer Ruhe, daß wenn sie sich bewegen
wird, dieß mit dem vollkommensten Gleichgewicht des Ganzen geschehen
wird. Auch darin wird die symbolische Bedeutung der menschlichen

1 p. 88. d.

Cohäſion auf, daher das Herz der erſte Sitz der Leidenſchaft, der
Zuneigung und Begierde, der Heerd der Lebensflamme. Damit aber
dieſes Feuer, welches durch die Berührung der Entgegengeſetzten ſich
entzündet, gekühlt werde, wie der Platoniſche Timäos 1 ſagt, ſind die
Lungen oder die Werkzeuge des Athmens zugegeben. Die Höhlung
des Leibes bedeutet die Umwölbung, welche der Himmel über der Erde
bildet, ſowie der eigentliche Unterleib die im Inneren der Erde wirk-
ſame Reproduktionskraft, wodurch ſie beſtändig ihren eignen Stoff ver-
zehrt und zu höheren Entwicklungen vorbereitet, die erſt näher der
Oberfläche und dem Anblick der Sonne ſich hervorthun.

Die drei Syſteme ſind die Grundlage und das Weſentliche des
menſchlichen Leibs. Außer dieſem aber waren ihm noch Hülfsorgane
nothwendig, worunter ich die Füße und Hände verſtehe. Die Füße
drücken die gänzliche Losgeriſſenheit von der Erde aus, und da ſie die
Nähe und Ferne verbinden, bezeichnen ſie den Menſchen als das ſicht-
bare Bild der Gottheit, der nichts nahe und nichts ferne iſt. Homer
beſchreibt das Schreiten der Juno ſo ſchnell als den Gedanken eines
Menſchen, der viele entlegene Länder, die er bereist hat, in einem
Augenblick durchfährt und ſagt: hier bin ich geweſen und dort war ich.
Die Schnelligkeit der Atalante wird ſo beſchrieben, daß ſie im Lauf
keine Spur im Sand zurücklaſſe, über den ihr Fuß geſchritten. (Vati-
kaniſcher Apoll.) Die Arme und Hände bedeuten den Kunſttrieb des
Univerſums und die Allmacht der Natur, die alles umwandelt und ge-
ſtaltet. — Wir werden ſpäterhin finden, daß es eben dieſe Bedeutung
der einzelnen Theile des menſchlichen Leibs iſt, nach welcher ſie auch
in der Plaſtik gebildet werden.

Viertens: Die menſchliche Geſtalt auch in ihrer Ruhe deutet
auf ein geſchloſſenes und vollkommen abgewogenes Syſtem von Be-
wegungen. Man ſieht auch in ihrer Ruhe, daß wenn ſie ſich bewegen
wird, dieß mit dem vollkommenſten Gleichgewicht des Ganzen geſchehen
wird. Auch darin wird die ſymboliſche Bedeutung der menſchlichen

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[606/0282] Cohäſion auf, daher das Herz der erſte Sitz der Leidenſchaft, der Zuneigung und Begierde, der Heerd der Lebensflamme. Damit aber dieſes Feuer, welches durch die Berührung der Entgegengeſetzten ſich entzündet, gekühlt werde, wie der Platoniſche Timäos 1 ſagt, ſind die Lungen oder die Werkzeuge des Athmens zugegeben. Die Höhlung des Leibes bedeutet die Umwölbung, welche der Himmel über der Erde bildet, ſowie der eigentliche Unterleib die im Inneren der Erde wirk- ſame Reproduktionskraft, wodurch ſie beſtändig ihren eignen Stoff ver- zehrt und zu höheren Entwicklungen vorbereitet, die erſt näher der Oberfläche und dem Anblick der Sonne ſich hervorthun. Die drei Syſteme ſind die Grundlage und das Weſentliche des menſchlichen Leibs. Außer dieſem aber waren ihm noch Hülfsorgane nothwendig, worunter ich die Füße und Hände verſtehe. Die Füße drücken die gänzliche Losgeriſſenheit von der Erde aus, und da ſie die Nähe und Ferne verbinden, bezeichnen ſie den Menſchen als das ſicht- bare Bild der Gottheit, der nichts nahe und nichts ferne iſt. Homer beſchreibt das Schreiten der Juno ſo ſchnell als den Gedanken eines Menſchen, der viele entlegene Länder, die er bereist hat, in einem Augenblick durchfährt und ſagt: hier bin ich geweſen und dort war ich. Die Schnelligkeit der Atalante wird ſo beſchrieben, daß ſie im Lauf keine Spur im Sand zurücklaſſe, über den ihr Fuß geſchritten. (Vati- kaniſcher Apoll.) Die Arme und Hände bedeuten den Kunſttrieb des Univerſums und die Allmacht der Natur, die alles umwandelt und ge- ſtaltet. — Wir werden ſpäterhin finden, daß es eben dieſe Bedeutung der einzelnen Theile des menſchlichen Leibs iſt, nach welcher ſie auch in der Plaſtik gebildet werden. Viertens: Die menſchliche Geſtalt auch in ihrer Ruhe deutet auf ein geſchloſſenes und vollkommen abgewogenes Syſtem von Be- wegungen. Man ſieht auch in ihrer Ruhe, daß wenn ſie ſich bewegen wird, dieß mit dem vollkommenſten Gleichgewicht des Ganzen geſchehen wird. Auch darin wird die ſymboliſche Bedeutung der menſchlichen 1 p. 88. d.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/282>, abgerufen am 22.11.2024.