Zusatz. Allgemein kann in Ansehung des rhythmischen Theils behauptet werden, daß, was das Schöne, auch zugleich das Nützliche und Nothwendige ist. -- Denn das Schöne in der Architektur beruht eben auf der Synthesis des Allgemeinen mit dem Besondern dieser Kunst, welches ihre Beziehung auf Zweck oder Nutzen ist. So ist z. B. die Regel der Verjüngung der Säule nach oben durchaus auch die Regel der Sicherheit und Festigkeit.
§. 117. Die drei Säulenordnungen haben unter sich wieder ein Verhältniß wie Rhythmus, Harmonie und Me- lodie, oder sie sind theils vorzugsweise nach rhythmischen theils vor- zugsweise nach harmonischen theils endlich nach melodischen Grundsätzen gebildet. -- (Die nothwendige und wesentliche Besonderheit bewährt sich in Erklärung der einzelnen Formen.)
Zusatz. Die dorische Säulenordnung ist vorzugsweise die rhyth- mische. Der Rhythmus ist in der Musik die reale Form, das Wesent- liche, das Nothwendige der Musik. So die dorische Ordnung, welche am meisten Nothwendigkeit, am wenigsten Zufälliges hat. Sie ist unter den drei Ordnungen die strenge, realistische, männliche und ohne Ausbildung nach der Breite. Bei ihr läßt sich daher auch der reali- stische Ursprung aus der Nachahmung der Baukunst als Kunst der Nothwendigkeit noch am meisten nachweisen. Die gewöhnliche Erklärung oder Construktion der dorischen Ordnung in ihren einzelnen Formen ist folgende aus dem bekannten Princip geführte. In der ersten Zeit der noch einfachen Baukunst begnügten sich die Menschen mit einem bloßen Dach, das ihnen Schutz gegen Sonne, Regen und Kälte gab. Die einfachste Weise, dazu zu gelangen, war ohne Zweifel, daß sie in die Erde vier oder mehrere Pfähle steckten, auf welche dann von vorn und hinten erstens ein Querbalken gelegt wurde, um die in gleicher Linie stehenden Balken zu verbinden, und zugleich die Unterlagen für die Hauptbalken zu geben. Der Querbalken bildete den Architrav. Auf diesen Querbalken wurden nun erst die Hauptbalken, die das Ge- bäude von vorn nach hinten verbinden, gelegt, und zwar in einiger Entfernung, um sie nachher mit Brettern zu überlegen. Die Hervor-
Zuſatz. Allgemein kann in Anſehung des rhythmiſchen Theils behauptet werden, daß, was das Schöne, auch zugleich das Nützliche und Nothwendige iſt. — Denn das Schöne in der Architektur beruht eben auf der Syntheſis des Allgemeinen mit dem Beſondern dieſer Kunſt, welches ihre Beziehung auf Zweck oder Nutzen iſt. So iſt z. B. die Regel der Verjüngung der Säule nach oben durchaus auch die Regel der Sicherheit und Feſtigkeit.
§. 117. Die drei Säulenordnungen haben unter ſich wieder ein Verhältniß wie Rhythmus, Harmonie und Me- lodie, oder ſie ſind theils vorzugsweiſe nach rhythmiſchen theils vor- zugsweiſe nach harmoniſchen theils endlich nach melodiſchen Grundſätzen gebildet. — (Die nothwendige und weſentliche Beſonderheit bewährt ſich in Erklärung der einzelnen Formen.)
Zuſatz. Die doriſche Säulenordnung iſt vorzugsweiſe die rhyth- miſche. Der Rhythmus iſt in der Muſik die reale Form, das Weſent- liche, das Nothwendige der Muſik. So die doriſche Ordnung, welche am meiſten Nothwendigkeit, am wenigſten Zufälliges hat. Sie iſt unter den drei Ordnungen die ſtrenge, realiſtiſche, männliche und ohne Ausbildung nach der Breite. Bei ihr läßt ſich daher auch der reali- ſtiſche Urſprung aus der Nachahmung der Baukunſt als Kunſt der Nothwendigkeit noch am meiſten nachweiſen. Die gewöhnliche Erklärung oder Conſtruktion der doriſchen Ordnung in ihren einzelnen Formen iſt folgende aus dem bekannten Princip geführte. In der erſten Zeit der noch einfachen Baukunſt begnügten ſich die Menſchen mit einem bloßen Dach, das ihnen Schutz gegen Sonne, Regen und Kälte gab. Die einfachſte Weiſe, dazu zu gelangen, war ohne Zweifel, daß ſie in die Erde vier oder mehrere Pfähle ſteckten, auf welche dann von vorn und hinten erſtens ein Querbalken gelegt wurde, um die in gleicher Linie ſtehenden Balken zu verbinden, und zugleich die Unterlagen für die Hauptbalken zu geben. Der Querbalken bildete den Architrav. Auf dieſen Querbalken wurden nun erſt die Hauptbalken, die das Ge- bäude von vorn nach hinten verbinden, gelegt, und zwar in einiger Entfernung, um ſie nachher mit Brettern zu überlegen. Die Hervor-
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Zuſatz. Allgemein kann in Anſehung des rhythmiſchen Theils
behauptet werden, daß, was das Schöne, auch zugleich das Nützliche
und Nothwendige iſt. — Denn das Schöne in der Architektur beruht eben
auf der Syntheſis des Allgemeinen mit dem Beſondern dieſer Kunſt,
welches ihre Beziehung auf Zweck oder Nutzen iſt. So iſt z. B. die
Regel der Verjüngung der Säule nach oben durchaus auch die Regel
der Sicherheit und Feſtigkeit.
§. 117. Die drei Säulenordnungen haben unter ſich
wieder ein Verhältniß wie Rhythmus, Harmonie und Me-
lodie, oder ſie ſind theils vorzugsweiſe nach rhythmiſchen theils vor-
zugsweiſe nach harmoniſchen theils endlich nach melodiſchen Grundſätzen
gebildet. — (Die nothwendige und weſentliche Beſonderheit bewährt ſich
in Erklärung der einzelnen Formen.)
Zuſatz. Die doriſche Säulenordnung iſt vorzugsweiſe die rhyth-
miſche. Der Rhythmus iſt in der Muſik die reale Form, das Weſent-
liche, das Nothwendige der Muſik. So die doriſche Ordnung, welche
am meiſten Nothwendigkeit, am wenigſten Zufälliges hat. Sie iſt
unter den drei Ordnungen die ſtrenge, realiſtiſche, männliche und ohne
Ausbildung nach der Breite. Bei ihr läßt ſich daher auch der reali-
ſtiſche Urſprung aus der Nachahmung der Baukunſt als Kunſt der
Nothwendigkeit noch am meiſten nachweiſen. Die gewöhnliche Erklärung
oder Conſtruktion der doriſchen Ordnung in ihren einzelnen Formen
iſt folgende aus dem bekannten Princip geführte. In der erſten Zeit
der noch einfachen Baukunſt begnügten ſich die Menſchen mit einem
bloßen Dach, das ihnen Schutz gegen Sonne, Regen und Kälte gab.
Die einfachſte Weiſe, dazu zu gelangen, war ohne Zweifel, daß ſie in
die Erde vier oder mehrere Pfähle ſteckten, auf welche dann von vorn
und hinten erſtens ein Querbalken gelegt wurde, um die in gleicher
Linie ſtehenden Balken zu verbinden, und zugleich die Unterlagen für
die Hauptbalken zu geben. Der Querbalken bildete den Architrav.
Auf dieſen Querbalken wurden nun erſt die Hauptbalken, die das Ge-
bäude von vorn nach hinten verbinden, gelegt, und zwar in einiger
Entfernung, um ſie nachher mit Brettern zu überlegen. Die Hervor-
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/267>, abgerufen am 22.11.2024.
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