a) Schöne Kunst wird durch äußere Bedingungen und Beschrän- kungen nie aufgehoben oder unmöglich gemacht, z. B. bei Alfresco-Ge- mälden, wo ein bestimmter Raum nicht nur von bestimmter Größe sondern auch Form vorgeschrieben ist.
b) Es gibt Gattungen der Architektur, wo das Bedürfniß, die Nützlichkeit ganz hinwegfällt, und ihre Werke selbst schon Ausdruck vom Bedürfniß unabhängiger und absoluter Ideen sind, ja, wo sie sogar symbolisch wird, in Tempelräumen (Tempel der Vesta nach dem Bild der himmlischen Umwölbung).
c) Das, was an der Architektur sich eigentlich auf Bedürfniß be- zieht, ist das Innere, an dieses aber wird die Forderung der Schön- heit auch bei weitem zufälliger gemacht, als an das Aeußere.
Folgesatz. Die Architektur bildet nothwendig nach arithmetischen oder, weil sie die Musik im Raume ist, nach geometrischen Verhält- nissen. -- Der Beweis ist in Folgendem enthalten.
1. Es ist früher bewiesen worden, daß Natur, Wissenschaft und Kunst in ihren verschiedenen Stufen die Folge vom Schematischen zum Allegorischen und von da zum Symbolischen beobachtet. Der ur- sprünglichste Schematismus ist die Zahl, wo das Geformte, Besondere durch die Form oder das Allgemeine selbst symbolisirt wird. Was also in dem Gebiet des Schematismus liegt, ist der arithmetischen Bestim- mung unterworfen in der Natur und Kunst, die Architektur, als die Musik der Plastik, folgt also nothwendig arithmetischen Verhältnissen, da sie aber die Musik im Raume, gleichsam die erstarrte Musik ist, so sind diese Verhältnisse zugleich geometrische Verhältnisse.
2. In den tieferen Sphären der Kunst wie der Natur herrschen arithmetische und geometrische Verhältnisse. Auch die Malerei ist in der Linienperspektive noch ganz diesen unterworfen. Auf den höheren Stufen der Natur, sowie der Kunst, wo sie wahrhaft symbolisch wird, wirft sie jene Schranken einer bloß endlichen Gesetzmäßigkeit ab; es tritt die höhere ein, die für den Verstand irrational ist, und nur von der Vernunft gefaßt und begriffen wird: in der Wissenschaft z. B. der höheren Verhältnisse, welche nur die Philosophie, die symbolische unter
a) Schöne Kunſt wird durch äußere Bedingungen und Beſchrän- kungen nie aufgehoben oder unmöglich gemacht, z. B. bei Alfresco-Ge- mälden, wo ein beſtimmter Raum nicht nur von beſtimmter Größe ſondern auch Form vorgeſchrieben iſt.
b) Es gibt Gattungen der Architektur, wo das Bedürfniß, die Nützlichkeit ganz hinwegfällt, und ihre Werke ſelbſt ſchon Ausdruck vom Bedürfniß unabhängiger und abſoluter Ideen ſind, ja, wo ſie ſogar ſymboliſch wird, in Tempelräumen (Tempel der Veſta nach dem Bild der himmliſchen Umwölbung).
c) Das, was an der Architektur ſich eigentlich auf Bedürfniß be- zieht, iſt das Innere, an dieſes aber wird die Forderung der Schön- heit auch bei weitem zufälliger gemacht, als an das Aeußere.
Folgeſatz. Die Architektur bildet nothwendig nach arithmetiſchen oder, weil ſie die Muſik im Raume iſt, nach geometriſchen Verhält- niſſen. — Der Beweis iſt in Folgendem enthalten.
1. Es iſt früher bewieſen worden, daß Natur, Wiſſenſchaft und Kunſt in ihren verſchiedenen Stufen die Folge vom Schematiſchen zum Allegoriſchen und von da zum Symboliſchen beobachtet. Der ur- ſprünglichſte Schematismus iſt die Zahl, wo das Geformte, Beſondere durch die Form oder das Allgemeine ſelbſt ſymboliſirt wird. Was alſo in dem Gebiet des Schematismus liegt, iſt der arithmetiſchen Beſtim- mung unterworfen in der Natur und Kunſt, die Architektur, als die Muſik der Plaſtik, folgt alſo nothwendig arithmetiſchen Verhältniſſen, da ſie aber die Muſik im Raume, gleichſam die erſtarrte Muſik iſt, ſo ſind dieſe Verhältniſſe zugleich geometriſche Verhältniſſe.
2. In den tieferen Sphären der Kunſt wie der Natur herrſchen arithmetiſche und geometriſche Verhältniſſe. Auch die Malerei iſt in der Linienperſpektive noch ganz dieſen unterworfen. Auf den höheren Stufen der Natur, ſowie der Kunſt, wo ſie wahrhaft ſymboliſch wird, wirft ſie jene Schranken einer bloß endlichen Geſetzmäßigkeit ab; es tritt die höhere ein, die für den Verſtand irrational iſt, und nur von der Vernunft gefaßt und begriffen wird: in der Wiſſenſchaft z. B. der höheren Verhältniſſe, welche nur die Philoſophie, die ſymboliſche unter
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a) Schöne Kunſt wird durch äußere Bedingungen und Beſchrän-
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mälden, wo ein beſtimmter Raum nicht nur von beſtimmter Größe
ſondern auch Form vorgeſchrieben iſt.
b) Es gibt Gattungen der Architektur, wo das Bedürfniß, die
Nützlichkeit ganz hinwegfällt, und ihre Werke ſelbſt ſchon Ausdruck vom
Bedürfniß unabhängiger und abſoluter Ideen ſind, ja, wo ſie ſogar
ſymboliſch wird, in Tempelräumen (Tempel der Veſta nach dem Bild
der himmliſchen Umwölbung).
c) Das, was an der Architektur ſich eigentlich auf Bedürfniß be-
zieht, iſt das Innere, an dieſes aber wird die Forderung der Schön-
heit auch bei weitem zufälliger gemacht, als an das Aeußere.
Folgeſatz. Die Architektur bildet nothwendig nach arithmetiſchen
oder, weil ſie die Muſik im Raume iſt, nach geometriſchen Verhält-
niſſen. — Der Beweis iſt in Folgendem enthalten.
1. Es iſt früher bewieſen worden, daß Natur, Wiſſenſchaft und
Kunſt in ihren verſchiedenen Stufen die Folge vom Schematiſchen zum
Allegoriſchen und von da zum Symboliſchen beobachtet. Der ur-
ſprünglichſte Schematismus iſt die Zahl, wo das Geformte, Beſondere
durch die Form oder das Allgemeine ſelbſt ſymboliſirt wird. Was alſo
in dem Gebiet des Schematismus liegt, iſt der arithmetiſchen Beſtim-
mung unterworfen in der Natur und Kunſt, die Architektur, als die
Muſik der Plaſtik, folgt alſo nothwendig arithmetiſchen Verhältniſſen,
da ſie aber die Muſik im Raume, gleichſam die erſtarrte Muſik iſt,
ſo ſind dieſe Verhältniſſe zugleich geometriſche Verhältniſſe.
2. In den tieferen Sphären der Kunſt wie der Natur herrſchen
arithmetiſche und geometriſche Verhältniſſe. Auch die Malerei iſt in
der Linienperſpektive noch ganz dieſen unterworfen. Auf den höheren
Stufen der Natur, ſowie der Kunſt, wo ſie wahrhaft ſymboliſch wird,
wirft ſie jene Schranken einer bloß endlichen Geſetzmäßigkeit ab; es
tritt die höhere ein, die für den Verſtand irrational iſt, und nur
von der Vernunft gefaßt und begriffen wird: in der Wiſſenſchaft z. B. der
höheren Verhältniſſe, welche nur die Philoſophie, die ſymboliſche unter
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/252>, abgerufen am 16.07.2024.
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