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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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freilich noch immer nicht so groß als in der jetzigen Zeit, wo Bamboc-
ciaden in der Poesie und andern Künsten ohne Kraft, Wahrheit und
Meisterschaft die allgemeinste Wirkung machen. Die Geschichten dieser
Geistesepidemien erläutern sich wechselseitig, obgleich freilich, was unsre
Zeit in dem niedrigen Fach aufzuweisen hat, gegen die ähnlichen Pro-
dukte jener früheren Zeit soweit absticht als diese ganze Zeit gegen
jene frühere in Ansehung der Kunst überhaupt. Jene waren im Nie-
drigen wenigstens meisterhaft, diese sind selbst im Allerniedrigsten nicht
einmal zu einem Grad der Meisterhaft gelangt. -- Verwerflichkeit
Hogarths.

Auf diese Weise hätten wir den ganzen Kreis der malerischen
Darstellung, wie er sich von der ersten bloßen Nachahmung todter
Gegenstände zum Gipfel erhebt und von da nach der andern Seite
wieder zum Gemeinen herabsenkt, durchlaufen.

Ich gebe nun kurz die Sätze die Malerei betreffend an. Der letzte
(Zusatz zu §. 87) war: "Die besonderen Formen der Einheit, sofern
sie in der Malerei zurückkehren, sind Zeichnung, Helldunkel und Colorit."
Es bedurfte zur Erläuterung dieses Satzes nichts als des allgemeinen
Begriffs der drei Einheiten selbst. Die Zeichnung ist hinlänglich da-
durch charakterisirt, daß sie als die reale, das Helldunkel dadurch, daß
sie als die ganz ideale Form der Malerei bezeichnet wurde. Alle Be-
stimmungen einer jeden dieser Formen sowie ihr Verhältniß zueinander
sind unmittelbar daraus einzusehen. Das Colorit insbesondere betref-
fend, so ist es dasjenige, was den Schein und die Wahrheit, das
Ideale und Reale ganz indifferenziirt und eins macht. Ich füge daher
nur noch die Sätze bei, welche die Gegenstände der Malerei betreffen.

§. 88. Die Malerei hat ihre Gegenstände als Formen
der Dinge darzustellen, wie sie in der idealen Einheit
vorgebildet sind
. -- Die Musik hat die realen Formen darzustellen,
die Malerei die Dinge, wie sie in der rein idealen Einheit als solcher.
Denn sie ergreift nur das rein-Ideale der Dinge, und sondert es von
dem Realen ganz ab.

Zusatz 1. Die Malerei geht also vorzüglich auf Darstellung von

freilich noch immer nicht ſo groß als in der jetzigen Zeit, wo Bamboc-
ciaden in der Poeſie und andern Künſten ohne Kraft, Wahrheit und
Meiſterſchaft die allgemeinſte Wirkung machen. Die Geſchichten dieſer
Geiſtesepidemien erläutern ſich wechſelſeitig, obgleich freilich, was unſre
Zeit in dem niedrigen Fach aufzuweiſen hat, gegen die ähnlichen Pro-
dukte jener früheren Zeit ſoweit abſticht als dieſe ganze Zeit gegen
jene frühere in Anſehung der Kunſt überhaupt. Jene waren im Nie-
drigen wenigſtens meiſterhaft, dieſe ſind ſelbſt im Allerniedrigſten nicht
einmal zu einem Grad der Meiſterhaft gelangt. — Verwerflichkeit
Hogarths.

Auf dieſe Weiſe hätten wir den ganzen Kreis der maleriſchen
Darſtellung, wie er ſich von der erſten bloßen Nachahmung todter
Gegenſtände zum Gipfel erhebt und von da nach der andern Seite
wieder zum Gemeinen herabſenkt, durchlaufen.

Ich gebe nun kurz die Sätze die Malerei betreffend an. Der letzte
(Zuſatz zu §. 87) war: „Die beſonderen Formen der Einheit, ſofern
ſie in der Malerei zurückkehren, ſind Zeichnung, Helldunkel und Colorit.“
Es bedurfte zur Erläuterung dieſes Satzes nichts als des allgemeinen
Begriffs der drei Einheiten ſelbſt. Die Zeichnung iſt hinlänglich da-
durch charakteriſirt, daß ſie als die reale, das Helldunkel dadurch, daß
ſie als die ganz ideale Form der Malerei bezeichnet wurde. Alle Be-
ſtimmungen einer jeden dieſer Formen ſowie ihr Verhältniß zueinander
ſind unmittelbar daraus einzuſehen. Das Colorit insbeſondere betref-
fend, ſo iſt es dasjenige, was den Schein und die Wahrheit, das
Ideale und Reale ganz indifferenziirt und eins macht. Ich füge daher
nur noch die Sätze bei, welche die Gegenſtände der Malerei betreffen.

§. 88. Die Malerei hat ihre Gegenſtände als Formen
der Dinge darzuſtellen, wie ſie in der idealen Einheit
vorgebildet ſind
. — Die Muſik hat die realen Formen darzuſtellen,
die Malerei die Dinge, wie ſie in der rein idealen Einheit als ſolcher.
Denn ſie ergreift nur das rein-Ideale der Dinge, und ſondert es von
dem Realen ganz ab.

Zuſatz 1. Die Malerei geht alſo vorzüglich auf Darſtellung von

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[565/0241] freilich noch immer nicht ſo groß als in der jetzigen Zeit, wo Bamboc- ciaden in der Poeſie und andern Künſten ohne Kraft, Wahrheit und Meiſterſchaft die allgemeinſte Wirkung machen. Die Geſchichten dieſer Geiſtesepidemien erläutern ſich wechſelſeitig, obgleich freilich, was unſre Zeit in dem niedrigen Fach aufzuweiſen hat, gegen die ähnlichen Pro- dukte jener früheren Zeit ſoweit abſticht als dieſe ganze Zeit gegen jene frühere in Anſehung der Kunſt überhaupt. Jene waren im Nie- drigen wenigſtens meiſterhaft, dieſe ſind ſelbſt im Allerniedrigſten nicht einmal zu einem Grad der Meiſterhaft gelangt. — Verwerflichkeit Hogarths. Auf dieſe Weiſe hätten wir den ganzen Kreis der maleriſchen Darſtellung, wie er ſich von der erſten bloßen Nachahmung todter Gegenſtände zum Gipfel erhebt und von da nach der andern Seite wieder zum Gemeinen herabſenkt, durchlaufen. Ich gebe nun kurz die Sätze die Malerei betreffend an. Der letzte (Zuſatz zu §. 87) war: „Die beſonderen Formen der Einheit, ſofern ſie in der Malerei zurückkehren, ſind Zeichnung, Helldunkel und Colorit.“ Es bedurfte zur Erläuterung dieſes Satzes nichts als des allgemeinen Begriffs der drei Einheiten ſelbſt. Die Zeichnung iſt hinlänglich da- durch charakteriſirt, daß ſie als die reale, das Helldunkel dadurch, daß ſie als die ganz ideale Form der Malerei bezeichnet wurde. Alle Be- ſtimmungen einer jeden dieſer Formen ſowie ihr Verhältniß zueinander ſind unmittelbar daraus einzuſehen. Das Colorit insbeſondere betref- fend, ſo iſt es dasjenige, was den Schein und die Wahrheit, das Ideale und Reale ganz indifferenziirt und eins macht. Ich füge daher nur noch die Sätze bei, welche die Gegenſtände der Malerei betreffen. §. 88. Die Malerei hat ihre Gegenſtände als Formen der Dinge darzuſtellen, wie ſie in der idealen Einheit vorgebildet ſind. — Die Muſik hat die realen Formen darzuſtellen, die Malerei die Dinge, wie ſie in der rein idealen Einheit als ſolcher. Denn ſie ergreift nur das rein-Ideale der Dinge, und ſondert es von dem Realen ganz ab. Zuſatz 1. Die Malerei geht alſo vorzüglich auf Darſtellung von

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/241>, abgerufen am 24.11.2024.