Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

daraus, daß sie, auch bloß allegorisch, nicht aufhört Kunst zu seyn,
und daß sie, einmal mit dem Schein sich vermengend, auch mit dem
Empirischen kecker als die Skulptur sich verbinden kann, -- freieres
Spiel hat.

In allen heftigeren Bewegungen der Seele entstellen sich die Züge
wie die Haltung des Körpers und alle Formen der Schönheit. Die
Stille ist der der Schönheit eigenthümliche Zustand, wie die Ruhe dem
ungestörten Meere. Nur in der Ruhe kann die menschliche Gestalt
überhaupt und das Gesicht der Spiegel der Idee seyn. Auch hierin
deutet die Schönheit auf Einheit und Indifferenz als ihr wahres
Wesen hin.

Das Gegentheil dieses ruhigen und großen Styls nannten die
Alten Parenthyrsos, welcher einen gemeinen Styl erzeugt, dem nichts
als das Ungewöhnliche in Stellungen und Handlungen, ein freches
Feuer, die heftigen, flüchtigen und schreienden Gegensätze, genügen.
Dieses Verwirrende der Darstellung hervorzubringen, sind die meisten
artistischen Regeln der neueren Theoretiker über die Composition und
das, was sie den Contrastoff nennen, erfunden. Dafür ist in den
Werken dieses Styls alles in Bewegung, man befindet sich, wie Win-
kelmann sagt, unter den Gegenständen derselben, wie in einer Gesell-
schaft, worin alle zugleich reden wollen.

Die Ruhe in der Größe und jenes höhere Symbolische des histo-
rischen Gemäldes, das es als Ausdruck der Ideen erhält, hat vor allen
andern neueren Meistern Raphael erreicht. Nur demjenigen, der
den Sinn dafür in sich gebildet hat, wird in der Ruhe und Stille der
Hauptfiguren seines Gemäldes, welche andern leblos scheinen mögen,
die höchste Schönheit aufgehen. Von dieser Art ist sein Bild des Attila,
auf welchem der Moment dargestellt ist, wie der römische Bischof diesen
Eroberer zum Rückzug bewegt. Alles, was in diesem Bilde von
erhabener Natur ist, der Pabst und seine Begleiter, wie die beiden vom
Himmel her schwebenden Apostel, Petrus und Paulus, ist in jenem
Sinn der Ruhe gedacht. Der Pabst erscheint in der stillen Sicherheit
eines ehrwürdigen Mannes, der einen Aufruhr durch seine bloße

daraus, daß ſie, auch bloß allegoriſch, nicht aufhört Kunſt zu ſeyn,
und daß ſie, einmal mit dem Schein ſich vermengend, auch mit dem
Empiriſchen kecker als die Skulptur ſich verbinden kann, — freieres
Spiel hat.

In allen heftigeren Bewegungen der Seele entſtellen ſich die Züge
wie die Haltung des Körpers und alle Formen der Schönheit. Die
Stille iſt der der Schönheit eigenthümliche Zuſtand, wie die Ruhe dem
ungeſtörten Meere. Nur in der Ruhe kann die menſchliche Geſtalt
überhaupt und das Geſicht der Spiegel der Idee ſeyn. Auch hierin
deutet die Schönheit auf Einheit und Indifferenz als ihr wahres
Weſen hin.

Das Gegentheil dieſes ruhigen und großen Styls nannten die
Alten Parenthyrſos, welcher einen gemeinen Styl erzeugt, dem nichts
als das Ungewöhnliche in Stellungen und Handlungen, ein freches
Feuer, die heftigen, flüchtigen und ſchreienden Gegenſätze, genügen.
Dieſes Verwirrende der Darſtellung hervorzubringen, ſind die meiſten
artiſtiſchen Regeln der neueren Theoretiker über die Compoſition und
das, was ſie den Contraſtoff nennen, erfunden. Dafür iſt in den
Werken dieſes Styls alles in Bewegung, man befindet ſich, wie Win-
kelmann ſagt, unter den Gegenſtänden derſelben, wie in einer Geſell-
ſchaft, worin alle zugleich reden wollen.

Die Ruhe in der Größe und jenes höhere Symboliſche des hiſto-
riſchen Gemäldes, das es als Ausdruck der Ideen erhält, hat vor allen
andern neueren Meiſtern Raphael erreicht. Nur demjenigen, der
den Sinn dafür in ſich gebildet hat, wird in der Ruhe und Stille der
Hauptfiguren ſeines Gemäldes, welche andern leblos ſcheinen mögen,
die höchſte Schönheit aufgehen. Von dieſer Art iſt ſein Bild des Attila,
auf welchem der Moment dargeſtellt iſt, wie der römiſche Biſchof dieſen
Eroberer zum Rückzug bewegt. Alles, was in dieſem Bilde von
erhabener Natur iſt, der Pabſt und ſeine Begleiter, wie die beiden vom
Himmel her ſchwebenden Apoſtel, Petrus und Paulus, iſt in jenem
Sinn der Ruhe gedacht. Der Pabſt erſcheint in der ſtillen Sicherheit
eines ehrwürdigen Mannes, der einen Aufruhr durch ſeine bloße

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0235" n="559"/>
daraus, daß &#x017F;ie, auch bloß allegori&#x017F;ch, nicht aufhört Kun&#x017F;t zu &#x017F;eyn,<lb/>
und daß &#x017F;ie, einmal mit dem Schein &#x017F;ich vermengend, auch mit dem<lb/>
Empiri&#x017F;chen kecker als die Skulptur &#x017F;ich verbinden kann, &#x2014; freieres<lb/>
Spiel hat.</p><lb/>
            <p>In allen heftigeren Bewegungen der Seele ent&#x017F;tellen &#x017F;ich die Züge<lb/>
wie die Haltung des Körpers und alle Formen der Schönheit. Die<lb/>
Stille i&#x017F;t der der Schönheit eigenthümliche Zu&#x017F;tand, wie die Ruhe dem<lb/>
unge&#x017F;törten Meere. Nur in der Ruhe kann die men&#x017F;chliche Ge&#x017F;talt<lb/>
überhaupt und das Ge&#x017F;icht der Spiegel der Idee &#x017F;eyn. Auch hierin<lb/>
deutet die Schönheit auf Einheit und Indifferenz als ihr wahres<lb/>
We&#x017F;en hin.</p><lb/>
            <p>Das Gegentheil die&#x017F;es ruhigen und großen Styls nannten die<lb/>
Alten Parenthyr&#x017F;os, welcher einen gemeinen Styl erzeugt, dem nichts<lb/>
als das Ungewöhnliche in Stellungen und Handlungen, ein freches<lb/>
Feuer, die heftigen, flüchtigen und &#x017F;chreienden Gegen&#x017F;ätze, genügen.<lb/>
Die&#x017F;es Verwirrende der Dar&#x017F;tellung hervorzubringen, &#x017F;ind die mei&#x017F;ten<lb/>
arti&#x017F;ti&#x017F;chen Regeln der neueren Theoretiker über die Compo&#x017F;ition und<lb/>
das, was &#x017F;ie den Contra&#x017F;toff nennen, erfunden. Dafür i&#x017F;t in den<lb/>
Werken die&#x017F;es Styls alles in Bewegung, man befindet &#x017F;ich, wie Win-<lb/>
kelmann &#x017F;agt, unter den Gegen&#x017F;tänden der&#x017F;elben, wie in einer Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft, worin alle zugleich reden wollen.</p><lb/>
            <p>Die Ruhe in der Größe und jenes höhere Symboli&#x017F;che des hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;chen Gemäldes, das es als Ausdruck der Ideen erhält, hat vor allen<lb/>
andern neueren Mei&#x017F;tern <hi rendition="#g">Raphael</hi> erreicht. Nur demjenigen, der<lb/>
den Sinn dafür in &#x017F;ich gebildet hat, wird in der Ruhe und Stille der<lb/>
Hauptfiguren &#x017F;eines Gemäldes, welche andern leblos &#x017F;cheinen mögen,<lb/>
die höch&#x017F;te Schönheit aufgehen. Von die&#x017F;er Art i&#x017F;t &#x017F;ein Bild des Attila,<lb/>
auf welchem der Moment darge&#x017F;tellt i&#x017F;t, wie der römi&#x017F;che Bi&#x017F;chof die&#x017F;en<lb/>
Eroberer zum Rückzug bewegt. Alles, was in die&#x017F;em Bilde von<lb/>
erhabener Natur i&#x017F;t, der Pab&#x017F;t und &#x017F;eine Begleiter, wie die beiden vom<lb/>
Himmel her &#x017F;chwebenden Apo&#x017F;tel, Petrus und Paulus, i&#x017F;t in jenem<lb/>
Sinn der Ruhe gedacht. Der Pab&#x017F;t er&#x017F;cheint in der &#x017F;tillen Sicherheit<lb/>
eines ehrwürdigen Mannes, der einen Aufruhr durch &#x017F;eine bloße<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[559/0235] daraus, daß ſie, auch bloß allegoriſch, nicht aufhört Kunſt zu ſeyn, und daß ſie, einmal mit dem Schein ſich vermengend, auch mit dem Empiriſchen kecker als die Skulptur ſich verbinden kann, — freieres Spiel hat. In allen heftigeren Bewegungen der Seele entſtellen ſich die Züge wie die Haltung des Körpers und alle Formen der Schönheit. Die Stille iſt der der Schönheit eigenthümliche Zuſtand, wie die Ruhe dem ungeſtörten Meere. Nur in der Ruhe kann die menſchliche Geſtalt überhaupt und das Geſicht der Spiegel der Idee ſeyn. Auch hierin deutet die Schönheit auf Einheit und Indifferenz als ihr wahres Weſen hin. Das Gegentheil dieſes ruhigen und großen Styls nannten die Alten Parenthyrſos, welcher einen gemeinen Styl erzeugt, dem nichts als das Ungewöhnliche in Stellungen und Handlungen, ein freches Feuer, die heftigen, flüchtigen und ſchreienden Gegenſätze, genügen. Dieſes Verwirrende der Darſtellung hervorzubringen, ſind die meiſten artiſtiſchen Regeln der neueren Theoretiker über die Compoſition und das, was ſie den Contraſtoff nennen, erfunden. Dafür iſt in den Werken dieſes Styls alles in Bewegung, man befindet ſich, wie Win- kelmann ſagt, unter den Gegenſtänden derſelben, wie in einer Geſell- ſchaft, worin alle zugleich reden wollen. Die Ruhe in der Größe und jenes höhere Symboliſche des hiſto- riſchen Gemäldes, das es als Ausdruck der Ideen erhält, hat vor allen andern neueren Meiſtern Raphael erreicht. Nur demjenigen, der den Sinn dafür in ſich gebildet hat, wird in der Ruhe und Stille der Hauptfiguren ſeines Gemäldes, welche andern leblos ſcheinen mögen, die höchſte Schönheit aufgehen. Von dieſer Art iſt ſein Bild des Attila, auf welchem der Moment dargeſtellt iſt, wie der römiſche Biſchof dieſen Eroberer zum Rückzug bewegt. Alles, was in dieſem Bilde von erhabener Natur iſt, der Pabſt und ſeine Begleiter, wie die beiden vom Himmel her ſchwebenden Apoſtel, Petrus und Paulus, iſt in jenem Sinn der Ruhe gedacht. Der Pabſt erſcheint in der ſtillen Sicherheit eines ehrwürdigen Mannes, der einen Aufruhr durch ſeine bloße

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/235
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/235>, abgerufen am 24.11.2024.