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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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nicht nur bedeutet, sondern sie selbst ist. Sie sehen von selbst, daß
auf diese Weise das symbolische Gemälde ganz mit dem sogenannten
historischen zusammenfällt und für dieses selbst die höhere Potenz be-
zeichnet. Hier sind nun wieder Verschiedenheiten nach den Gegenständen.
Diese nämlich können entweder etwas allgemein Menschliches
seyn, was sich im Leben stets wiederholt und erneuert, oder sie können
sich auf ganz geistige und intellektuelle Ideen beziehen. Von letzterer
Gattung ist der Parnaß und die Schule von Athen des Raphael,
welche die ganze Philosophie sinnbildlich darstellt. -- Die vollkommenste
symbolische Darstellung aber ist durch bleibende und unabhängige poetische
Gestalten einer bestimmten Mythologie gegeben. So bedeutet die
heil. Magdalena nicht nur die Reue, sondern ist die lebendige Reue
selbst. So ist das Bild der heil. Cäcilia, der Schutzheiligen der Musik,
nicht ein allegorisches, sondern ein symbolisches Bild, da es eine von
der Bedeutung unabhängige Existenz hat, ohne die Bedeutung zu ver-
lieren. So das Bild Christi, weil es die ganz einzige Identität der
göttlichen und menschlichen Natur anschaulich darstellt. Ebenso ist das
Bild der Madonna mit dem Kinde ein symbolisches Bild. Das sym-
bolische Bild setzt eine Idee als vorausgehend voraus, die symbolisch
wird dadurch, daß sie historisch-objektiv, auf unabhängige Weise an-
schaulich wird. Wie nun die Idee dadurch, daß sie historische Be-
deutung erhält, symbolisch wird, so kann umgekehrt das Historische
nur dadurch, daß es mit der Idee verbunden und Ausdruck der Idee
wird, ein symbolisches Bild werden, und so kommen wir damit auf
den eigentlichen und höchsten Begriff des historischen Gemäldes,
unter dem man insgemein alles zu begreifen pflegt, was wir bisher
als allegorisch und symbolisch bezeichnet haben. Nach unsrer Erklärung
ist das Historische selbst nur eine Art des Symbolischen.

Die Historie ist ohne Zweifel der vornehmste Gegenstand der Ma-
lerei, da hier das Unterscheidende von Göttern und Menschen, den wür-
digsten Gegenständen der malerischen Darstellung, zugleich im Handeln
erkannt wird. Allein die bloße Darstellung einer Handlung an und für
sich würde die Malerei nie zu dem Range erheben, den in der Poesie

nicht nur bedeutet, ſondern ſie ſelbſt iſt. Sie ſehen von ſelbſt, daß
auf dieſe Weiſe das ſymboliſche Gemälde ganz mit dem ſogenannten
hiſtoriſchen zuſammenfällt und für dieſes ſelbſt die höhere Potenz be-
zeichnet. Hier ſind nun wieder Verſchiedenheiten nach den Gegenſtänden.
Dieſe nämlich können entweder etwas allgemein Menſchliches
ſeyn, was ſich im Leben ſtets wiederholt und erneuert, oder ſie können
ſich auf ganz geiſtige und intellektuelle Ideen beziehen. Von letzterer
Gattung iſt der Parnaß und die Schule von Athen des Raphael,
welche die ganze Philoſophie ſinnbildlich darſtellt. — Die vollkommenſte
ſymboliſche Darſtellung aber iſt durch bleibende und unabhängige poetiſche
Geſtalten einer beſtimmten Mythologie gegeben. So bedeutet die
heil. Magdalena nicht nur die Reue, ſondern iſt die lebendige Reue
ſelbſt. So iſt das Bild der heil. Cäcilia, der Schutzheiligen der Muſik,
nicht ein allegoriſches, ſondern ein ſymboliſches Bild, da es eine von
der Bedeutung unabhängige Exiſtenz hat, ohne die Bedeutung zu ver-
lieren. So das Bild Chriſti, weil es die ganz einzige Identität der
göttlichen und menſchlichen Natur anſchaulich darſtellt. Ebenſo iſt das
Bild der Madonna mit dem Kinde ein ſymboliſches Bild. Das ſym-
boliſche Bild ſetzt eine Idee als vorausgehend voraus, die ſymboliſch
wird dadurch, daß ſie hiſtoriſch-objektiv, auf unabhängige Weiſe an-
ſchaulich wird. Wie nun die Idee dadurch, daß ſie hiſtoriſche Be-
deutung erhält, ſymboliſch wird, ſo kann umgekehrt das Hiſtoriſche
nur dadurch, daß es mit der Idee verbunden und Ausdruck der Idee
wird, ein ſymboliſches Bild werden, und ſo kommen wir damit auf
den eigentlichen und höchſten Begriff des hiſtoriſchen Gemäldes,
unter dem man insgemein alles zu begreifen pflegt, was wir bisher
als allegoriſch und ſymboliſch bezeichnet haben. Nach unſrer Erklärung
iſt das Hiſtoriſche ſelbſt nur eine Art des Symboliſchen.

Die Hiſtorie iſt ohne Zweifel der vornehmſte Gegenſtand der Ma-
lerei, da hier das Unterſcheidende von Göttern und Menſchen, den wür-
digſten Gegenſtänden der maleriſchen Darſtellung, zugleich im Handeln
erkannt wird. Allein die bloße Darſtellung einer Handlung an und für
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[555/0231] nicht nur bedeutet, ſondern ſie ſelbſt iſt. Sie ſehen von ſelbſt, daß auf dieſe Weiſe das ſymboliſche Gemälde ganz mit dem ſogenannten hiſtoriſchen zuſammenfällt und für dieſes ſelbſt die höhere Potenz be- zeichnet. Hier ſind nun wieder Verſchiedenheiten nach den Gegenſtänden. Dieſe nämlich können entweder etwas allgemein Menſchliches ſeyn, was ſich im Leben ſtets wiederholt und erneuert, oder ſie können ſich auf ganz geiſtige und intellektuelle Ideen beziehen. Von letzterer Gattung iſt der Parnaß und die Schule von Athen des Raphael, welche die ganze Philoſophie ſinnbildlich darſtellt. — Die vollkommenſte ſymboliſche Darſtellung aber iſt durch bleibende und unabhängige poetiſche Geſtalten einer beſtimmten Mythologie gegeben. So bedeutet die heil. Magdalena nicht nur die Reue, ſondern iſt die lebendige Reue ſelbſt. So iſt das Bild der heil. Cäcilia, der Schutzheiligen der Muſik, nicht ein allegoriſches, ſondern ein ſymboliſches Bild, da es eine von der Bedeutung unabhängige Exiſtenz hat, ohne die Bedeutung zu ver- lieren. So das Bild Chriſti, weil es die ganz einzige Identität der göttlichen und menſchlichen Natur anſchaulich darſtellt. Ebenſo iſt das Bild der Madonna mit dem Kinde ein ſymboliſches Bild. Das ſym- boliſche Bild ſetzt eine Idee als vorausgehend voraus, die ſymboliſch wird dadurch, daß ſie hiſtoriſch-objektiv, auf unabhängige Weiſe an- ſchaulich wird. Wie nun die Idee dadurch, daß ſie hiſtoriſche Be- deutung erhält, ſymboliſch wird, ſo kann umgekehrt das Hiſtoriſche nur dadurch, daß es mit der Idee verbunden und Ausdruck der Idee wird, ein ſymboliſches Bild werden, und ſo kommen wir damit auf den eigentlichen und höchſten Begriff des hiſtoriſchen Gemäldes, unter dem man insgemein alles zu begreifen pflegt, was wir bisher als allegoriſch und ſymboliſch bezeichnet haben. Nach unſrer Erklärung iſt das Hiſtoriſche ſelbſt nur eine Art des Symboliſchen. Die Hiſtorie iſt ohne Zweifel der vornehmſte Gegenſtand der Ma- lerei, da hier das Unterſcheidende von Göttern und Menſchen, den wür- digſten Gegenſtänden der maleriſchen Darſtellung, zugleich im Handeln erkannt wird. Allein die bloße Darſtellung einer Handlung an und für ſich würde die Malerei nie zu dem Range erheben, den in der Poeſie

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/231>, abgerufen am 24.11.2024.