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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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bloß auf allegorische Weise mit dem Gegenstand verknüpft sey, sondern
daß es mit Freiheit und Absicht auf das Schöne entworfen und aus-
geführt sey. Die Natur ist selbst allegorisch in allen denjenigen Wesen,
denen sie den unendlichen Begriff von ihnen selbst nicht als Lebensprincip
und Princip der Selbständigkeit einverleibt hat. So ist die Blume,
deren Farbe die innere Natur oder die Intention der Natur, oder,
was dasselbe ist, die Idee nur andeutet, wahrhaft allegorisch. Sonst
hat sich auch darin der Instinkt zur Allegorie gezeigt, daß der Grund
aller Sprachen, vorzüglich aber der ältesten Völker, ein allegorischer
ist. Wie wären, um nur etwas ganz Allgemeines anzuführen, die
Menschen je darauf gefallen, die Dinge in der Sprache nach dem Ge-
schlechte zu sondern (eine Sonderung, die durch alle nicht vorzüglich
unpoetischen Sprachen geht), ohne allegorische und gleichsam persönliche
Vorbilder dieser Dinge zu haben?

Daß nun aber Malerei insbesondere allegorisch ist, davon liegt
der Grund in ihrer Natur selbst, da sie nämlich noch nicht die wahr-
haft
symbolische Kunst ist, und wenn sie nicht zu dieser, wie in der
höchsten Kunstgattung, sich erhebt, das Allgemeine nur durch das Be-
sondere bedeuten kann. In Ansehung der Allegorie in der Malerei
sind aber zwei Fälle wohl zu unterscheiden. Sie wird entweder bloß
als Zugabe eines im Uebrigen historischen Gemäldes gebraucht, oder
die ganze Erfindung und Composition ist selbst allegorisch. Das Erste
ist immer fehlerhaft, wenn nicht die allegorischen Wesen, welche einge-
mischt werden, selbst eine historische Bedeutung in dem Gemälde
haben können. Wenn z. B. auf einer sogenannten Ruhe auf der Flucht
nach Aegypten, wo die heilige Jungfrau mit dem Kind unter einem
Baume, auf das Kind herabsehend und es zugleich fächelnd, ruht, auf
den Zweigen Engel vorgestellt sind, so sind diese hier wirklich als histo-
rische Gegenstände anzusehen. Oder wenn auf einem Gemälde des
Albani, das den Raub der Helena vorstellt, Venus die Helena aus
dem Hause des Menelaus an der Hand führt, und im Hintergrund
Liebesgötter dargestellt sind, die sich dieses Vorfalls freuen, so treten
auch diese hier als historische Wesen ein. Wenn dagegen auf einem

bloß auf allegoriſche Weiſe mit dem Gegenſtand verknüpft ſey, ſondern
daß es mit Freiheit und Abſicht auf das Schöne entworfen und aus-
geführt ſey. Die Natur iſt ſelbſt allegoriſch in allen denjenigen Weſen,
denen ſie den unendlichen Begriff von ihnen ſelbſt nicht als Lebensprincip
und Princip der Selbſtändigkeit einverleibt hat. So iſt die Blume,
deren Farbe die innere Natur oder die Intention der Natur, oder,
was daſſelbe iſt, die Idee nur andeutet, wahrhaft allegoriſch. Sonſt
hat ſich auch darin der Inſtinkt zur Allegorie gezeigt, daß der Grund
aller Sprachen, vorzüglich aber der älteſten Völker, ein allegoriſcher
iſt. Wie wären, um nur etwas ganz Allgemeines anzuführen, die
Menſchen je darauf gefallen, die Dinge in der Sprache nach dem Ge-
ſchlechte zu ſondern (eine Sonderung, die durch alle nicht vorzüglich
unpoetiſchen Sprachen geht), ohne allegoriſche und gleichſam perſönliche
Vorbilder dieſer Dinge zu haben?

Daß nun aber Malerei insbeſondere allegoriſch iſt, davon liegt
der Grund in ihrer Natur ſelbſt, da ſie nämlich noch nicht die wahr-
haft
ſymboliſche Kunſt iſt, und wenn ſie nicht zu dieſer, wie in der
höchſten Kunſtgattung, ſich erhebt, das Allgemeine nur durch das Be-
ſondere bedeuten kann. In Anſehung der Allegorie in der Malerei
ſind aber zwei Fälle wohl zu unterſcheiden. Sie wird entweder bloß
als Zugabe eines im Uebrigen hiſtoriſchen Gemäldes gebraucht, oder
die ganze Erfindung und Compoſition iſt ſelbſt allegoriſch. Das Erſte
iſt immer fehlerhaft, wenn nicht die allegoriſchen Weſen, welche einge-
miſcht werden, ſelbſt eine hiſtoriſche Bedeutung in dem Gemälde
haben können. Wenn z. B. auf einer ſogenannten Ruhe auf der Flucht
nach Aegypten, wo die heilige Jungfrau mit dem Kind unter einem
Baume, auf das Kind herabſehend und es zugleich fächelnd, ruht, auf
den Zweigen Engel vorgeſtellt ſind, ſo ſind dieſe hier wirklich als hiſto-
riſche Gegenſtände anzuſehen. Oder wenn auf einem Gemälde des
Albani, das den Raub der Helena vorſtellt, Venus die Helena aus
dem Hauſe des Menelaus an der Hand führt, und im Hintergrund
Liebesgötter dargeſtellt ſind, die ſich dieſes Vorfalls freuen, ſo treten
auch dieſe hier als hiſtoriſche Weſen ein. Wenn dagegen auf einem

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[550/0226] bloß auf allegoriſche Weiſe mit dem Gegenſtand verknüpft ſey, ſondern daß es mit Freiheit und Abſicht auf das Schöne entworfen und aus- geführt ſey. Die Natur iſt ſelbſt allegoriſch in allen denjenigen Weſen, denen ſie den unendlichen Begriff von ihnen ſelbſt nicht als Lebensprincip und Princip der Selbſtändigkeit einverleibt hat. So iſt die Blume, deren Farbe die innere Natur oder die Intention der Natur, oder, was daſſelbe iſt, die Idee nur andeutet, wahrhaft allegoriſch. Sonſt hat ſich auch darin der Inſtinkt zur Allegorie gezeigt, daß der Grund aller Sprachen, vorzüglich aber der älteſten Völker, ein allegoriſcher iſt. Wie wären, um nur etwas ganz Allgemeines anzuführen, die Menſchen je darauf gefallen, die Dinge in der Sprache nach dem Ge- ſchlechte zu ſondern (eine Sonderung, die durch alle nicht vorzüglich unpoetiſchen Sprachen geht), ohne allegoriſche und gleichſam perſönliche Vorbilder dieſer Dinge zu haben? Daß nun aber Malerei insbeſondere allegoriſch iſt, davon liegt der Grund in ihrer Natur ſelbſt, da ſie nämlich noch nicht die wahr- haft ſymboliſche Kunſt iſt, und wenn ſie nicht zu dieſer, wie in der höchſten Kunſtgattung, ſich erhebt, das Allgemeine nur durch das Be- ſondere bedeuten kann. In Anſehung der Allegorie in der Malerei ſind aber zwei Fälle wohl zu unterſcheiden. Sie wird entweder bloß als Zugabe eines im Uebrigen hiſtoriſchen Gemäldes gebraucht, oder die ganze Erfindung und Compoſition iſt ſelbſt allegoriſch. Das Erſte iſt immer fehlerhaft, wenn nicht die allegoriſchen Weſen, welche einge- miſcht werden, ſelbſt eine hiſtoriſche Bedeutung in dem Gemälde haben können. Wenn z. B. auf einer ſogenannten Ruhe auf der Flucht nach Aegypten, wo die heilige Jungfrau mit dem Kind unter einem Baume, auf das Kind herabſehend und es zugleich fächelnd, ruht, auf den Zweigen Engel vorgeſtellt ſind, ſo ſind dieſe hier wirklich als hiſto- riſche Gegenſtände anzuſehen. Oder wenn auf einem Gemälde des Albani, das den Raub der Helena vorſtellt, Venus die Helena aus dem Hauſe des Menelaus an der Hand führt, und im Hintergrund Liebesgötter dargeſtellt ſind, die ſich dieſes Vorfalls freuen, ſo treten auch dieſe hier als hiſtoriſche Weſen ein. Wenn dagegen auf einem

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/226>, abgerufen am 24.11.2024.