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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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erreichen, und wenn wir sie forderten, würden wir eher beträchtliche
Fehler der Zeichnung als des Colorits übersehen. Allein die Kunst
überhaupt und auch die Malerei ist so weit entfernt auf Täuschung
auszugehen, daß sie vielmehr gerade in ihren höchsten Wirkungen den
Schein der Wirklichkeit, in dem dabei angenommenen Sinn des Worts,
vernichten muß. Jeden, der die idealischen Bildungen der griechischen
Künstler betrachtet, muß ihre Gegenwart unmittelbar mit dem Eindruck
der Nicht-Wirklichkeit überfallen, er muß erkennen, daß hier etwas
dargestellt sey, das über alle Wirklichkeit erhaben, obgleich in dieser
Erhabenheit durch die Kunst wirklich gemacht ist. Wer zum Kunst-
genuß der Täuschung bedarf und sich, um zu genießen, den Gedanken
entfernen muß, daß er ein Kunstwerk vor sich habe, ist zuverlässig
überhaupt nicht dessen fähig, und höchstens mag er sich an den derbsten
Produktionen der niederländischen Malerei ergötzen, durch welche freilich
weder eine höhere Befriedigung gewährt noch eine höhere Forderung
aufgeregt wird, als die auch in den Sinnen gefunden werden kann.
Es ist eine von französischen Kunstrichtern aufgebrachte Trivialität, zu
sagen, daß Raphael z. B. in der Zeichnung überlegen, dagegen im
Colorit nur mittelmäßig, Correggio dagegen in dem Verhältniß, in
welchem er in dem Colorit überlegen, in der Zeichnung untergeordnet
sey. Dieser Satz ist geradezu falsch. Raphael hat in vielen seiner
Werke so vortrefflich als Correggio colorirt, Correggio in bei weitem den
meisten so vortrefflich wie Raphael gezeichnet. Gerade bei Correggio, den
einige Kunstrichter in Ansehung der Zeichnung unterordnen, zeigt sich, wie
tief und verborgen diese Seite der Kunst ist, da jener Künstler durch die
Magie des Helldunkels und Colorits sie dem gemeinen Auge wieder zu ent-
ziehen wußte. Ohne die tiefere Grundlage seiner vortrefflichen Zeichnung
würde auch die größte Schönheit der Farben den Kenner nicht entzücken.

Ich gebe die Hauptforderungen, die an die Zeichnung gemacht
werden müssen, kurz an.

Die erste Forderung ist die Beobachtung der Perspektive. --
Erklärung des Begriffs der Perspektive. -- Gegensatz der Linienper-
spektive und der Luftperspektive.

erreichen, und wenn wir ſie forderten, würden wir eher beträchtliche
Fehler der Zeichnung als des Colorits überſehen. Allein die Kunſt
überhaupt und auch die Malerei iſt ſo weit entfernt auf Täuſchung
auszugehen, daß ſie vielmehr gerade in ihren höchſten Wirkungen den
Schein der Wirklichkeit, in dem dabei angenommenen Sinn des Worts,
vernichten muß. Jeden, der die idealiſchen Bildungen der griechiſchen
Künſtler betrachtet, muß ihre Gegenwart unmittelbar mit dem Eindruck
der Nicht-Wirklichkeit überfallen, er muß erkennen, daß hier etwas
dargeſtellt ſey, das über alle Wirklichkeit erhaben, obgleich in dieſer
Erhabenheit durch die Kunſt wirklich gemacht iſt. Wer zum Kunſt-
genuß der Täuſchung bedarf und ſich, um zu genießen, den Gedanken
entfernen muß, daß er ein Kunſtwerk vor ſich habe, iſt zuverläſſig
überhaupt nicht deſſen fähig, und höchſtens mag er ſich an den derbſten
Produktionen der niederländiſchen Malerei ergötzen, durch welche freilich
weder eine höhere Befriedigung gewährt noch eine höhere Forderung
aufgeregt wird, als die auch in den Sinnen gefunden werden kann.
Es iſt eine von franzöſiſchen Kunſtrichtern aufgebrachte Trivialität, zu
ſagen, daß Raphael z. B. in der Zeichnung überlegen, dagegen im
Colorit nur mittelmäßig, Correggio dagegen in dem Verhältniß, in
welchem er in dem Colorit überlegen, in der Zeichnung untergeordnet
ſey. Dieſer Satz iſt geradezu falſch. Raphael hat in vielen ſeiner
Werke ſo vortrefflich als Correggio colorirt, Correggio in bei weitem den
meiſten ſo vortrefflich wie Raphael gezeichnet. Gerade bei Correggio, den
einige Kunſtrichter in Anſehung der Zeichnung unterordnen, zeigt ſich, wie
tief und verborgen dieſe Seite der Kunſt iſt, da jener Künſtler durch die
Magie des Helldunkels und Colorits ſie dem gemeinen Auge wieder zu ent-
ziehen wußte. Ohne die tiefere Grundlage ſeiner vortrefflichen Zeichnung
würde auch die größte Schönheit der Farben den Kenner nicht entzücken.

Ich gebe die Hauptforderungen, die an die Zeichnung gemacht
werden müſſen, kurz an.

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Erklärung des Begriffs der Perſpektive. — Gegenſatz der Linienper-
ſpektive und der Luftperſpektive.

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[521/0197] erreichen, und wenn wir ſie forderten, würden wir eher beträchtliche Fehler der Zeichnung als des Colorits überſehen. Allein die Kunſt überhaupt und auch die Malerei iſt ſo weit entfernt auf Täuſchung auszugehen, daß ſie vielmehr gerade in ihren höchſten Wirkungen den Schein der Wirklichkeit, in dem dabei angenommenen Sinn des Worts, vernichten muß. Jeden, der die idealiſchen Bildungen der griechiſchen Künſtler betrachtet, muß ihre Gegenwart unmittelbar mit dem Eindruck der Nicht-Wirklichkeit überfallen, er muß erkennen, daß hier etwas dargeſtellt ſey, das über alle Wirklichkeit erhaben, obgleich in dieſer Erhabenheit durch die Kunſt wirklich gemacht iſt. Wer zum Kunſt- genuß der Täuſchung bedarf und ſich, um zu genießen, den Gedanken entfernen muß, daß er ein Kunſtwerk vor ſich habe, iſt zuverläſſig überhaupt nicht deſſen fähig, und höchſtens mag er ſich an den derbſten Produktionen der niederländiſchen Malerei ergötzen, durch welche freilich weder eine höhere Befriedigung gewährt noch eine höhere Forderung aufgeregt wird, als die auch in den Sinnen gefunden werden kann. Es iſt eine von franzöſiſchen Kunſtrichtern aufgebrachte Trivialität, zu ſagen, daß Raphael z. B. in der Zeichnung überlegen, dagegen im Colorit nur mittelmäßig, Correggio dagegen in dem Verhältniß, in welchem er in dem Colorit überlegen, in der Zeichnung untergeordnet ſey. Dieſer Satz iſt geradezu falſch. Raphael hat in vielen ſeiner Werke ſo vortrefflich als Correggio colorirt, Correggio in bei weitem den meiſten ſo vortrefflich wie Raphael gezeichnet. Gerade bei Correggio, den einige Kunſtrichter in Anſehung der Zeichnung unterordnen, zeigt ſich, wie tief und verborgen dieſe Seite der Kunſt iſt, da jener Künſtler durch die Magie des Helldunkels und Colorits ſie dem gemeinen Auge wieder zu ent- ziehen wußte. Ohne die tiefere Grundlage ſeiner vortrefflichen Zeichnung würde auch die größte Schönheit der Farben den Kenner nicht entzücken. Ich gebe die Hauptforderungen, die an die Zeichnung gemacht werden müſſen, kurz an. Die erſte Forderung iſt die Beobachtung der Perſpektive. — Erklärung des Begriffs der Perſpektive. — Gegenſatz der Linienper- ſpektive und der Luftperſpektive.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/197>, abgerufen am 24.11.2024.