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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Die Malerei, welche die Zeit aufhebt, bedarf doch des Raumes,
und zwar so, daß sie genöthigt ist den Raum zu dem Gegenstand
hinzuzufügen. Der Maler kann keine Blume, keine Gestalt, überhaupt
nichts darstellen, ohne im Gemälde selbst zugleich den Raum darzu-
stellen, in welchem sich der Gegenstand befindet. Die Produkte der
Malerei können also noch nicht als Universa den Raum in sich selbst
und keinen außer sich haben. Wir werden in der Folge noch hierauf
zurückkommen und zeigen, wie die Malerei sich dadurch am meisten
der höchsten Kunstform annähert, daß sie den Raum als ein Noth-
wendiges behandelt und ihn mit den Gegenständen ihrer Darstellung
gleichsam verwachsen darstellt. In dem vollkommenen Gemälde muß
auch der Raum für sich, ganz unabhängig von dem inneren oder qua-
litativen Verhältniß des Gemäldes, eine Bedeutung haben.

Es gibt noch eine andere Art sich dieses Verhältniß deutlich zu
machen. Nach dem Bisherigen sind die beiden Künste der Musik und
Malerei den beiden Wissenschaften der Arithmetik und Geometrie zu ver-
gleichen. Die geometrische Figur bedarf des Raumes außer ihr,
weil sie auf das Reale Verzicht thut, nur das Ideale im Raum
darstellt. Der Körper, welcher eine reale Ausdehnung hat, hat seinen
Raum in sich selbst, und ist unabhängig von einem Raum außer ihm
zu begreifen. Die Malerei, die vom Realen nur das Ideale darstellt,
keine wirklich körperlichen Gestalten, sondern nur die Schemata dieser
Gestalten, bedarf nothwendig des Raumes außer ihr, wie die geome-
trische Figur nur durch Begrenzung eines gegebenen Raumes möglich ist.

Folgesatz 1. Die Malerei ist als Kunst ursprünglich der Fläche
untergeordnet. Sie stellt nur Flächen dar, und kann nur innerhalb
dieser Begrenzung den Schein des Körperlichen hervorbringen.

Folgesatz 2. Die Malerei ist die erste Kunstform, welche
Gestalten darstellt
. -- Die Malerei stellt überhaupt das Besondere
im Allgemeinen oder in der Identität dar. Nun kann sich aber das
Besondere vom Allgemeinen überhaupt nur durch Begrenzung oder Ne-
gation unterscheiden. Aber eben Begrenzung der Identität ist, was
wir Umriß, Gestalt nennen (Musik gestaltlos).

Die Malerei, welche die Zeit aufhebt, bedarf doch des Raumes,
und zwar ſo, daß ſie genöthigt iſt den Raum zu dem Gegenſtand
hinzuzufügen. Der Maler kann keine Blume, keine Geſtalt, überhaupt
nichts darſtellen, ohne im Gemälde ſelbſt zugleich den Raum darzu-
ſtellen, in welchem ſich der Gegenſtand befindet. Die Produkte der
Malerei können alſo noch nicht als Univerſa den Raum in ſich ſelbſt
und keinen außer ſich haben. Wir werden in der Folge noch hierauf
zurückkommen und zeigen, wie die Malerei ſich dadurch am meiſten
der höchſten Kunſtform annähert, daß ſie den Raum als ein Noth-
wendiges behandelt und ihn mit den Gegenſtänden ihrer Darſtellung
gleichſam verwachſen darſtellt. In dem vollkommenen Gemälde muß
auch der Raum für ſich, ganz unabhängig von dem inneren oder qua-
litativen Verhältniß des Gemäldes, eine Bedeutung haben.

Es gibt noch eine andere Art ſich dieſes Verhältniß deutlich zu
machen. Nach dem Bisherigen ſind die beiden Künſte der Muſik und
Malerei den beiden Wiſſenſchaften der Arithmetik und Geometrie zu ver-
gleichen. Die geometriſche Figur bedarf des Raumes außer ihr,
weil ſie auf das Reale Verzicht thut, nur das Ideale im Raum
darſtellt. Der Körper, welcher eine reale Ausdehnung hat, hat ſeinen
Raum in ſich ſelbſt, und iſt unabhängig von einem Raum außer ihm
zu begreifen. Die Malerei, die vom Realen nur das Ideale darſtellt,
keine wirklich körperlichen Geſtalten, ſondern nur die Schemata dieſer
Geſtalten, bedarf nothwendig des Raumes außer ihr, wie die geome-
triſche Figur nur durch Begrenzung eines gegebenen Raumes möglich iſt.

Folgeſatz 1. Die Malerei iſt als Kunſt urſprünglich der Fläche
untergeordnet. Sie ſtellt nur Flächen dar, und kann nur innerhalb
dieſer Begrenzung den Schein des Körperlichen hervorbringen.

Folgeſatz 2. Die Malerei iſt die erſte Kunſtform, welche
Geſtalten darſtellt
. — Die Malerei ſtellt überhaupt das Beſondere
im Allgemeinen oder in der Identität dar. Nun kann ſich aber das
Beſondere vom Allgemeinen überhaupt nur durch Begrenzung oder Ne-
gation unterſcheiden. Aber eben Begrenzung der Identität iſt, was
wir Umriß, Geſtalt nennen (Muſik geſtaltlos).

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[518/0194] Die Malerei, welche die Zeit aufhebt, bedarf doch des Raumes, und zwar ſo, daß ſie genöthigt iſt den Raum zu dem Gegenſtand hinzuzufügen. Der Maler kann keine Blume, keine Geſtalt, überhaupt nichts darſtellen, ohne im Gemälde ſelbſt zugleich den Raum darzu- ſtellen, in welchem ſich der Gegenſtand befindet. Die Produkte der Malerei können alſo noch nicht als Univerſa den Raum in ſich ſelbſt und keinen außer ſich haben. Wir werden in der Folge noch hierauf zurückkommen und zeigen, wie die Malerei ſich dadurch am meiſten der höchſten Kunſtform annähert, daß ſie den Raum als ein Noth- wendiges behandelt und ihn mit den Gegenſtänden ihrer Darſtellung gleichſam verwachſen darſtellt. In dem vollkommenen Gemälde muß auch der Raum für ſich, ganz unabhängig von dem inneren oder qua- litativen Verhältniß des Gemäldes, eine Bedeutung haben. Es gibt noch eine andere Art ſich dieſes Verhältniß deutlich zu machen. Nach dem Bisherigen ſind die beiden Künſte der Muſik und Malerei den beiden Wiſſenſchaften der Arithmetik und Geometrie zu ver- gleichen. Die geometriſche Figur bedarf des Raumes außer ihr, weil ſie auf das Reale Verzicht thut, nur das Ideale im Raum darſtellt. Der Körper, welcher eine reale Ausdehnung hat, hat ſeinen Raum in ſich ſelbſt, und iſt unabhängig von einem Raum außer ihm zu begreifen. Die Malerei, die vom Realen nur das Ideale darſtellt, keine wirklich körperlichen Geſtalten, ſondern nur die Schemata dieſer Geſtalten, bedarf nothwendig des Raumes außer ihr, wie die geome- triſche Figur nur durch Begrenzung eines gegebenen Raumes möglich iſt. Folgeſatz 1. Die Malerei iſt als Kunſt urſprünglich der Fläche untergeordnet. Sie ſtellt nur Flächen dar, und kann nur innerhalb dieſer Begrenzung den Schein des Körperlichen hervorbringen. Folgeſatz 2. Die Malerei iſt die erſte Kunſtform, welche Geſtalten darſtellt. — Die Malerei ſtellt überhaupt das Beſondere im Allgemeinen oder in der Identität dar. Nun kann ſich aber das Beſondere vom Allgemeinen überhaupt nur durch Begrenzung oder Ne- gation unterſcheiden. Aber eben Begrenzung der Identität iſt, was wir Umriß, Geſtalt nennen (Muſik geſtaltlos).

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/194>, abgerufen am 22.11.2024.