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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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differente Tonverhältnisse dennoch wieder zur Einheit im Ganzen ge-
bracht seyen, sowie dieselbe in Ansehung des ganzen Tonstücks wiederum
die Resumtion aller möglichen besonderen Einheiten und aller -- nicht
dem Rhythmus, sondern der Modulation nach verschiedenen -- Ver-
wicklungen der Töne in die absoluten Einheit des Ganzen bedeutet.
Aus diesem allgemeinen Begriff geht schon zur Genüge hervor, daß
sich Harmonie zu Rhythmus und insofern auch zu Melodie, da
Melodie nichts anderes als der integrirte Rhythmus ist, daß sich,
sage ich, Harmonie zu Melodie wieder wie die ideale Einheit zur
realen oder wie die Einbildung der Vielheit in die Einheit zu der
entgegengesetzten der Einheit in die Vielheit verhalte, welches eben zu
beweisen war.

Nur ist dabei im Auge zu behalten, daß Harmonie, inwiefern sie
der Melodie entgegengesetzt, wieder für sich das Ganze ist, also die
Eine der beiden Einheiten bloß, inwiefern allein auf die Form reflek-
tirt wird, nicht aber inwiefern auf das Wesen, denn insofern ist sie
wieder die Identität an sich, also die Identität der drei Einheiten,
aber ausgedrückt in der idealen. Nur insofern können Harmonie und
Melodie einander wirklich entgegengesetzt werden.

Wird nun etwa nach dem Vorzug der Harmonie oder Melodie in
diesem Sinne gefragt, so sehen wir uns wieder in demselben Falle, wie
wenn nach dem Vorzug der antiken oder modernen Kunst überhaupt
gefragt wird. Sehen wir auf das Wesen, so ist freilich jedes von
beiden die ganze ungetheilte Musik, sehen wir aber auf die Form, so
wird unser Urtheil eben dahin ausfallen müssen, wohin das Urtheil über
antike und moderne Kunst überhaupt. Der Gegensatz beider ist, daß
überhaupt jene nur das Reelle, das Wesentliche, das Nothwendige,
diese auch das Ideelle, Unwesentliche und Zufällige in der Identität
mit dem Wesentlichen und Nothwendigen darstellt. Angewendet auf
den vorliegenden Fall, so stellt sich die rhythmische Musik überhaupt
als eine Expansion des Unendlichen im Endlichen dar, wo also dieses
(das Endliche) etwas für sich selbst gilt, anstatt daß in der harmonischen
die Endlichkeit oder Differenz nur als eine Allegorie des Unendlichen

differente Tonverhältniſſe dennoch wieder zur Einheit im Ganzen ge-
bracht ſeyen, ſowie dieſelbe in Anſehung des ganzen Tonſtücks wiederum
die Reſumtion aller möglichen beſonderen Einheiten und aller — nicht
dem Rhythmus, ſondern der Modulation nach verſchiedenen — Ver-
wicklungen der Töne in die abſoluten Einheit des Ganzen bedeutet.
Aus dieſem allgemeinen Begriff geht ſchon zur Genüge hervor, daß
ſich Harmonie zu Rhythmus und inſofern auch zu Melodie, da
Melodie nichts anderes als der integrirte Rhythmus iſt, daß ſich,
ſage ich, Harmonie zu Melodie wieder wie die ideale Einheit zur
realen oder wie die Einbildung der Vielheit in die Einheit zu der
entgegengeſetzten der Einheit in die Vielheit verhalte, welches eben zu
beweiſen war.

Nur iſt dabei im Auge zu behalten, daß Harmonie, inwiefern ſie
der Melodie entgegengeſetzt, wieder für ſich das Ganze iſt, alſo die
Eine der beiden Einheiten bloß, inwiefern allein auf die Form reflek-
tirt wird, nicht aber inwiefern auf das Weſen, denn inſofern iſt ſie
wieder die Identität an ſich, alſo die Identität der drei Einheiten,
aber ausgedrückt in der idealen. Nur inſofern können Harmonie und
Melodie einander wirklich entgegengeſetzt werden.

Wird nun etwa nach dem Vorzug der Harmonie oder Melodie in
dieſem Sinne gefragt, ſo ſehen wir uns wieder in demſelben Falle, wie
wenn nach dem Vorzug der antiken oder modernen Kunſt überhaupt
gefragt wird. Sehen wir auf das Weſen, ſo iſt freilich jedes von
beiden die ganze ungetheilte Muſik, ſehen wir aber auf die Form, ſo
wird unſer Urtheil eben dahin ausfallen müſſen, wohin das Urtheil über
antike und moderne Kunſt überhaupt. Der Gegenſatz beider iſt, daß
überhaupt jene nur das Reelle, das Weſentliche, das Nothwendige,
dieſe auch das Ideelle, Unweſentliche und Zufällige in der Identität
mit dem Weſentlichen und Nothwendigen darſtellt. Angewendet auf
den vorliegenden Fall, ſo ſtellt ſich die rhythmiſche Muſik überhaupt
als eine Expanſion des Unendlichen im Endlichen dar, wo alſo dieſes
(das Endliche) etwas für ſich ſelbſt gilt, anſtatt daß in der harmoniſchen
die Endlichkeit oder Differenz nur als eine Allegorie des Unendlichen

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[499/0175] differente Tonverhältniſſe dennoch wieder zur Einheit im Ganzen ge- bracht ſeyen, ſowie dieſelbe in Anſehung des ganzen Tonſtücks wiederum die Reſumtion aller möglichen beſonderen Einheiten und aller — nicht dem Rhythmus, ſondern der Modulation nach verſchiedenen — Ver- wicklungen der Töne in die abſoluten Einheit des Ganzen bedeutet. Aus dieſem allgemeinen Begriff geht ſchon zur Genüge hervor, daß ſich Harmonie zu Rhythmus und inſofern auch zu Melodie, da Melodie nichts anderes als der integrirte Rhythmus iſt, daß ſich, ſage ich, Harmonie zu Melodie wieder wie die ideale Einheit zur realen oder wie die Einbildung der Vielheit in die Einheit zu der entgegengeſetzten der Einheit in die Vielheit verhalte, welches eben zu beweiſen war. Nur iſt dabei im Auge zu behalten, daß Harmonie, inwiefern ſie der Melodie entgegengeſetzt, wieder für ſich das Ganze iſt, alſo die Eine der beiden Einheiten bloß, inwiefern allein auf die Form reflek- tirt wird, nicht aber inwiefern auf das Weſen, denn inſofern iſt ſie wieder die Identität an ſich, alſo die Identität der drei Einheiten, aber ausgedrückt in der idealen. Nur inſofern können Harmonie und Melodie einander wirklich entgegengeſetzt werden. Wird nun etwa nach dem Vorzug der Harmonie oder Melodie in dieſem Sinne gefragt, ſo ſehen wir uns wieder in demſelben Falle, wie wenn nach dem Vorzug der antiken oder modernen Kunſt überhaupt gefragt wird. Sehen wir auf das Weſen, ſo iſt freilich jedes von beiden die ganze ungetheilte Muſik, ſehen wir aber auf die Form, ſo wird unſer Urtheil eben dahin ausfallen müſſen, wohin das Urtheil über antike und moderne Kunſt überhaupt. Der Gegenſatz beider iſt, daß überhaupt jene nur das Reelle, das Weſentliche, das Nothwendige, dieſe auch das Ideelle, Unweſentliche und Zufällige in der Identität mit dem Weſentlichen und Nothwendigen darſtellt. Angewendet auf den vorliegenden Fall, ſo ſtellt ſich die rhythmiſche Muſik überhaupt als eine Expanſion des Unendlichen im Endlichen dar, wo alſo dieſes (das Endliche) etwas für ſich ſelbſt gilt, anſtatt daß in der harmoniſchen die Endlichkeit oder Differenz nur als eine Allegorie des Unendlichen

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/175>, abgerufen am 24.11.2024.