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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Philosophen und Historiker, besonders neuerer Zeit, sehr stark beschäf-
tigt. Sie hielten es für möglich, die Sprache aus der psychologisch-
isolirten menschlichen Natur zu begreifen, da sie nur aus dem ganzen
Universum begreiflich ist. Die absolute Idee der Sprache muß man
also nicht bei ihnen suchen. Jene ganze Frage nach dem Ursprung der
Sprache, so wie sie bis jetzt behandelt worden, ist eine bloß empirische,
mit der also der Philosoph nichts zu thun hätte; nur den Ursprung
der Sprache in der Idee interessirt ihn zu wissen, und in diesem Sinn
entspringt die Sprache noch immer ebenso wie das Universum auf unbe-
dingte Weise durch die ewige Wirkung des absoluten Erkenntnißakts, der
aber in der vernünftigen Natur die Möglichkeit findet, sich selbst aus-
zusprechen. 1

Den Typus der Vernunft und Reflexion im Bau und in den
inneren Verhältnissen der Sprache darzulegen gehört in eine andere
Sphäre der Wissenschaft als diejenige, mit der wir uns hier beschäftigen,
und in welcher die Sprache selbst wieder nur als Medium eintritt.

§. 74. Die Kunst, inwiefern sie die ideale Einheit als
Potenz wieder auf- und zur Form nimmt, ist redende Kunst
.
-- Folgt unmittelbar.

Zusatz. Die redende Kunst ist die ideale Seite der Kunstwelt.

Allgemeiner Zusatz (zu dieser Construktion des Gegensatzes der
redenden und bildenden Kunst).

Da nach §. 24 die Formen der Kunst Formen der Dinge sind,
wie sie in Gott sind, so ist die reale Seite des Universums selbst die
plastische, die ideale die poetische oder redende, und alle besonderen For-
men, welche in diesen Grundformen wiederkehren, werden wiederum nur
die Art der besondern Dinge ausdrücken, im Absoluten zu seyn.

§. 75. In jeder der beiden Urformen der Kunst kehren
nothwendig alle Einheiten, die reale
(etc.), die ideale (etc.),

1 Randbemerkung: Sprache überhaupt = Kunsttrieb des Menschen, und
wie der Lehrer des Instinkts das Sittliche ist, so der Sprache. Beide Be-
hauptungen, daß durch Erfindung der Menschen, durch Freiheit, und daß durch
göttlichen Unterricht, sind falsch.

Philoſophen und Hiſtoriker, beſonders neuerer Zeit, ſehr ſtark beſchäf-
tigt. Sie hielten es für möglich, die Sprache aus der pſychologiſch-
iſolirten menſchlichen Natur zu begreifen, da ſie nur aus dem ganzen
Univerſum begreiflich iſt. Die abſolute Idee der Sprache muß man
alſo nicht bei ihnen ſuchen. Jene ganze Frage nach dem Urſprung der
Sprache, ſo wie ſie bis jetzt behandelt worden, iſt eine bloß empiriſche,
mit der alſo der Philoſoph nichts zu thun hätte; nur den Urſprung
der Sprache in der Idee intereſſirt ihn zu wiſſen, und in dieſem Sinn
entſpringt die Sprache noch immer ebenſo wie das Univerſum auf unbe-
dingte Weiſe durch die ewige Wirkung des abſoluten Erkenntnißakts, der
aber in der vernünftigen Natur die Möglichkeit findet, ſich ſelbſt aus-
zuſprechen. 1

Den Typus der Vernunft und Reflexion im Bau und in den
inneren Verhältniſſen der Sprache darzulegen gehört in eine andere
Sphäre der Wiſſenſchaft als diejenige, mit der wir uns hier beſchäftigen,
und in welcher die Sprache ſelbſt wieder nur als Medium eintritt.

§. 74. Die Kunſt, inwiefern ſie die ideale Einheit als
Potenz wieder auf- und zur Form nimmt, iſt redende Kunſt
.
— Folgt unmittelbar.

Zuſatz. Die redende Kunſt iſt die ideale Seite der Kunſtwelt.

Allgemeiner Zuſatz (zu dieſer Conſtruktion des Gegenſatzes der
redenden und bildenden Kunſt).

Da nach §. 24 die Formen der Kunſt Formen der Dinge ſind,
wie ſie in Gott ſind, ſo iſt die reale Seite des Univerſums ſelbſt die
plaſtiſche, die ideale die poetiſche oder redende, und alle beſonderen For-
men, welche in dieſen Grundformen wiederkehren, werden wiederum nur
die Art der beſondern Dinge ausdrücken, im Abſoluten zu ſeyn.

§. 75. In jeder der beiden Urformen der Kunſt kehren
nothwendig alle Einheiten, die reale
(ꝛc.), die ideale (ꝛc.),

1 Randbemerkung: Sprache überhaupt = Kunſttrieb des Menſchen, und
wie der Lehrer des Inſtinkts das Sittliche iſt, ſo der Sprache. Beide Be-
hauptungen, daß durch Erfindung der Menſchen, durch Freiheit, und daß durch
göttlichen Unterricht, ſind falſch.
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[486/0162] Philoſophen und Hiſtoriker, beſonders neuerer Zeit, ſehr ſtark beſchäf- tigt. Sie hielten es für möglich, die Sprache aus der pſychologiſch- iſolirten menſchlichen Natur zu begreifen, da ſie nur aus dem ganzen Univerſum begreiflich iſt. Die abſolute Idee der Sprache muß man alſo nicht bei ihnen ſuchen. Jene ganze Frage nach dem Urſprung der Sprache, ſo wie ſie bis jetzt behandelt worden, iſt eine bloß empiriſche, mit der alſo der Philoſoph nichts zu thun hätte; nur den Urſprung der Sprache in der Idee intereſſirt ihn zu wiſſen, und in dieſem Sinn entſpringt die Sprache noch immer ebenſo wie das Univerſum auf unbe- dingte Weiſe durch die ewige Wirkung des abſoluten Erkenntnißakts, der aber in der vernünftigen Natur die Möglichkeit findet, ſich ſelbſt aus- zuſprechen. 1 Den Typus der Vernunft und Reflexion im Bau und in den inneren Verhältniſſen der Sprache darzulegen gehört in eine andere Sphäre der Wiſſenſchaft als diejenige, mit der wir uns hier beſchäftigen, und in welcher die Sprache ſelbſt wieder nur als Medium eintritt. §. 74. Die Kunſt, inwiefern ſie die ideale Einheit als Potenz wieder auf- und zur Form nimmt, iſt redende Kunſt. — Folgt unmittelbar. Zuſatz. Die redende Kunſt iſt die ideale Seite der Kunſtwelt. Allgemeiner Zuſatz (zu dieſer Conſtruktion des Gegenſatzes der redenden und bildenden Kunſt). Da nach §. 24 die Formen der Kunſt Formen der Dinge ſind, wie ſie in Gott ſind, ſo iſt die reale Seite des Univerſums ſelbſt die plaſtiſche, die ideale die poetiſche oder redende, und alle beſonderen For- men, welche in dieſen Grundformen wiederkehren, werden wiederum nur die Art der beſondern Dinge ausdrücken, im Abſoluten zu ſeyn. §. 75. In jeder der beiden Urformen der Kunſt kehren nothwendig alle Einheiten, die reale (ꝛc.), die ideale (ꝛc.), 1 Randbemerkung: Sprache überhaupt = Kunſttrieb des Menſchen, und wie der Lehrer des Inſtinkts das Sittliche iſt, ſo der Sprache. Beide Be- hauptungen, daß durch Erfindung der Menſchen, durch Freiheit, und daß durch göttlichen Unterricht, ſind falſch.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/162>, abgerufen am 23.11.2024.